„Wusst‘ ich der Fragen Rat?“ – „Das Rheingold“ an der Deutschen Oper Berlin

DOB/DAS RHEINGOLD/ Foto @ Bernd Uhlig

Mit der Premiere von Richard Wagners „Die Walküre“ schuf der Regisseur Stefan Herheim im September 2020 einen fulminanten Auftakt zu seinem neuen Ring-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin. Pandemiebedingt wurde der Vorabend „Das Rheingold“ nun erst ein Jahr verspätet nachgeholt. Schon im letzten Herbst spaltete der Regisseur sein Publikum in mehrere Lager, zwischen Unverständnis, Hohn und Anerkennung lieferten sich die Kritiken hitzige Diskussionen über Sinn und Unsinn seiner Deutung. Zwar wurde einiges im Programmheft erläutert, viele Fragen blieben in der „Walküre“ jedoch noch unbeantwortet. In seiner Originalität täuschte Stefan Herheim seine Zuschauer und beantwortete im Rheingold nun Fragen, die man sich in der Walküre doch gar nicht gestellt hat. Dieses Rheingold überrascht in mehrfacher Hinsicht und bereitet nun endgültig Lust auf den kompletten Zyklus! (Besuchte Vorstellung am 12.6.21 – Premiere)

 

Auf der leeren, offenen Bühne steht ein Klavier. Das Licht im Auditorium leuchtet noch hell als Wotan den Stein des Anstoßes gibt, indem er den ersten Ton auf dem Klavier spielt. Aus dem Orchestergraben ertönen die Klänge in Es-Dur. Stetig schreitend entwickelt die schon aus der Walküre bekannte Gesellschaft von Geflüchteten, Heimatlosen oder Vertriebenen ihre eigene Geschichte, eindeutig wird die Herkunft dieser Menschen auch hier nicht erklärt. Augenscheinlich befindet sich diese Gesellschaft auf der Suche nach Geborgenheit, Freiheit, eventuell einer Leitfigur. Sie finden erstmalig einen Fixpunkt in der Musik, diese löst die Homogenität der Gruppe auf und provoziert erste Machtkämpfe. Hier skizziert der Regisseur sogleich die Grundproblematik von Wagners Werk. Denn für die Subjektivität eines Einzelnen schließt sich die persönliche, unendliche Freiheit sowie das Unterordnen unter einem Oberhaupt doch kategorisch aus. Kann die Menschheit frei sein, solange sie von einer göttlichen Macht gesteuert wird? Wie kann göttliche Liebe erfahrbar werden, wenn der gefürchtete Gotteszorn doch dem individuellen Freiheitsdrang entgegenwirkt? Und darf ein Gott eingreifen, wenn in der irdischen Gesellschaft ein Wesen wie Alberich über sein angeborenes Potential hinausstrebt und das Leben und Weben von Allen seiner eigenen Macht unterwerfen möchte?

DOB/DAS RHEINGOLD/ Foto @ Bernd Uhlig

Stefan Herheim beweist als Regisseur eindrücklich seine umfangreiche Kenntnis von Libretto, diverser Interpretationsansätze als auch der Rezeptionsgeschichte von Wagners „Der Ring des Nibelungen“. Er arbeitet an der Deutschen Oper Berlin mit allerlei raffinierten Theaterkniffen; jeden Bühnenauftritt einer Figur inszeniert er sorgfältig. Die Genialität seiner Figurencharakterisierung sei exemplarisch an der Szene erläutert, in welcher Wotan den Ring Alberichs raubt, indem er seinen Widersacher überlistet, sich in eine Kröte zu verwandeln. Angesicht seines Siegs über die dunkle Macht wäre dies für Wotan eigentlich ein Augenblick der Freude. Nicht so in Herheims Inszenierung, bei ihm verdüstert sich unmittelbar mit dem Ringerwerb die Stimmung des Göttervaters. Herheim zeichnet hier eine im Wahnsinn zerbrochene Wotanfigur, aufgelöst in Selbstvorwürfen. Der Regisseur hat zu diesem Zeitpunkt den Fluch Alberichs „Wie durch Fluch er mir geriet, verflucht sei dieser Ring“ schon vorweggenommen. Einer Vorhersehung ähnlich versteht Wotan in seiner Weisheit auch ohne Fluch, dass er mit dem Raub des Rings nicht nur die Freiheit Alberichs, sondern die Freiheit sämtlicher Lebewesen aufgehoben hat und damit seine liebende Macht – Wotan liebt die Freiheit wie kein Anderer – unwiederbringlich zerstört hat. Unwissentlich hat Wotan hier schon die Götterdämmerung eingeleitet, in folgerichtiger Konsequenz wird er sich mit seiner Götterschaft schließlich selbst aufheben.

