Das Machtspiel beginnt ...

Xl_3545b54a-924a-4656-83b5-36339802faa9 © Bernd Uhlig

Deutsche Oper Berlin

Das Rheingold

Musik von Richard Wagner

Premiere am  12. Juni 2021

Besuchte Vorstellung am 22. Juni 2021

Eine Gruppe von Männern und Frauen - nicht weniger als etwa 40 Statisten der Deutschen Oper – ist unterwegs vom ‚Nicht-Mehr‘ ins ‚Noch-Nicht‘, mit Koffern und mit neugieriger und angstvoll-gebannter Mimik. Diese Menschen sind Zeugen und Betroffene des Spiels der nachfolgenden Ring-Tetralogie. Sie sind in der neuen Berliner Produktion von Beginn sichtbar, obwohl sie in der Dichtung erst ganz am Ende erscheinen. Das nachfolgende Spiel wird in die Schicksale dieser schutzbedürftigen Menschen eingreifen. 

Einer der aktiven Spieler ist Alberich, der durch die verführerischen Frauen – die Rheintöchter - abgewiesen und verspottet wird. Er erscheint in der Maske des Jokers aus dem Film Gotham City wie ein zwielichtiger Clown und versinkt in immer tiefere Negativität. In höchster Verzweiflung schwört er für die Zukunft jedweder Liebe ab, um dadurch die Zauberkraft zu gewinnen, das Rheingold zum machtvollen Ring zu schmieden, durch den er die Welt beherrschen will.  

Er neidet Alberich die Macht und raubt schließlich den Ring. Dadurch arbeitet er gegen die Regeln seines eigenen Herrschaftssystem. Alberich besitzt nach dem Raub noch die Kraft, den Ring zu verfluchen. Er wird fortan jedem Tod bringen, der ihn besitzt. Erst als unschuldiges Gold in der Tiefe des Rheins wird der Kreislauf der Vernichtung am Ende der Götterdämmerung – nachdem die Götter in Walhall in Flammen aufgehen - enden.  

Alberich und Wotan sind nicht extrem gegensätzliche Pole der Erzählung, sondern vertreten unterschiedliche Ausprägungen eines Strebens nach Macht, das in beiden Fällen die Welt gefährdet. 

Nicht nur die Menschen, auch die Natur ist gefährdet und gerät aus dem Gleichgewicht: das Gold wird aus der Tiefe des Rheines gestohlen und Wotans Speer, in die er seine Verträge ritzt, wird aus der Weltesche gerissen. Die Göttin Freia, die  den andren ewige Jugend verleiht, wird von Wotan zur Erweiterung seiner Macht  verschachert.

Einer steht ganz außen vor: auf den Intellektuellen Loge, der als einziger die Zusammenhänge zu erkennen scheint und vor Ihnen warnt, wird nicht gehört. Er verschwindet später zügig aus er Handlung. 

Diese Vielzahl der Ebenen und Bedeutungsinhalte wird in spielerisch-bewegter Form verarbeitet. Herheims Ziel ist nicht, ein Interpretationskonzept künstlich geschlossen zu präsentieren und zu überhöhen. Vielmehr wird die Entwicklung der Handlung in ihrer Widersprüchlichkeit mit den sichtbaren Mitteln provisorisch-theatralischer Ausstattung und vielen komischen, bizarren und unterhaltsamen Elementen präsentiert. Dazu gehört viel Situationskomik, a-part Sprechen zum Publikum, sogar Klamauk, allerdings wiederholt mit tödlichem Ausgang. 

Die Ausstattung von Stefan Herheim zusammen mit Silke Bauer beinhaltet auch einen magischen Konzertflügel, der immer wieder von Akteuren, die die Handlung beeinflussen wollen, gespielt wird. Aus ihm und in ihn entsteigen oder verschwinden immer wieder Personen. Die Bühne ist oft durch mannigfaltig zu gestaltende und auszuleuchtende Stoffbahnen (Licht Ulrich Niepel und Video von Torge Møller) ausgefüllt. Handelnde Charaktere können in den Kostümen von Uta Heiseke durchaus auch in Unterwäsche auftreten, bevor sie eine Rolle annehmen und sich dazu erst auf der Bühne bekleiden. 

