„Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet“, steht es am Tor zur Hölle geschrieben. Und bei dieser musikalischen Öffnung der Höllenpforte, dem zunächst dumpfen Wabern, dass sich schließlich im lautem Orchestertutti der Blechbläser entlädt, weicht die Hoffnung schnell dem Grauen. Furchteinflößend ist der Eintritt ins Inferno und man ahnt, dass der Weg Dantes durch die neun Kreise der Hölle kein leichter Weg sein wird. Die als Auftragswerk von Oper und Schauspiel Frankfurt entstandene Oper sollte bereits vor über einem Jahr zur Aufführung gebracht werden. Wegen oder Dank der Coronapandemie wird Lucia Ronchettis Inferno nun überaus passend im Dante-Jahr 2021, zu seinem 700. Todestag, zur Premiere gebracht. Zunächst jedoch nur in konzertanter Form. Ein Opernfilm wurde bereits von den Regisseuren Kay Voges und Marcus Lobbes fertiggestellt und wird am 11. Juli ebenfalls im Bockenheimer Depot, zusammen mit der aufgezeichneten Opernmusik, gezeigt.

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Karolina Makuła (Francesca)
© Barbara Aumüller

Dante Alighieris intensive und lebhaft beschriebenen Höllenvisionen bieten eine mehr als ideale Inspiration für die Visualisierung seiner infernalischen Reise auf der Opernbühne. Unter dieser Voraussetzung komponierte Ronchetti eine unglaublich bildliche, atmosphärische und erfahrbare Musik, die in den Köpfen der Zuhörer*innen ganz eigene Höllenvisionen aufflammen lässt, und die tatsächlich auch ohne Bühnenbild funktioniert.

Dank Zuhilfenahme nur dreier Klangquellen – zwölf Pauken für vier Perkussionist*innen, vierzehn Blechbläser*innen und ein Streichquartett – wurde eine transparente Partitur geschaffen, die diese zeitgenössische Musik zugänglich, geradezu verständlich macht. Die instrumentalen Möglichkeiten der Blechblasinstrumente werden ebenso kreativ wie eindringlich ausgenutzt und auch die menschliche Stimme wird instrumentalisiert: der Chor der verlorenen Seelen und die Sünder*innen, denen Dante begegnet, machen ihren Qualen durch Schreien, Zischen, Seufzen und Stöhnen Luft.

Die Raumbühne des Bockenheimer Depots wird voll und ganz ausgenutzt und die Platzierung der Instrumente und Sänger*innen schaffen ein immersives Musikerlebnis. Besonders die Pauken in allen Himmelsrichtungen bilden einen umschließenden Klangrahmen.

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Sebastian Kuschmann (Dante)
© Barbara Aumüller

Die Italienerin Lucia Ronchetti gehört zu den renommiertesten Komponist*innen der Gegenwart und beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit Dante. Ihre Vita schließt u.a. eine Ausbildung am Konservatorium Santa Cecilia in Rom und am IRCAM-Institut in Paris ein. Ihr Schaffen reicht von Opern und Kammeropern für professionelle und Laienensembles bis hin zu musiktheatralischen Experimenten ohne Bühne (von ihr „Drammaturgia“ genannt), die sie an zahlreichen großen Häusern in ganz Europa realisiert hat. 

Ihre Musik entwickelt unter Leitung Tito Ceccherinis von Anfang an eine Soghaftigkeit, derer man sich schwer entziehen kann. Ronchetti nutzt immer wieder musikalische Zitate aus mehreren hundert Jahren Musikgeschichte. Von madrigal-ähnlichen Gesängen, historisierten Klängen, dann plötzlich ein Saltarello, dann wieder kontrastierende Kakophonie – bei Ronchetti ist alles vertreten, sodass man meint, einmal sogar einen überaus blechernen, verfremdeten Walkürenritt zu hören. Geradezu humorvoll ist ihr Umgang mit dem Werk, wenn sie vorm Auftritt des Teufels zwei (Teufels)Geiger spielen lässt, die an die virtuosen Capricen Paganinis erinnern.

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Tito Ceccherini
© Barbara Aumüller

Ronchetti arrangierte Dantes Inferno neu und konzentriert sich dabei auf neun Szenen, in die sie ihre Oper unterteilt. Dante schickt sie jedoch nicht wie in der Originalfassung mit dem römischen Dichter Vergil auf die Reise, sondern lässt den Poeten allein durch die Tiefen der Hölle schreiten. Stattdessen teilt sie seine Rolle in fünf Personen auf – einen Sprecher (Sebastian Kuschmann) und vier Sänger (hervorragend besetzt mit dem Countertenor Jan Jakub Monowid, Tenor Matthew Swensen, Bariton Sebasstian Geyer und Bass Eric Ander). Dieses Vokalquartett stellt Dantes innere Stimme dar, während Kuschmann auf intensive und packende Weise durch die Handlung führt.

Ronchetti wählte für diese Oper ein paar der bekanntesten Erzählungen des Infernos aus: Von Francesca da Riminis tragischer Liebesgeschichte oder den Bandenräuber Vanni Fucci, der die Kirche bestohlen hat. Dante begegnet seinem ehemaligen Lehrer Brunetto Latini bei den Sodomiten und erkennt den Selbstmörder Pier della Vigna im Wald der Harpyen. Auch die ebenso grausame wie tragische Geschichte über Ugolino della Gherardesca, der eingesperrt im Hungerturm zum Kannibalen über seine Kinder wurde, lässt sie nicht aus.

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Inferno
© Barbara Aumüller

Die Szene mit Francesca da Rimini, die mit ihrem Liebhaber Paolo Malatesta beim Ehebruch erwischt wurde, wird besonders eindringlich geschildert und bezeugt exemplarisch Ronchettis Kompositionsstil. Nach langem, musikalisch elegant stilisierten Schluchzen beginnt Karolina Makuła als Francesca tränen-schön zu singen, um letztlich wieder in groteske Ausbrüche zu verfallen.

Da Dantes Inferno der versöhnliche Ausklang fehlt, ist an diese Version ein Epilog angehängt. Von Schriftsteller Tiziano Scarpa verfasst, lässt er Luzifer in der tiefsten Hölle, der Giudecca, zu Wort kommen, der redet und doch nichts sagt. Stimmungsvoll, als absoluter Negativpol des Geschehens, wird der Monolog vom Schumann Quartett begleitet. Der dreiköpfige Fürst der Unterwelt endet mit den Worten: „Ich sage nichts. Hast du den Mut, mir zuzuhören?“

Die Göttliche Komödie als Opernstoff zu verarbeiten kommt einer Mammutaufgabe der Tragweite Wagners Ring des Nibelungen gleich. Die Reduktion auf das Inferno und den damit bekanntesten Teil seiner Commedia stellt einen klugen Kompromiss dar, der in Frankfurt souverän und packend umgesetzt wurde. Ronchettis Komposition und ihre Umsetzung im Bockenheimer Depot gehen eine ideale Verbindung ein, der man sich gern hingibt. Denn Dantes Werk wird so zu neuem Leben erweckt und seine Geschichten über die Menschen und das Florenz seiner Zeit ziehen uns auch 700 Jahre nach seinem Tod noch in seinen Bann.

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