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DAS RHEINGOLD, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 12.6.2021, copyright: Bernd Uhlig
DAS RHEINGOLD, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 12.6.2021, copyright: Bernd Uhlig
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Wir spielen – Wagners „Das Rheingold“ in der Deutschen Oper Berlin

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Der neue „Ring“-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin sollte sich ursprünglich kontinuierlich vom Vorabend bis zum dritten Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ aufbauen. Situationsbedingt war die „Rheingold“-Premiere entfallen und wurde – ziemlich genau vor einem Jahr – durch eine, wie nun festzustellen, der Regiearbeit von Stefan Herheim nicht unverwandte, verkürzte Inszenierung von Neill Barry Moss auf dem Parkdeck der Deutschen Oper ersetzt.

Im September vergangenen Jahres rückte dann „Die Walküre“ an den Anfang der „Ring“-Neuinterpretation. Dabei waren diverse Fragen offengeblieben, die jetzt, mit der Premiere „Das Rheingold“, wie in so manchem TV-Krimi praktiziert, ihre späte Auflösung fanden.

Beim Einlass des Publikums steht auf der leeren Bühne nur ein Konzertflügel. Kurz darauf bewegt sich eine große Gruppe von Flüchtlingen, mit Koffern bestückt, als Zug von links ins Zentrum. Einer von ihnen öffnet die Tastatur des Flügels und schlägt (unhörbar) das ES an, worauf das Orchester, im noch immer erhellten Zuschauer*innenraum mit dem viereinhalbminütigen Vorspiel beginnt, während sukzessive das Licht im Auditorium langsam erlischt. Die Flüchtlinge bewegen sich rhythmisch im Strom der Musik, machen Schwimmbewegungen, bis dann die drei Rheintöchter auf dem Souffleurkasten und dem in die Mitte der Bühne geschobenen Flügel ihr Spiel treiben.

Der spielerische Aspekt ist in der „Rheingold“-Inszenierung Herheims besonders herausgearbeitet, zumal in dieser Partitur Wagners das Substantiv „Spiel“ in unterschiedlichen Bedeutungsvarianten besonders häufig anzutreffen ist. Wie sonst nur in der Arbeit freier Ensembles üblich, spielen auch Sänger*innen-Darsteller*innen in jenen Szenen mit, in denen sie vom Komponisten ursprünglich nicht vorgesehen waren. Meines Wissens hatte Patrice Chéreau in seiner Bayreuther Inszenierung des Jahres 1976 erstmals die Götter Donner und Froh im zweiten Bild deutlich früher agieren lassen als bei ihrem in der Musik vorgegebenen Auftritt. In der Berliner Neuinszenierung agieren beide schon im ersten Bild lustvoll mit und werden – im Gegensatz zum Freier Alberich – von den Rheintöchtern gerne als Liebhaber akzeptiert. Auch Wotan verlustiert sich, wie in Wagners frühestem Entwurf, im Eröffnungsbild bereits mit den Rheintöchtern. Deren auf dem Flügel erfolgender Striptease macht bei Allen Schule; auch die drei Dutzend weiteren Akteure entledigen sich ihrer Oberbekleidung und geben sich gegenseitigen Unterwasser-Freuden hin. Alberich tritt mit einem großen, runden Handspiegel auf, dessen Bedeutung sich dem Rezensenten nicht so recht erschließen wollte. In dem nun mit weißen Tüchern ausgehängten Raum interpretiert Alberich den „glitschrigen Glimmer“ und das „schlecke Geschlüpfer“ beim Fingern im Schoß Woglindes. Das ist nicht ganz neu, gehört es als Detail doch ebenso zur jüngeren szenischen Deutungsgeschichte wie die Tatsache, dass Wellgunde den Freier Alberich angesichts eines Blicks in dessen Unterhose als „haarigen, höckrigen Geck“ definiert.

„Glitschriger Glimmer“ und „haariger, höckriger Geck“

Als in Takt 530 die Trompete in C (Wagner: „nicht wie eine Militär-Fanfare! ‚Nobile‘“) erstmals das Rheingold-Thema erklingen lässt, greift Alberich, quasi aus dem Orchestergraben, nach einer im Spot golden erglänzenden Trompete. Aus dieser zaubert er dann ad-hoc, durch seinen Fluch auf die Liebe, den Verderben bringenden Ring, dessen Zauberkraft hier im Spiel von diversen Protagonist*innen wiederholt deutlich exerziert wird. So zwingt Alberich im ersten der stets ohne Vorhang, offen erfolgenden Zwischenspiele einen Akteur, die Zwischenmusik quasi am Flügel zu erzeugen. Wie in der „Walküre“, ermöglicht das Innere dieses Instruments hydraulische Auf- und Abgänge von Personen(gruppen).

