In dieser pandemiegeplagten Zeit, in der wir auf Abstandsregeln bedacht, kein Händeschütteln oder gar eine Umarmung erlaubt sind, kommt eine so körperliche und von sinnlichen Berührungen geprägte Inszenierung wie Andreas Kriegenburgs Rheingold an der Bayerischen Staatsoper als unglaubliche Utopie vor. Bereits die erste Szene mit den übereinander herfallenden, sich im Takt der Musik bewegenden, halbnackten Körper der Tänzer*innen, ist so von menschlicher Nähe und tänzerischer Vereinigung geprägt, dass der Anblick geradezu wie ein Eintauchen in eine andere Welt wirkt. Wenig konnte der Regisseur vor wenigen Jahren ahnen, dass diese Produktion eine solche Wirkung entfalten würde.

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Johannes Martin Kränzle (Alberich)
© Wilfried Hösl

Kriegenburgs nicht nur körper- und bewegungsbetonte, sondern zumeist auch kapitalismuskritische Inszenierung mit seinen beeindruckenden Bildern, entfaltet auch elf  Jahre nach ihrer Premiere noch ihre volle Wirkung. So gehört der Auftritt der beiden Riesen, die auf riesigen Würfeln gepressten Menschenmaterials auftreten, zweifellos zu den wirkmächtigsten Szenen. Die Nibelungen, mit deren Hilfe die Burg gebaut wurde, werden als Ware, als bloße Güter gehandelt. Es visualisiert eindrucksvoll, wie eine gewaltsame Unterdrückung, die Ausbeutung und der Verbrauch der Arbeitskraft, stattfindet. Wie bereits Karl Marx im Kapital formulierte, hat diese Akkumulation von Kapital zwei Seiten. Sie steigert einerseits das Elend der Arbeiter und befördert andererseits immer mehr Kapital in die Hände der Kapitalisten – hier die Riesen, nicht nur deren Erscheinung, sondern auch ihre Gier nimmt megalomanische Züge an. Die Kluft zwischen Kapitalist und Arbeiter vergrößert sich so immer mehr, da letztere sich gezwungen sehen, ihre Arbeitskraft weiterhin zu den Bedingenden der Kapitalisten zu verkaufen. Ähnlich sieht es bei Wagner/Kriegenburg in den Tiefen Nibelheims aus. Dort heißt der Unterdrücker/Kapitalist Alberich und der herrscht mit ebenso roher Gewalt. Eine Darstellung, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

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Matthew Newlin, Christof Fischesser, Mirjam Mesak, Ain Anger, Daniela Sindram
© Wilfried Hösl

In dieser Unterwelt von dantesquem Ausmaß, wo kein Licht hinkommt, dunkle Rauchschwaden aufziehen und aufblitzende Flammen die Nibelungen zur Arbeit, der Suche nach dem Gold, ermahnen – dort herrschen Gier und Angst, da trieft es von Schweiß und Armut. Diese Bilder zeigen, dass es in solch einer kapitalistischen Gesellschaft wenig Gewinner, aber umso mehr Verlierer gibt.

Musikalisch war dieser Abend ein absoluter Gewinn. Bereits die Besetzungsliste ließ Vorfreude aufkommen, die voll erfüllt wurde. Allen voran glänzte Johannes Martin Kränzle, der seinen Alberich mit Furcht heischender Überzeugung darbot. Als schmierige Gestalt mit fettigen Haaren und Goldkettchen wirkte er wie ein personifizierter Lustmolch des 21. Jahrhunderts, der nicht nur das schnelle Geld, sondern auch die schnelle Liebe sucht. Seine Baritonstimme offerierte ein breites Interpretationsspektrum – von geschmeidig-toller Verliebtheit bis hin zu düster-drohenden Verfluchungen – all dies bei deklamatorisch einwandfreiem Gesang und charismatischer Ausführung und kraftvoller Stimme.

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Mirjam Mesak (Freia), Benjamin Bruns (Loge), John Lundgren (Wotan), Daniela Sindram (Fricka)
© Wilfried Hösl

John Lundgren dagegen trat mit souveräner aber vibratoreicher Bassstimme auf. Der Göttervater besaß eine gelassene, dennoch Ehrfurcht gebietende Bühnenpräsenz. Stimmlich und darstellerisch wurde er jedoch von seiner Gattin Fricka in den Schatten gestellt. Daniela Sindrams klare, frei fließende und geradezu schillernde Mezzostimme ließ bereits beim ersten Ton aufhorchen.

Dass der Sänger des Loge den größten Applaus bekommt, scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass sich auch an diesem Abend wieder bestätigte. Benjamin Bruns, der einen selbstsicheren Feuergott darstellte, tat dies mit einer conferencierhaften Gelassenheit. Es war ein stimmlich markanter Charaktertenor mit fantastischer Diktion.

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Judith Kutasi (Erda) und John Lundgren (Wotan)
© Wilfried Hösl

Das Duo der Riesen trat in ebenso glanzvoller Besetzung aus. Christof Fischesser als Fasolt und Ain Anger als Fafner ergänzten sich stimmlich wunderbar. Während Fischesser mit angenehm runder, samtener Bassstimme auftrat, bot Angers voluminös-profunde Stimme ein ausdrucksstark-düsteres Pendant. Alle Rollen waren überaus hochwertig besetzt – so sind Matthew Newlin, als Froh mit glühender Tenorstimme, Nadine Weissmann, als Floßhilde mit voluminös-tragendem Mezzosopran und Erda, gesungen von Judit Kutasi, mit mesmerisierender, soghaft-klarer Stimme.

Der kurzfristig für Valery Gergiev eingesprungene Erik Nielsen leitete das Bayerische Staatsorchester mit einer spannenden, akzentuierten Interpretation des Rheingolds. Das anfangs gemäßigte, gar zurückhaltende Dirigat entlud sich später in einer nicht nur elegant ausbalancierten, sondern geradezu mitreißenden und lebendigen Auslegung Wagners Musik.

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Johannes Martin Kränzle (Alberich) und John Lundgren (Wotan)
© Wilfried Hösl

Alberichs Ausruf „Bin ich denn frei, wirklich frei?“ wird zu einer Frage von geradezu erschreckend fundamentaler Bedeutung. Eine Frage, die man sich dank Kränzles ins Mark gehender Interpretation sofort selbst stellt. Kriegenburgs erster Teil seiner kapitalismuskritischen Ring-Inszenierung hat jedoch wieder gezeigt, dass sie auch in Corona-Zeiten keinerlei Relevanz eingebüßt hat, sondern die Frage nach Freiheit, den Wert unserer Arbeit und die Auswirkungen des Kapitalismus stets relevante Themen sind und bleiben.

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