Lange blieb es im Frankfurter Opernhaus still. Während der Pandemie verbot die überaus strenge hessische Landesregierung jegliche Opernproduktionen, lediglich ein Liederabend oder eine konzertante Aufführung war nach anfänglichenLockerungen möglich. Nach über einem Jahr findet nun endlich wieder eine inszenierte Opernpremiere statt – dazu auch noch eine Frankfurter Erstaufführung. Statt des großen Paukenschlags entschied man sich mit Francis Poulencs Dialogues des Carmélites für ein unaufgeregtes und selten gespieltes Werk, das psychologisch aufgeladen und dennoch voller Brisanz ist.

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Maria Bengtsson (Blanche)
© Barbara Aumüller

Die auf den wahren Begebenheiten basierende Geschichte um die Karmeliterinnen von Compiègne, die 1794 im Zuge der französischen Revolution hingerichtet wurden, wird recht frei behandelt und dreht sich in Poulencs Bearbeitung vorrangig um das Leben der Novizin Blanche de la Force, die sich den Namen Blanche von der Todesangst Christi gegeben hat. Diese Angst wird zum zentralen Thema der Oper und wird von Regisseur Claus Guth zur Schlüsselemotion, die ihr Handeln stets bestimmt. Blanche flüchtet sich aus Angst vorm Leben in das Kloster. Verzweifelt sucht sie Halt und einen festen Platz in der Gesellschaft. Ohne Mutter aufgewachsen will sie diesen im Kreise der Schwestern und Mutter Oberin finden.

Blanche, deren Mutter bei ihrer Geburt starb, ist seitdem von Visionen geplagt und gefangen in ihrer Angst, denn immer wieder scheint sie ihre eigene Vergangenheit einzuholen. Guth belegt einige Rollen doppelt, sodass ihr Bruder und Vater in einer anderen Rolle wieder im Kloster erscheinen, und auch ihre Mutter kreuzt als stumme Rolle immer wieder ihren Weg. Blanche wird von ihrem alten Leben eingeholt und findet keinen Abschluss. So wird diese Oper zu einer inneren Reise, ihren Mut zu finden, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und ihre Vergangenheit zu überwinden.

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Amber Braid (Madame Lidoine) und Maria Bengtsson (Blanche)
© Barbara Aumüller

Maria Bengtsson schuf eine eindringliche Personenzeichnung, einer verlorenen Seele, die es schließlich schafft, eine mutige Entscheidung zu treffen. Stimmlich zwar nicht ideal besetzt, beeindruckte Bengtsson dennoch mit zart gehauchten Pianissimi und leidenschaftlicher Interpretation. Claudia Mahnkes einzigartige, markante und dramatische Mezzostimme gehörte zu den eindringlichsten Darstellungen dieser Premiere und bekam an diesem Abend den in Frankfurt überaus selten zuteil werdenden Titel der Kammersängerin verliehen. Florina Ilie bestach als Constance mit leuchtend leichter Sopranstimme, während Ambur Braid mit ihrer hypnotisierenden, dunkelgefärbten Stimme ein wirkungsvolles Pendant schuf. Elena Zilio verkörperte Madame de Croissy als abgeklärte Äbtissin mit temperamentvoller und variationsreicher Stimme.

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Marleen Jakob (Marquise de la Force), Maria Bengtsson, Davide Damiani und Jonathan Abernethy
© Barbara Aumüller

Der Oper wurde eine liturgische Komposition Poulencs, eine der vier Motetten für eine Zeit der Buße, vorangestellt, um die tragische Vorgeschichte um den Tod Blanches Mutter zu erzählen und das Geschehen spirituell einzuleiten. Takeshi Moriuchi, Dirigent und Studienleiter an der Oper Frankfurt, entwickelte eigens für diese Neuproduktion eine coronakonforme Partitur, bei der er vor allem die Anzahl der Blechbläser verringerte, aber die Zahl der Streichinstrumente beibehielt.

Dieser streicherlastige Klang, nahm unter der musikalischen Leitung der litauischen Dirigentin Giedrė Šlekytė recht expressionistische Züge an, jedoch fehlte der Interpretation eine solides Fundament und der diese Oper bezeichnende voluminöse Klang. Dem Dirigat mangelte es an einem groß gespannten dramatischen Bogen, stattdessen blieb die musikalische Ausführung kontrastarm und wenig eindrucksvoll.

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Maria Bengtsson (Blanche)
© Barbara Aumüller

Alles in allem vermochte auch Claus Guths Produktion keine kohärente Dramatik aufzubauen. Trotz vereinzelt starker Bilder wirkte vieles vorhersehbar und pauschalisierend. Er griff stattdessen auf altbewährte Visualisierungen zurück, die man von vielen seiner vorangegangenen Inszenierungen bereits kennt.

Das kühle Bühnenbild, die entweder unendlich weiten oder klaustrophobisch beengten Räume, die sich ständig drehende Bühne lassen Blanche keinen Halt, keine Ruhe und Geborgenheit finden. Sie wird zur ständig Getriebenen. Trotz eines durchwachsenen Abends bleibt Dialogues des Carmélites eine Geschichte, die berührt und mitfühlen lässt.

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