Wotans erstes Statement über den fertig erfolgten Bau der Burg wird von den weiterhin anwesenden Flüchtlingen ebenso beklatscht, wie seine Aussage gegenüber Fricka, dass er das Spiel (gemeint ist hier das „Spiel“ mit unterschiedlichen Sexual-Partnerinnen) nicht sparen könne. Das Attribut ihrer Riesenhaftigkeit erlangen Fasolt und Fafner durch zwei an Stricken sichtbar geführte Kofferansammlungen als ihre Gesichter und Arme.

Freias Brüste sind zwei goldene Äpfel, Donner bezeichnet zwei Revolver als seinen „Hammer“, und Wotan setzt sich einen Helm mit veritablen, weißen Flügeln auf, welcher später auch gerne von den anderen Mitspielern benutzt und von Froh als Kotz-Eimer zweckentfremdet wird.

… und ein Kotz-Eimer

Loge, der in den Interpretationen des späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gerne als Halbgott negativ gezeichnet und erst von Wieland Wagner als Logos, als Intellektueller gedeutet wurde, ist in der Neuinszenierung ein Mephisto – mit deutlichem Bezug auf die Kostümierung von Gustav Gründgens als Gegenspieler Fausts. Loge verhält sich sehr wetterwendisch in seinem Zuspruch gegenüber den hier einander nahegerückten Gegenspielern Nacht- und Lichtalbe, Alberich und Wotan. Bei seinem ersten Auftritt löst Loge an Kostümen und Haaren der Götter*innen kleine Feuerwerke aus.

In Antizipation von Alberichs Plan, sich Kraft seines Ringes die Göttinnen, die sein Freien vordem verschmäht hatten, zur Lust gefügig zu machen, lässt der Nachtalbe die Götter*innen bereits am Ende des zweiten Bildes Kraft der Magie seines Ringes von der Szene tanzen. Der in der Maske von Richard Wagner (oder wohl treffender: in der von Wagners Stiefvater, dem Mimen Ludwig Geyer) auftretende Mime (Ya-Chung Huang) hat einen Tarnhelm angefertigt, der sich als ein Stahlhelm erweist. Unter diesem werden bei Alberichs Befehl mit erhobener Rechter die Nibelungen zu einem marschierenden „nächtlichen Heer“, ebenfalls mit Stahlhelmen und ihre rechte Hand zum Heilsgruß erhoben.

Aus dem Souffleurkasten entliehen, kommt der Klavierauszug zu „Das Rheingold“ spielerisch zum Einsatz, gleichermaßen Spiel-Anweisung wie Vorausahnung des Kommenden.

Mutation in einen „Riesenwurm“

Während mit Projektionen auf das Tücher-(Berg-)Massiv geschickt wechselnde Stimmungen erzeugt werden (Licht: Ulrich Niepel), geraten die Verwandlungen von Alberich wenig zwingend: Seine Mutation in einen „Riesenwurm“ bezieht sich hier auf das gigantische Anwachsen seines Gliedes, ebenso dessen Schrumpfung als „Kröte“. Seltsam auch seine Fesselung durch Wotans Gürtel und Gefangennahme durch das Einbinden seiner Hände in zwei per Flaschenzug von Wotan und Loge gesteuerte Seile, um Alberich so marionettenartig tanzen zu lassen.

Schrumpfung als „Kröte“

Ein neues, im Kontext ebenfalls wenig überzeugendes, ästhetisches Mittel ist die Projektion dreier Rheintöchter mit Fischschwänzen auf dem Aushang (Video: Torge Møller) zur Zeitüberbrückung des offenen Zwischenspiels – mehr ein Gag denn eine sinnerhellende Zutat.

Auf Befehl Alberichs bringen die Nibelungen diverse Koffer mit goldenen Utensilien (darunter einem Kruzifix und einem siebenarmigen Leuchter) mit denen die ins Flügel-Innere gelegte, aber als Spiegelung auf dem Fügel-Deckel weiter sichtbare Freia zugedeckt wird. Erda, in dieser Spielanordnung offenbar die den Gesamtablauf der „Ring“-Tetralogie kennende Souffleuse, steigt aus deren Kasten, setzt ihre Brille ab und kündet Wotan vom Ende alles Bestehenden.

