Die Musiker auf der Bühne
ORF.at/Gerald Heidegger
„Pierrot lunaire“

Schönberg trifft Prince und sucht den Mond

Schönberg für alle. Diesem Motto hat man sich bei den Wiener Festwochen offenkundig verschrieben und wuchtet sein Schlüsselwerk vor der Geburt der Zwölftonmusik, „Pierrot lunaire“, in eine seltsam schöne Rauminstallation. Die Besten des Faches standen im Wiener MuseumsQuartier bereit, einen Kosmos der Klangfarben und Stimmungen zu erzeugen. Doch dann begann alles mit harmonischen Akkorden und einem Klassiker von Prince. Man war verwirrt. Und zunächst noch gespannt.

Es war sicher alles gut gemeint, und die Erwartungen waren hoch, als man in der kühlen Halle G des MuseumsQuartiers Platz genommen hatte, wo sich eine Bühne im Zuschnitt eines Boxrings mit roter Umlaufbahn öffnete. In der Mitte ein zerlegtes Klavier, rundherum eine Landschaft von Instrumenten und Hockern, frei drapierte Handtücher – all das sah aus, als würde Daniel Spoerri zu einem Ohrenschmaus einladen. Und siehe da, wenig später wurde diese Bühne bevölkert. Und es waren Menschen aus einer Anstalt, in indigofarbener Priesterausgehuniform oder weißen Arbeitsmänteln.

Einen davon erkannte man rasch. Es war Ingo Metzmacher, so etwas wie der Gralshüter der Moderne und zeitgenössischen Musik. Er würde doch nicht? Doch, er tat es. Metzmacher spielte mit bei dieser Versuchsanordnung in der Irrenanstalt, die sich offenkundig anschickte, Schönberg zu enacten und den 21 Gedichten der Vorlage so etwas wie freie Ideen und irrationale Zuckungen zur Seite zu stellen.

Die Musiker auf der Bühne
ORF.at/Gerald Heidegger
Beeindruckende Installation für einen entrückten Schönberg-Abend

Annäherungen an Schönberg könnte man diese Versuchsanordnung der kapverdischen Choreografin Marlene Monteiro Freitas also nennen. Und rasch wurde klar: Auch alle Mitglieder des Wiener Klangforums würden hier mitspielen und der verdrehten Welt des Pierrot ihren eigenen Schauspielstempel aufdrücken. Doch bevor es so weit war, begann alles mit Versatzstücken eines Klassikers von Prince und Sinead O’Connor. „Nothing Compares 2 U“ in Akkord- und Textfetzen vom Klavier. „Hört mal her, ihr Mäuse“, hätte Frederick bei Leo Lionni gesagt, „so schön und vertraut kann Musik klingen.“ Hier ein F-Dur-Akkord – und auch b-Moll finden wir schön an einem Abend, an dem der Mond aufgeht. Doch man sollte gewarnt sein: „Tell me baby, where did I go wrong?“

Musiker auf der Bühne
Nurith Wagner-Strauss
„Nur der Mann im Mond schaut zu“: eine Reise durch die Versatzstücke der Populärkultur zum Mond – neben Schönberg

„Record“, wenn es ernst wird

Und so streifte der heimliche Leiter dieser Versuchsanordnung den Staubmantel ab und dirigierte sich in einen grotesk assoziativen Schönberg-Abend, bei dem man immer mit dem Schild „Record“ gewarnt wurde: Jetzt ist es das Original. „Der Mondstrahl ist das Ruder“, heißt es ja in einem der Verse aus der Vorlage von Albert Giraud.

Auf dem Boden wanderte eine Lichtscheibe um die Bühne. Hin und wieder wurde sie von den Darstellern erreicht. Konnte, hätte, müsste – alles nicht so streng. In der Mitte saß Sofia Jernberg. Ihr Pierrot versteckte sich unter dem Ornat. Über 70 Minuten blickte sie aus ihrem Habit so heraus, als sei das Kücken gerade aus dem Ei geschlüpft.

Hinweis

„Pierrot lunaire“ ist bei den Festwochen noch am 17., 18. und 19. Juni in der Halle G im Wiener MuseumsQuartier zu sehen.

Ja, was für eine Welt, in der man sich da verlaufen hatte? Die Tradition verdreht wie das Hosentürl beim Priestergewand, das hinten saß (Vorsicht: Anspielung!) und die Textfetzen dazwischen poetisch bis verstörend.

Schlag nach bei Pasolini

„Ho ucciso mio padre, ho mangiato carne umana, ed ora tremo di gioia“ („Ich habe meinen Vater getötet, Menschenfleisch gegessen und jetzt zittere ich vor Glück“), wird Metzmacher sagen (müssen). Das ist maximale Verfremdung. Und ein bisschen auch Intello-Bingo. Das haben wir doch schon einmal gehört. Wer Pasolini wusste, bekam acht Punkte, wer den Film traf – „Porcile“ –, zwölf. Was das alles mit Schönberg zu tun hatte? Alles und nichts.

Musiker auf der Bühne
Nurith Wagner-Strauss
Sofia Jernberg oder: Der Pierrot im Bischofsgewand

Sosehr man die Moderne des weißen Westens hin zu einer postkolonialen Lesart, wie es dieser Tage so schön heißt, öffnen kann, bleibt die Erkenntnis: Mit diesem Werk, das ja die Schönheit in der Freiheit der Assoziation begründet, ist am Ende doch nicht zu spaßen. Leicht gerinnt es zur Karikatur. Und das passierte an diesem Abend. Schönberg wollte die Abkehr vom tonalen Gebäude eben nicht wie noch vielleicht Strauß als eine Kehre raus aus der musikalischen Romantik inszenieren.

Er suchte nach einem neuen Gebäude in beinahe Bach’scher Strenge. Der „Pierrot“ aus dem Jahr 1912 steht genau an dieser Stelle. Ihm mehr Luft zu geben und ebenso viel Lust steht diesem Werk mehr als gut an. Es auf 70 Minuten zu dehnen macht daraus eine seltsame installative Fitnessübung für Bildungsbürger, die nachher eher missgestimmt als poetisch verzaubert in die Sommernacht treten. Die Gastronomie vor der Tür wird es danken. Nüchtern wollte man an diesem Abend nicht heim.