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Meinung Oper Frankfurt

Plumps! Ich probe meinen Tod

Freier Feuilletonmitarbeiter
Die erste richtige Opernnovität zum Spielzeitfinale: Claus Guth ist an der Frankfurter Oper mit Francis Poulencs querständigen „Dialogen der Karmelitinnen“ ein spannender, optisch interessanter Wurf geglückt

Es ist gelb! Es ist blau! Sie beten tanzend! Dabei ist es eindeutig eine Claus-Guth-Inszenierung, die sich mal wieder in der traumatisch frühkindlichen Erfahrung der Hauptfigur verbohrt, die einen abstrakten Schauplatz wählt, die als szenische Metapher Doppelgängerinnen und sogar eine Wiedergängerin bemüht, die an Institutionen zweifelt und nach einem Alternativschluss für ein eigentlich eindeutiges Finale sucht.

Und trotzdem ist dem manchmal in seinen Erfolgsformeln allzu berechenbaren Regisseur bei der ersten richtigen Opernnovität zum Spielzeitfinale in Frankfurt mit Poulencs „Dialoge der Karmelitinnen“ ein intellektueller, optisch spannender Wurf geglückt. Der, es ist schließlich Musiktheater, auch tönend sehr fein auf der Habenseite zu verbuchen ist.

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Zunächst sieht man mit Genuss gänzlich andere Guth-Räume, auch abstrakt, eher leer und kühl, aber von ganz überraschender Ornamentik. Martina Segna hat das Kloster der Ordensschwestern, in den sich die adelige Blanche de la Force flüchtet, um vor ihren Phobien, aber auch vor der sich in Frankreich revolutionär verdüsternden Lage durch den katholischen Glauben geschützt zu sein, als abweisend anthrazitfarbenen, mit stacheliger Pyramidentextur versehenen Kubus gestaltet, der durch Drehung eine tröstlich weiße Innenseite offenbart.

Querständiges Werk

Später, wenn das Revolutionstribunal die Religion und die Gläubigen an ihrem letzten, von einer flachen Lamellenstruktur gekennzeichneten Rückzugsort als Feinde ausmerzt, mutiert ein Hoteltresen in einem durchbrochenen Designhalle zur zynische Todesurteilempfangsstation. Und statt des auch in der packenden Finalmusik unter dem gottvertrauenden Nonnenhymnus zu hörenden Fallbeils sieht man die Doubles der schließlich, wenn auch womöglich wahnsinnig zu Gott findenden Blanche von ihr selbst gestoßen rückwärts ins Nichts plumpsen: Sie probt ihren Tod.

So kann man Francis Poulencs nach wie vor querständiges wie faszinierendes Werk, 1957 als eine der letzten repertoiretauglichen Opern an der Mailänder Scala herausgekommen und nun endlich auch in Frankfurt erstaufgeführt, gleichzeitig umgehen und doch im Kern treffen. Denn natürlich war ihm mit den „Dialogues des Carmelites“ – und auch der ursprünglichen Autorin Getrud von Le Fort in ihrer auf ein historisches Geschehen verweisenden Novelle „Die Letzte am Schafott“ – Glaube und das darauf bauende Martyrium der am 17. Juli 1794 in Paris durch die Guillotine hingerichteten 16 Schwestern von Compiègne wichtig. Aber genauso bestimmend für diese eben dialogisierende, argumentieren, selten nur ariose Oper ist die Angst und ihre Überwindung, auch weltlicher Neid, Stolz, Ehrgeiz, Todesfurcht, der die Ordensfrauen ebenso beherrscht.

Deswegen gehen diese singenden, hier auch ihre Hymnen rhythmisch ritualhaft bewegend verstärkenden Nonnen eben doch uns vielleicht total atheistischen Opernbesucher an, berühren und bewegen. Poulenc gelingen nämlich vor allem wundervoll variantenreiche, auch von Guth plastisch herausgearbeitete Charakterbilder. Da ist die engelhafte Naivität der Mitnovizin Sœur Constance, die Florina Ilie zart und schlicht zu gestalten weiß. Abwägend im Dienste Gottes wie der Gemeinschaft, aber letztlich machtlos agiert Madame Lidonie, die neue Priorin; was Ambur Braid hervorragend zwischen Vorpreschen und Zurückhaltung mit dramatisch großer Stimme vorführt.

Blanche als Borderline-Figur

Die abgeklärte, aber auch zuchtvolle alte Priorin Madame der Croissy entwickelt hingegen im qualvollen Sterben unerwartete Todesangst. Die weltweit geschätzte Mezzoveteranin Elena Zilio führt das lustvoll als scharfgeschnittenen Charakterstudie vor, Guth erweitert aber das Spektrum der Partie und lässt sie schon anfangs gemütvoll rauchend auf einem „Silentium“-Schriftzeichen sitzen. Später geistert sie als mahnende Erscheinung durch das Gemüt der Blanche und über die Szene.

Die Hauptantagonisten, neben den beiden familiären, aber episodischen Männerfiguren Vater und Bruder (hervorragend, auch in weiteren Auftritten: Davide Damiani und Jonathan Abernethy) sind freilich Blanche und die erst schroff ambitionierte, später emphatische Mère Marie, die Blanche in den Schoss des Glaubens zurückholt und im gemeinsamen Tod Frieden finden lässt. Guth misstraut dem, indem er Blanche als Borderline-Figur zeichnet, immer wieder in grellem Gelb von dem Indigoblau der Ordensgewänder abgehoben. Dauernd erlebt sie das Sterben der Mutter bei ihrer Geburt drastisch nach. Auch alle Religionsinsignien fasst Guth nur mit spitzen Regiefingern an. Und so bleibt letztlich offen, ob Blanche wirklich in die Gemeinschaft zurückfindet, oder ob sie sich das Ende nur mit Doppelgängern herbei fantasiert.

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Klar ist allerdings: Die bannend lyrische, gleichzeitig reife, verlorene und in ihrem Soprankern strahlende Maria Bengtsson als Blanche und die rüde, aber doch mitfühlende, in vielen Nuancierungen schwankende, abgeklärt erfahrene Claudia Mahnke (Marie) tragen souverän Abend und Anliegen. Auch weil die forsche, immer auf Schwung und trotzdem weite Bögen setzende Giedre Slekyte, am Pult des strukturklaren Opern- und Museumsorchester ihnen ein makelloses, nur leicht zahlenmäßig reduziertes Klangfundament bereitet.

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