Premierenreigen in Berlin: Rheingold schlägt Goldrausch

Endlich wieder ein Wochenende mit zwei Live-Premieren: Stefan Herheim liefert in seinem «Ring»-Zyklus den Ur-Anfang nach, Lydia Steier versucht sich an Puccinis rauchenden Colts.

Eleonore Büning, Berlin
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«Das Licht lösch’ ich euch aus, entreisse dem Riff das Gold, schmiede den rächenden Ring»: Alberich (Markus Brück) kann bei den Rheintöchtern (Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker) nicht landen; das hat fatale Folgen.

«Das Licht lösch’ ich euch aus, entreisse dem Riff das Gold, schmiede den rächenden Ring»: Alberich (Markus Brück) kann bei den Rheintöchtern (Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker) nicht landen; das hat fatale Folgen.

Bernd Uhlig /
Deutsche Oper Berlin

Im Vorfeld seiner «Ring»-Inszenierung hatte der Opernregisseur Stefan Herheim das Ende der Gattung heraufbeschworen: Unsere Gesellschaft sei zunehmend nicht mehr bereit, diese hybride Kunstform und die von ihr vertretenen Inhalte mitzutragen. Er ermahne das Ensemble in den Proben täglich, dass es nur noch darum gehen könne, «mit Würde zu sterben. Feiern wir gemeinsam den Tod der Oper!»

Nach dem Ende der Premiere des «Rheingolds» dreht Herheim dem Publikum in der Deutschen Oper Berlin plötzlich den Rücken zu. Er wendet sich an das Ensemble, um es zu ehren mit einem sogenannten Hänschen-Rosenthal-Sprung. Den muss er vorher geübt haben. Manch einer mag sich noch erinnern an diese ekstatische Geste aus der ZDF-Fernsehshow «Dalli Dalli», aus der die pure Lebensfreude spricht. Sie bedeutet: «Das war spitze!» Und so war es.

Das goldene Kornett

Bei Herheim macht das Sterben der Oper grossen Spass. Er erzählt das Märchen vom Streit der Zwerge, Riesen und Götter um die Weltmacht als Vorgriff auf die gesamte Weltuntergangs-Tetralogie; aber auch in kritischer Kenntnis der politischen Wirkungsgeschichte Wagners und in ironiesatter Anspielung auf die Inszenierungstraditionen. Eine Mixtur aus Puppenspiel, Zirkus und Grand Guignol – mit Bildern, die zugleich süss sind und bitter, mager und drall, wild und witzig, banal und kompliziert, provozierend ehrlich und voll reizvoller Rätsel.

Warum, zum Beispiel, findet Alberich das Gold nicht in des Rheines Tiefe? Er bringt es, quasi als Gastgeschenk, den Rheintöchtern mit; da hätte er es doch gleich behalten und zum Ring der Macht umschmieden können. Wieso hat das Gold die Form eines gleissenden Blasinstruments, eines Kornetts? Soll das etwa heissen, dass die Macht der Musik gefährlich ist und Unheil bringt? Was wäre, wenn Wotan, der Zankereien überdrüssig, den vermaledeiten Ring wirklich noch rechtzeitig in den Rhein zurückgeworfen hätte? Und warum vögeln die drei Göttermänner Wotan, Froh und Donner so dreist und öffentlich herum mit den Rheintöchtern, ausgerechnet auf einem Konzertflügel, aus dem später die ahnungslose Göttergattin Fricka nebst Schwester Freia heraussteigt? Einfach nur gewohnheitsmässig, weil Männer eben Schweine sind?

Dieser Flügel ist das einzige Möbel in Herheims Inszenierung. Eine Trickkiste, aus der das gesamte Bühnenleben hervorgezaubert wird. Ausser den Figuren steigen auch Requisiten und Bilder daraus auf, projiziert auf unendliche Stoffbahnen, die sich zu beweglichen Wolken aufbauschen. Zu Beginn steht der Flügel noch allein auf leerer Bühne herum, ein Statistenstrom schlurft herein, offenbar Flüchtlinge, einer von ihnen wagt sich vor und schlägt einen Ton an, ein tiefes Es. Das quillt auf, kriecht aus dem Orchestergraben heraus, wird breiter, stärker und setzt die Flüchtlinge, die ihre Koffer fallen lassen, nach und nach in wogende Bewegung. Die Rheintöchter schwimmen in diesem Menschenstrom-Vorspiel mit, das nach vorn an die Rampe schwappt. Auch Wotan schwimmt darin mit.

Er ist ein noch sehr junger Mann in dieser Inszenierung, seiner selbst nicht sicher. Derek Welton leiht ihm einen hell timbrierten Bariton, eine unwotanmässig flexible Stimme. Bisher hatte Welton anderswo nur den Wettergott Donner gesungen; zuletzt, in Salzburg im vorigen Sommer, den Orest in «Elektra». Bis vor kurzem gehörte er zum Ensemble der Deutschen Oper. Auch die anderen Hauptrollen sind Hausbesetzungen. Welches Opernhaus kann schon von sich behaupten, dass es ein rundweg satisfaktionsfähiges «Ring»-Personal stellt?

