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Stefan Herheim inszeniert „Das Rheingold“ in Berlin: Der Fluch des Joker

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Joker Alberich bei den Rheintöchtern.
Joker Alberich bei den Rheintöchtern. © Bernd Uhlig

Stefan Herheim liefert an der Deutschen Oper Berlin „Das Rheingold“ nach. Schöne Einfälle versinken im Zuviel.

Stefan Herheims „Ring“ für die Deutsche Oper in Berlin gehört zu den Projekten, die von Pandemie und Lockdown durchgerüttelt, aber nicht verhindert worden sind. Richard Wagners Opern sind momentan eine Rarität, während die Festspiele in Bayreuth aber noch mit Durchführbarkeits- und Saalbelegungsplänen ringen müssen, geht der neue Berliner „Ring“ in einer Art modifiziertem Schachbrettmusterverfahren seinen durcheinandergeratenen Gang. Der „Walküre“ im vergangenen September folgte jetzt der Vorabend „Das Rheingold“ und konnte die ungewöhnliche Glücklosigkeit der ersten Inszenierung zwar nicht wettmachen, aber doch ein paar Pointen setzen.

So hatte das Publikum in der „Walküre“ ratlos zur Kenntnis genommen, dass sich Wotan in seiner Freizeit im Souffleusenkasten herumtreibt. Nun zeigte sich aber, dass er hier Erda trifft, die in der Tat die Souffleuse ist. Ihren Worten (von Judit Kutasi fundiert gesungen) „Wie alles war – weiß ich; wie alles wird, wie alles sein wird – seh ich auch“ gibt das einen unerwarteten Dreh.

Das zählt zu den schönen und geistreichen Momenten des Abends: Wotan begreift, dass er Teil eines Werkes ist, dessen Partitur schon vorher bei Alberich aufgetaucht ist – Wotan und Loge sind daraufhin zum ersten Mal wirklich verdutzt und interessiert. Sie erleben die absurde, existenzielle Identitätskrise, die eine Theaterfigur seit jeher überkommt, wenn sie feststellt, dass sie in einer Handlung festsitzt. Herheim dreht das gleich ein bisschen ins Spaßige – Alberich lässt sich von Loge und Wotan nicht überrumpeln, als Mime ihm mit einem Hammer auf den Kopf haut, schnappt sich Wotan kurzerhand den Ring, wird aber von Loge darauf aufmerksam gemacht, dass es im Buche anders geschrieben steht. Aber dieser Strang hätte Reize, wäre er feingliedriger ausgeführt.

Wie die Dinge liegen, geht die nicht fade Erzählung von „Rheingold“ in Herheims pauschalen Ideen weitgehend unter: Die erste Idee ist, dass sich die Handlung aus einer großen, fast allgegenwärtigen Gruppe Statisten heraus entwickelt, Flüchtlinge aus unserer Welt mit alten Koffern (wie in der „Walküre“ dann auch für Kulissenelemente verwendet) und alsbald in Unterwäsche. Sie kommen bereits zu den ersten mythischen Tönen auf die Bühne. Natürlich stören sie das Vorspiel enorm, vielleicht ist das ein bitteres Signal, eher ist es die Verliebtheit in einen Einfall. Zudem trägt das, ähnlich wie in der „Walküre“, recht verhaltene Dirigat von Donald Runnicles auch im „Rheingold“ zum Mangel an musikalischem Zauber bei.

Das Personal mendelt sich also aus der Gruppe heraus, wie es übrigens Árpád Schilling in Stuttgart mit einem unvergesslichen Dreh einmal mit der Figur des Lohengrin gemacht hat. Das können starke Momente sein, aber in Berlin bleibt das Kollektiv doch Staffage und Ablenkung. Es hat Symbolwert, dass die Karte des eindrucksvollen Auseinanderrennens der Gruppe mit Nibelungen-Gekreisch mehrfach genutzt wird.

Die zweite Idee ist die des Flügels als Ausgangspunkt, an ihm bleibt der Flüchtlingsstrom eingangs hängen, einer spielt (tut so, als würde er spielen). Alles geht von der Musik aus, sagt Herheim. Letztlich aber ist das Instrument ein origineller und weidlich genutzter Ort für Auftritte und Abgänge.

Die dritte Idee ist das große und immer größere weiße Tuch, das wie von ungefähr zur Hand ist und Herheim und Silke Bauer als wichtigster Bestandteil des wandlungsfähigen Bühnenbildes dient. Angesichts der „Walküre“ wurde schon auf das Weihnachtsmärchenhafte von wabernden, teils videobespielten Stoffbahnen hingewiesen. „Das Rheingold“ verträgt Zinnober allerdings besser als die „Walküre“.

Zugleich verdeckt dieser Zinnober aber doch – eigenartig –, wie sorgfältig Herheim an sich nicht nur mit dem vorzüglich geführten Statistenheer gearbeitet hat, sondern auch, wie gut sich das Ensemble bewegt. Derek Welton ist der junge Wotan, Annika Schlicht dessen Frau, Jacquelyn Stucker die von Herheim stark geforderte Freia – man versteht nicht ganz, was mit ihr los ist, aber das macht sie mit Elan.

Am Frappantesten gelingt Thomas Blondelle sein dankbarer Auftritt als Loge, ein Gründgens-Mephistopheles (Kostüme: Uta Heiseke) mit strahlendem Tenor, wie auch sonst politisierende Andeutungen den Abend durchziehen. Markus Brücks Alberich ist ein finsterer „Batman“-Joker, der auch zwischen seinen Auftritten die Fäden zieht – es ist Herheim wichtig zu zeigen, dass der Ring reale Macht verleiht. Die Nibelungen sind wehrmachtartig ausstaffierte Zombieclowns, die mit Hitler-Gruß marschieren. Joker springt lustig voran, ein böses Bild, das Herheim allerdings im allgemein Assoziativen belässt. Dass Brücks markanter Bariton bei der Verfluchung des Rings trotz stimmlicher Verve nicht die volle Wirkung entfaltet, liegt an der szenischen Fracht. Dafür schnickt Loge den schaurig echten abgeschnittenen Zwergenfinger nonchalant in die Kulisse.

Warum Mime, Ya-Chung Huang, eine Wagner-Mütze trägt und überhaupt ein wenig wie Wagner aussieht, klärt sich vielleicht im „Siegfried“. Vorerst verschwimmt das Schlussbild (mit Regenbogen!) und verschwindet die pompöse Schlussmusik geradezu in einem letzten Niederprasseln von Einfällen. Das Finale ist das riesenhafte Bild des Zwillingspaars in der Fruchtblase.

Der Beifall fürs Ensemble stark, die Buhs für die Regie diesmal im Rahmen.

Deutsche Oper Berlin: 15., 19., 22., 25., 27. Juni. www.deutscheoperberlin.de

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