Sein grundlegendes Konzept behält Herheim auch im Rheingold bei: Spielt eine Figur das Klavier, bestimmt diese die Handlung und somit auch das weitere Geschehen auf der Bühne. Ein geistreicher Kniff, denn dadurch werden die diametralen Positionen der zahlreichen Wesen und die daraus sich entwickelnden Konsequenzen auf die Gesellschaft ersichtlich. Diese Komplexität konzentriert Herheim eindrücklich in beispielhafter Personenregie, in welcher er gleich mehrere entgegenläufige Deutungsstränge auf seine Protagonisten verteilt.

DOB/DAS RHEINGOLD/ Foto @ Bernd Uhlig

Während die Deutsche Oper Berlin in der „Walküre“ die Crème de la Crème der internationalen Wagnerstars einlud, bestach das Rheingold diesmal durch eine Ensembleleistung in Idealbesetzung. In den kleineren Rollen überzeugte die samtig-geschmeidige Stimme der Erda von Judit Kutasi oder die gestochen-scharfe Fricka von Annika Schlicht genauso wie die überdrehte und pubertäre Freia von Jacquelyn Stucker. In den größeren Rollen brillierte mit hellem Timbre Markus Brück als nicht sonderlich bedrohlicher, vielmehr raffinierter und listiger Alberich. In diabolischer Perfektion zeigte Thomas Blondelle die mitunter bedeutendste Loge-Darstellung im 21. Jahrhundert, ein Charaktertenor par excellence! Und in der etwas höher angelegten Partie des Rheingold-Wotan hat Derek Welten seine Paraderolle gefunden. In deklamatorischer Brillanz bei sicherer Stimmführung und kultivierter Wortgestaltung verkörperte er diese komplexe Figur in all ihrer Vielschichtigkeit.

In der Walküre klapperte es aus dem Graben noch stellenweiße, diesmal entwickelte sich die musikalische Leistung des Orchesters der Deutschen Oper Berlin unter dem Dirigat ihres GMD Sir Donald Runnicles in eine viel erfreulichere Richtung. Runnicles überzeugte mit einem vitalen, das Ensemble unterstützende Dirigat in harmonisch-geschlossenem Orchesterklang.  Mit fließend-organischen Tempiwechsel bereiteten er und seine Musikerinnern und Musiker einen orchestral spannenden Abend, gleichwohl blieben sie zu sehr im Hintergrund, dem Wagner-Dirigat hätte noch etwas mehr Intensität gutgetan.

Stefan Herheim macht es im Rheingold wieder einmal spannend. Es bleibt kaum abzuwarten, wie er die vielschichtigen Handlungsstränge im „Siegfried“ wieder zusammenführen wird, welche Frage er schlussendlich beantworten wird und wo er die Interpretation seinem Publikum überlässt. Nach dem legendären Bayreuther Castorf-Ring hat es fast zehn Jahre gedauert, bis unter Stefan Herheim endlich wieder ein Ring-Zyklus geschmiedet wurde, der voll von geistreicher Relevanz auf tiefstem Werkverständnis aufbaut und die Rezeptionsgeschichte auch nachhaltig beeinflussen wird.

Chapeau an diesen Regisseur und das Ensemble der Deutschen Oper Berlin!

 

Deutsche Oper Berlin, copyright: Leo Seidel
Deutsche Oper Berlin, copyright: Leo Seidel

Besuchte Vorstellung: Premiere am 12. Juni 2021

Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Deutsche Oper Berlin

 

 

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