Tiroler Festspiele Erl – „Das Rheingold“ eröffnet den Fassbaender-Ring

Rheingold/Tiroler Festspiele Erl Sommer 2021/ Foto @ Xiomara Bender

Premierenwochenende bei den Tiroler Festspielen in Erl: Einen Tag nach der Eröffnungspremiere „Königskinder“ von Engelbert Humperdincks folgt sogleich der Auftakt zu einem neuen Ring-Zyklus in der Regie von Brigitte Fassbaender. (Rezension der Premiere v. 10. Juli 2021)

 

Zunächst wirken die Tiroler Festspiele jenen von Bayreuth gar nicht mal so unähnlich. Auch die Spielstätte im idyllischen Erl liegt abseits einer Metropole in der Provinz, das Festspielhaus thront auf einem grünen Hügel – ganz wie in der fränkischen Kleinstadt. In Erl pflegt man eine Wagner-Tradition und das Orchester bleibt für das Publikum hinter der Szene platziert unsichtbar und die Holzbänke im Passionsspielhaus, der Spielstätte für den neuen Ring-Zyklus, sind sicherlich so unbequem wie jene in Bayreuth. Und doch sind die Tiroler Festspiele Erl erfrischend anders, denn hier singen nicht die üblichen Wagner-Stars, sondern junge und besonders ambitionierte Sängerinnern und Sänger, die sich mitunter erst am Ausgangspunkt ihrer möglichen Weltkarriere befinden. Sie erproben sich hier in Wagner-Rollendebüts.

Der Intendant der Oper Frankfurt, Bernd Loebe, leitet seit zwei Jahren die Tiroler Festspiele Erl und beweist dort die Festspieltauglichkeit seines Frankfurter Erfolgsrezepts. An der Oper Frankfurt hat sich Loebe über die letzten zwei Jahrzehnte als Stimmenkenner schlechthin bewiesen und eines der weltbesten Opernensembles aufgebaut. Auch dieses neue „Rheingold“ in Erl bestach durch zahlreiche schon in Frankfurt beliebte Solisten. Loebe weiß genau, wann welcher Sänger oder Sängerin für eine Rolle bereit ist, schont deren Stimmen und vermeidet somit Fehlbesetzungen.

Rheingold/Tiroler Festspiele Erl Sommer 2021/ Foto @ Xiomara Bender

Als erfahrene Regisseurin steht ihm die legendäre Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender für den neuen Ring-Zyklus zur Seite. Sie verzichtet in ihrer Inszenierung auf ausufernde und aufwendige Regietheater-Ideen und erzählt sehr librettogetreu die Geschichte vom Raub des Rheingolds und der Misere der Göttersippschaft Wallhalls, jedoch nicht ohne das Geschehen visuell in die Neuzeit zu holen und die Götter nur allzu menschlich darzustellen. So verdeutlicht sie die immanente Aktualität des Werks. Auf der Bühne dienen lediglich einige wenige Requisiten als Unterstützung – beispielsweise Koffer, die den Einzug nach Walhall verbildlichen. Ansonsten stellt Fassbaender ganz die Mimik, Gestik und das Spiel in den Vordergrund ihrer Deutung. Dabei entwickelt sie mit zahlreichen Seitenhandlungen vertiefte Charakterstudien für alle noch so kleinen Partien dieser Oper. Beispielsweise hat sich Froh in ihrer Inszenierung in die Göttin Freie verliebt, Loge scharwenzelt mit so ziemlich jeder weiblichen Gestalt herum und Freia gibt dem Gott Donner die Inspiration zum Wolkenverzug.

„Das Rheingold“ ist eine Ensembleoper wie keine andere Richard Wagners, sodass die 15 kleinen bis mittelgroßen Rollen – die richtigen Mörderpartien wie Brünnhilde folgen erst in den drei weiteren Teilen – mit zahlreichen Rollendebüts junger Sängerinnen und Sängern besetzt werden konnten.

Der Dirigent Erik Nielsen und die Regisseurin Brigitte Fassbaender haben gute Arbeit geleistet und sämtliche Rollen akribisch mit ihren Ensemble einstudiert. Die meisten Sänger*innen haben deutsch zur Fremdsprache und überzeugten dennoch durchwegs mit verständlicher Aussprache und einem sicht- und hörbar manifestiertem Rollenverständnis.