Aber eines ist dem Regisseur wichtig: er will in dieser Auseinandersetzung von Beginn immer auch die Folgen für die Menschen zeigen, wie um die Motivation Wagners zur Schaffung des Werkes präsent zu halten, der selbst bei den 1848-er Aufständen auf den Barrikaden stand und anschließend aus Sachsen fliehen musste. So sieht man die Menschen als unbehauste Flüchtlinge obdachlos mit Koffern herumirren oder bei den Nibelungen, die für Alberich schuften, mit Stahlhelm und Hitlergruß wie aus Schützengräben steigen.       

Herheim bleibt sich treu - er hat schon in anderen Umsetzungen Wagnerscher Werke eine vergleichbare Themendichte mit einer Fülle von assoziativen Bildern (auch aus der deutschen Geschichte) verarbeitet, z.B. in seinem legendären Parsifal in Bayreuth 2008.

Die Sängerriege ist großartig besetzt und es gibt ausgefeilte Charakterstudien zu bewundern. Allen voran Markus Brück als Alberich. Er vermag in Gesang und Darstellung einen clownesk-unheimlichen, immer verzweifelteren Clown wie im gleichnamigen Film Joker zu geben, der immer unkontrollierter zwischen Komik, Wut und Selbstzerstörung taumelt. 

Gegen den Loge von Thomas Blondelle ist Gustav Gründgens gar nichts. Mit einem eher zurückhaltend formschönen, aber expressiven Tenor und mehr als geschmeidiger Darstellungskunst beherrscht er über weite Teile überzeugend und mit zwielichtiger Komik den Abend.   

Noel Bouley ist kein dröhnender, mit gewaltiger Stimmkraft imponierender Gott. Dieser Wotan entdeckt die Möglichkeiten für Einfluss und Macht erst langsam und lässt sich erst über die Zeit zunehmend zu diesem Spiel verführen. Entsprechend zurückhaltend agiert auch der Sänger beim stimmlichen Einsatz.

Annika Schlicht als Fricka hingegen weiß von Beginn, was sie will und wie sie bleiben will – ihr ausdrucksstarker Mezzo behauptet sich kraftvoll, nicht zuletzt wenn sie den Ehepartner Wotan kontrolliert. Ya-Chung Huang überzeugt als gepeinigter Mime in Wagnermaske mit unerlässlichem Barrett. Die Freia von Jacquelyn Stucker kombiniert ihren stimmliche Darstellung mit äußerst komischem Spiel. Fasolt und Fafner werden von Andrew Harris und Tobias Kehrer bestens vertreten. 

Judit Kutasi ist mit ihrem satten Alt eine respekteinflößende Erda. Donner und Froh werden stimmlich gut und schauspielerisch überzeugend von Thomas Lehmann und Patrick Cook gegeben und die Rheintöchter werden verspielt von Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Kris Tucker gegeben. 

Sir Donald Runnicles leitet als Chefdirigent das Orchester der Deutschen Oper Berlin und passt sich in Duktus und Klangentwicklung dem Bühnenkonzept an. Es gibt keinen donnernden, schrillen und lauten Wagnerton, eher überwiegen die leisen, fein-ziselierten, geschmeidigen Wendungen, die vor allem den Sängern gerecht werden. Dabei gelingt strukturell ein spannender, sich steigernder musikalischer Bogen über den gesamten Abend.    

Vieles wird nach der Betrachtung des Rheingold an der corona-bedingt durcheinander gewürfelten Produktionsfolge des Rings in der Walküre (Premiere im September des letzten Jahres) wesentlich klarer. In der ersten geschlossenen Aufführung des Zyklus zu Beginn der neuen Spielzeit im November wird sich zeigen, wie sich diese Produktion weiterentwickelt. Die Aussichten sind vielversprechend.

Achim Dombrowski

Copyright: Bernd Uhlig

 

 

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