Promisk und witzig

Markus Brück blüht aus gefährdeter Tiefe auf zu einem machtvoll dröhnenden, düster-tückischen Alberich. Geschminkt wie Joker, animiert er die Nibelungen zum Hitlergruss. Ya-Chung Huang als geknechteter Mime hat die Lacher auf seiner Seite: sieht aus wie eine Wagner-Karikatur, steckt aber, bedenklich, in gestreifter KZ-Kluft. Ein Wunder an Homogenität liefern Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker ab im Rheintöchter-Terzett. Sie sind quirlig promisk und vergnügungssüchtig, aber auch witzig. Guckt Woglinde dem Alberich kurz in den Slip, ruft sie: «Pfui, du haariger, höckriger Geck!»

Thomas Blondelle ist als Loge nicht nur kostümiert wie ein Westentaschen-Mephisto, seine operettenwendige Diktion rückt diese Rolle auch spielerisch brillant in Offenbach-Nähe. Annika Schlicht glänzt als kluge Fricka, Jacquelyn Stucker als naive Freia. Einzig Erda wird von einer Gastsolistin verkörpert. Judit Kutasi steigt für ihre heissblütige Moralpredigt aus dem Souffleurkasten heraus, mit der Partitur unterm Arm. Am Ende steigt ihr Wotan nach, um die Walküren zu zeugen. Er ist erwachsen geworden, er sorgt sich um die Zukunft. Zieht ein Schwert aus der Partitur, stösst es in den Konzertflügel, aus dem spriesst stoffbahnenmässig in Sekundenschnelle ein imposanter Eschenbaum, in dessen Krone sich eine Fruchtblase spiegelt, darin eineiige Zwillinge schlafen: das Wälsungenblut.

So schnell kann es gehen, so vital kann es enden, wenn Stefan Herheim beschliesst, eine Operndämmerung heraufzubeschwören: als Fest für alle Sinne, musikalisch, szenisch, ikonografisch und gedanklich herausfordernd, vom ersten bis zum letzten Augenblick.

Die Kapelle glüht

Tags darauf zeigt auch die Staatsoper Unter den Linden seit Monaten wieder die erste echte Live-Premiere: Lydia Steier, designierte Opernchefin in Luzern, inszeniert Giacomo Puccinis Goldgräber-Oper «La fanciulla del West». In einer vielversprechenden, prominenten Besetzung: mit Anja Kampe in der kräftezehrenden Titelpartie als Saloon-Wirtin Minnie, mit Marcelo Alvarez als gesetzlosem Herzensbrecher Dick Johnson alias Ramerrez und Michael Volle als eifersüchtigem Sheriff Rance.

Showdown im Wilden Westen: Minnie (Anja Kampe) wird um das Leben ihres Geliebten (Marcelo Alvarez) mit allen Mitteln pokern; dem eifersüchtigen Sheriff Rance (Michael Volle, rechts) gefällt das gar nicht: Szene aus Puccinis «La fanciulla del West» an der Berliner Staatsoper.

Showdown im Wilden Westen: Minnie (Anja Kampe) wird um das Leben ihres Geliebten (Marcelo Alvarez) mit allen Mitteln pokern; dem eifersüchtigen Sheriff Rance (Michael Volle, rechts) gefällt das gar nicht: Szene aus Puccinis «La fanciulla del West» an der Berliner Staatsoper.

Martin Sigmund / Berliner Staatsoper

Natürlich, Wagner und Puccini sind wie Apfel und Birne – ein direkter Vergleich der beiden Produktionen verbietet sich von selbst. Und doch kann man sagen, unter dem Strich: Rheingold schlägt Goldrausch.

Nur in einem einzigen Aspekt kann die Lindenoper klar punkten: Während Donald Runnicles ein eher bodenständiges, wuchtiges Wagner-Dirigat absolviert, freilich ohne Fehl und Tadel, glückt Antonio Pappano am Pult der Staatskapelle eine unvergleichliche Sternstunde raffiniert-puccinesker Charakterisierungskunst. Jede Falte der Phrasierungen wird fein ausgelotet, jede Klangfarbenmischung mit Swing und Leben erfüllt. Die Kapelle glüht förmlich.

Szenisch kommt das Kriminalstück trotzdem nicht in die Hufe. Kann sein, dass die Regisseurin, amerikanisch sozialisiert, diesem saftigen Western-Opern-Braten nicht recht über den Weg getraut hat. Jedenfalls inszeniert sie alle Stereotype und Klischees mit, streng konventionell in der Guckkastenbühne, mit Zeigefinger, in durchaus hölzerner Personenführung. Schade.

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