Simon Bailey in der Rolle das Göttervaters Wotan zeigte sich als ein Sänger auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Mit seiner rauen Stimme und einer deutlichen Aussprache liegt ihm die Partie des Rheingold-Wotans schlicht ideal. Aber auch optisch mit seinen grauen Haaren und Bart nahm man ihm die Darstellung seiner Rolle vollends ab.

Herrlich selbstsicher und Zwietracht stiftend trat Ian Koziara im neongelben Kostüm als Feuergott Loge auf. Auch wenn seine Stimme nicht ganz den Anforderungen des Charakterfachs entsprach, überzeugte er mit souveräner Darstellung. Koziara verfügte über eine glänzende Stimme mit wunderschönem Timbre, dank welcher er sicherlich in wenigen Jahren als Parsifal oder Lohengrin die Herzen des Opernpublikums erobern kann.

Rheingold/Tiroler Festspiele Erl Sommer 2021/ Foto @ Xiomara Bender

Thomas Faulkner schien als Riese Fasolt mit einer samtenen und klangschönen Stimme fast schon ein wenig zu harmoniebedürftig – man empfand gar Sympathie mit ihm! Faulkner gegenüber gab Anthony Robin Schneider mit düsterer Klangfarbe einen erbarmungslosem Riesen Fafner.

Zum Höhepunkt der Aufführung wurde die Darstellung von Craig Colclough in der Rolle des Zwerg Alberichs. Bei sicherer Stimmführung mit einem furchteinflößenden Timbre, dabei unübertroffen in Mimik und Gestik, verkörperte er zwischen Hohn, Pein und Scham jede Gefühlswallung dieser wohl tragischsten Figur Richard Wagners.

Erst in der letzten Woche dirigierte Erik Nielsen “Das Rheingold“ bei den Münchner Opernfestspielen in Starbesetzung. Im Passionsspielhaus Erl entstand unter seiner Leitung ein schöner Mischklang, in welchem er einen Sinn für die großen musikalischen Bögen demonstrierte. Durch die präsente Darstellung des Solistenensembles, das abgetrennt durch einen schwarzen Vorhang vor dem unsichtbaren Orchester sang und spielte, gerieten die Details seiner Orchesterarbeit jedoch etwas in den Hintergrund.

Rheingold/Tiroler Festspiele Erl Sommer 2021/ Foto @ Xiomara Bender

Die Besetzung der in den nächsten Jahren folgenden Premieren von Wagners Ring-Zyklus wird sicherlich eine Herausforderung werden, denn alles steht und fällt mit den überaus anspruchsvollen Partien von Brünnhilde, Siegmund und natürlich Siegfried. Wir vertrauen aber weiterhin auf das glückliche Händchen von Bernd Loebe im Casting und das gründliche Rollenstudium mit Regisseurin Brigitte Fassbaender und Dirigent Erik Nielsen.

Noch sind einzelne Karten für die weiteren Festspielvorstellungen erhältlich. Die An- und Abreise nach Erl ist auch ohne eigenen PKW mit Shuttle-Bussen von den umliegenden Bahnhöfen Kufstein und Oberaudorf möglich. Von dort verkehren Anschlusszüge nach München, Rosenheim und Innsbruck.

 

Orchester der Tiroler Festspiele Erl

Musikalische Leitung Erik Nielsen

Regie Brigitte Fassbaender

Bühnenbild & Kostüme Kaspar Glarner

Licht Jan Hartmann

Video Design Bibi Abel

Dramaturgie Mareike Wink

Wotan: Simon Bailey

Loge: Ian Koziara

Alberich: Craig Colclough

Mime: George Vincent Humphrey

Fricka: Dshamilja Kaiser

Erda: Judita Nagyová

Fasolt: Thomas Faulkner

Fafner: Anthony Robin Schneider

Donner: Manuel Walser

Froh: Brian Michael Moore

Freia: Monika Buczkowska

Woglinde: Ilia Staple

Wellgunde: Florence Losseau

Floßhilde: Katharina Magiera

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Festspiele Erl / Stückeseite
  • Titelfoto: Rheingold/Tiroler Festspiele Erl Sommer 2021/ Foto @ Xiomara Bender

 

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