Fasolt erschlägt Fafner mit einem Hammer, der wohl irrtümlich in den Transport der Goldgegenstände geraten war. Das von ihm anschließend weggeworfene Mordwerkzeug dient Donner (Thomas Lehman) dann doch noch als veritabler „Hammer“ um das Gewitter auszulösen, als dessen Folge zum Brückengesang des Froh (Matthew Newlin) entsteht eine Regenbogen-Fahne. Diese wird von der Technik – leider krachend – mit einer Schräge unterbaut, welche den Göttern das anschließende partielle Nach-oben-steigen ermöglicht, bis sie, dann offenbar sitzend festgeschnallt, in die Höhe fliegen. Freia (Jacquelin Stucker), die dem Stockholm-Syndrom folgend, sich in ihren Entführer Fasolt verliebt hatte, kann nur unter Zwang zum Aufstieg nach Walhall bewegt werden. Auch Wotan nimmt am „Einzug der Götter nach Walhall“ nicht teil.

Erst nach dem ersten Erklingen des Schwertmotives zaubert Wotan als visualisierte Idee Nothung aus dem Souffleurkasten und stößt es in die Tastatur des Flügels. Zugleich erfolgt die Verwandlung des Bühnenraums zur ersten Dekoration der „Walküre“, mit projiziertem Stamm und stilisierter Blätterkrone der Esche, auf die dann Zwillinge im Uterus projiziert werden: Wotans außereheliche Kinder Siegmund und Sieglinde, während der Lichtalbe selbst zu neuen Lust- und Wissenserfahrungen seine Bekleidung ablegt und zu Erda in den Souffleurkasten hinabsteigt.

Der in seiner Spielastik durchaus überzeugende Abend ist gepaart mit einigen großartigen Sänger*innen-Darsteller*innen-Leistungen: allen voran bietet Thomas Blondelle als Loge eine Leistung ohne jegliche Abstriche. Neben ihm ist Derek Walton ein junger Wotan mit exakter Tongebung und Charakterisierungsvielfalt. Mit warmer Stimmgebung und differenzierten Zwischentönen versinnlich Annika Schlicht als Freia als Auslöserin mehrerer Konflikte der „Ring“-Handlung, hier im Nachvollzug der vormals wohl stimmigen Beziehung zu ihrem Gatten Wotan. Nun aber vermag den Göttervater die in Diktion und Stimmführung überzeugende Erda von Judit Kutasi, vokal nachvollziehbar, zu fesseln. Ein homogenes Rheintöchter-Ensemble bieten Valeriia Savinskaaa, Irene Roberts, und Karls Tucker.

Das Orchester der Deutschen Oper spielt engagiert, wenn auch mit einigen Abstrichen im Glanz der Bläser, unter der musikalischen Leitung ihres nun im zwölften Jahr aktiven Generalmusikdirektors. Sir Donald Runnicles steuert zum Spiel der Kräfte zwischen Darstellern und Technik auf der Bühne im Graben eine Theater-Musik im besten Sinne bei, mit wenig Höhepunkten oder Unerhörtem – mit einer Ausnahme: die „16 Ambosse verschiedener Größe“ erfahren an diesem Abend eine perfekte klangliche Neudeutung, indem akustisch der Eindruck entsteht, Goldgeschmeide unterschiedlicher Klangfarbe würden gleichzeitig bearbeitet.

Ungewöhnlich die hierarchisch aufgebaute Applausordnung mit den Solist*innen des Abends mit Alberich als deren Höhepunkt. Markus Brück zeigte in dieser Partie seine bewährte Intensität im Spiel, war aber rhythmisch und textlich sehr unpräzise.

Langer und herzlicher Schlussapplaus der Besucher*innen, die trotz der gebotenen Einschränkung ihrer Dauermaskierung endlich wieder einen Premierenabend im Haus an der Bismarckstraße erleben durften.

Da gab es denn auch nur wenig Widerspruch in Form von Buhrufen, als sich das Regieteam, inklusive des Gast-Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach (gemeinsam mit Haus-Dramaturg Jörg Königsdorf), Silke Bauer als Mitarbeiterin an dem vom Regisseur selbst gestalteten Bühnenbild und Uta Heiseke als Kostümdesignerin verneigten. Stefan Herheim zeigte mit einer Drehung vom Publikum zum Ensemble und einem sich anschließenden, faszinierenden Begeisterungs-Luftsprung mit angezogenen Füßen Emotion und eine letzte, besondere Spiel-Darbietung.

  • Weitere Aufführungen: 19., 22., 25. und 27. Juni 2021

 

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