Es ist gewissermaßen eine Wiedereröffnung, die die Oper Köln mit ihrer Neuinszenierung von Gounods Faust nach der langen Corona-Pause vor Publikum zelebriert. Historisch gesehen könnte man meinen, dass man mit dieser französischen Variante des Goethe-Stoffs nichts falsch machen kann, hat doch die New Yorker Metropolitan Opera 1883 mit eben jenem Werk ihre Bühne eröffnet.

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Faust
© Bernd Uhlig

In Köln steht allerdings nicht die Grand opéra auf dem Programm, sondern gewissermaßen Gounods Urfaust, der zehn Jahre vor der Zweitfassung am Théâtre-Lyrique uraufgeführt wurde. Für die deutsche Erstaufführung an der Oper Köln mussten einige verlorengegangene Passagen wieder neu orchestriert werden. Wichtigster Unterschied zur populären Zweitfassung: Statt der Balletteinlagen gibt es Dialoge und außerdem weitet die Erstfassung den Blick auf die kleineren Rollen neben dem Trio Faust, Marguerite und Méphistophélès.

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Alexander Fedin (Alter Faust)
© Bern Uhlig

In der Inszenierung von Johannes Erath verschiebt sich dementsprechend der Stoff von der Grand opéra zur Opéra comique mit Pappschweinen, auf denen Wagner und Siébel über die Bühne reiten, Méphistophélès Varieté-Zaubertricks vorführt und die Höllen-Kurtisanen Faust in der Walpurgisnacht mit bonbonbunten Reifröcken und Grusel-Plastikmasken verführen wollen. Erath bleibt aber nicht bei Oberflächlichkeit, sondern arbeitet sich zu dem psychologischen Gehalt der Figuren vor. Marguerites Kampf um die eigene Integrität, Fausts Ringen mit dem verpassten Leben sind natürlich nicht neu, Erath schärft den Blick darauf allerdings sehr genau. Immer wieder verengt sich die langgezogene Bühne durch fahrbare Wände zu fokussierten Ausschnitten, die das Kabarettgeheul auf kammerspielartige Intensität konzentrieren.

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Anne-Catherine Gillet (Marguerite) und Young Woo Kim (Faust)
© Bernd Uhlig

Dass die Inszenierung insgesamt aber nicht ganz funktioniert, liegt daran, dass die vielen Details nicht konsequent zusammenlaufen. Verständlich ist es ja, dass Erath sich mit Alexander Fedin einen alten und mit Young Woo Kim einen jungen Faust für seine Inszenierung gönnt und amüsant ist es, dass Dirigent François-Xavier Roth als Teufelsadvokat die Dialoge von Méphistophélès übernimmt. Kaum zu verstehen ist aber, warum Siébel im dritten Akt als Doppelgänger seiner geliebten Marguerite erscheint. Fausts Eitelkeit wird per Influencer-Kamera aufgenommen, das ist interessant. Die resultierende Erkenntnis nach drei Stunden Oper, wenn die Kamera sich schließlich auf das Publikum richtet, ist aber doch etwas enttäuschend. Wir sind wohl alle ein bisschen Faust.

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Samuel Youn (Méphistophélès)
© Bernd Uhlig

Ganz und gar nicht enttäuschend war allerdings, was Roth und das Gürzenich-Orchester aus der Musik Gounods machten. Unter der Leitung des Generalmusikdirektors durften die Musiker hingebungsvoll musizieren. Trotz des langgezogenen, coronakonformen Orchestergrabens und Chor von der Seitenbühne (inklusive zwei Assistenzdirigenten) musizierte das Orchester kompakt, detailreich und bleibt auch in den zupackenden Momenten in guter Balance.

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Samuel Youn (Méphistophélès), Miljenko Turk (Valentin) und Anne-Catherine Gillet (Marguerite)
© Bernd Uhlig

Auch die Sänger konnten überzeugen. Sicher hört man Alexander Fedin sein Alter an, aber trotzdem wirkt sein Tenor noch frisch. Young Woo Kim war sicherlich die positivste Überraschung des Abends mit seiner technisch-perfekten Linienführung und seinem dramatischen Zugriff, der bei aller technischen Präzision die Emotionen gut transportierte. Anne-Catherine Giller als Marguerite hat einen schönen lyrischen Sopran, dem es insgesamt aber gerade in der Höhe an Brillanz fehlt. So sang sie die Juwelenarie technisch einwandfrei, blieb aber unspektakulär. Samuel Youn überzeugte als Méphistophélès vor allem schauspielerisch als zügelloser Teufel. Stimmlich hat er einen vollen Bass, der besonders in der Mittellage trägt, in der Höhe ab und zu aber etwas angestrengt wirkt. Sehr überzeugend war hingegen Miljenko Turk als Valentin, der nicht nur stimmlich sondern auch schauspielerisch die Entwicklung vom liebenden Bruder zum kriegsgezeichneten Psychopaten überzeugend vermittelte.

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