Bayerische Staatsoper: Ein bisschen Kunst zum Abschied

Mit Mozarts «Idomeneo» endet nach dreizehn Jahren die Ära von Nikolaus Bachler in München. Die Produktion wirkt wie ein ästhetisches Résumé – im Guten wie im Schlechten.

Marco Frei, München
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Bespielbare Kunst: Olga Kulchynska (Ilia) und Emily D’Angelo (Idamante) in der Münchner Neuproduktion von Mozarts «Idomeneo».

Bespielbare Kunst: Olga Kulchynska (Ilia) und Emily D’Angelo (Idamante) in der Münchner Neuproduktion von Mozarts «Idomeneo».

Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Seinen Abschied hat er gross inszeniert. Es ist jedenfalls gewiss kein Zufall, dass Nikolaus Bachler für die allerletzte Neuproduktion seiner Amtszeit als Intendant der Bayerischen Staatsoper die britische Künstlerin Phyllida Barlow engagiert hat. In ihren raumfüllenden, teilweise riesenhaften Skulpturen verarbeitet sie Alltagsmaterialien, Sperrmüll, Abfall, Strandgut. An der Biennale in Venedig hatte sie 2017 den britischen Pavillon entworfen, und noch bis zum Sonntag zeigt das Haus der Kunst in München eine umfassende Retrospektive.

Für die Neuinszenierung des immerhin einst in München uraufgeführten «Idomeneo» von Wolfgang Amadeus Mozart durch den Regisseur Antú Romero Nunes, der seit dieser Spielzeit Teil der Schauspieldirektion in Basel ist, hat Barlow nun die Bühne entworfen. Auf den ersten Blick ist das eine gute Wahl. Immerhin geht es um den König von Kreta, der nach allerlei Wirren seine bröckelnde Macht an seinen Sohn Idamante und dessen Geliebte Ilia abgibt. Eine Ordnung liegt in Trümmern und mit ihr eine ganze Welt. Diese Lesart wird von Nunes betont.

Skulptur mit Beschallung

Nun hinterlässt Bachler an der Bayerischen Staatsoper beileibe kein Trümmerfeld, und mit Serge Dorny folgt ihm ein ambitionierter und vielversprechender Intendant nach. Trotzdem wird der selbstbewusste Bachler seinen Abschied aus München selbst als das Ende einer grossen Ära empfinden. Dazu passt das «Retro-Gerümpel» im Vintage-Stil von Barlow ganz gut. Es nimmt die ganze Bühne ein, besetzt übermächtig die Szenerie. Was anfangs noch wie klobiges Geröll aussieht, gleicht bald einem verfallenen Schiffsanleger, einem bunkerähnlichen Gemäuer, beweglichen Wellenbrechern oder halb verwitterten Wrackteilen.

Das macht optisch einiges her, nutzt sich aber als einziges Stil- und Spielmittel schnell ab, zumal weder die Regie von Nunes noch die Kostüme von Victoria Behr einen Kontrapunkt setzen. Dieses ästhetisierende, vor allem visuell wirksame «Deko-Theater» – nicht zu verwechseln mit diskursiv anspruchsvollem Regietheater – hat Bachler in München über die Jahre oft zelebriert. Hier erfährt es einen finalen Höhepunkt: Strenggenommen ist die Inszenierung nichts anderes als eine riesige Skulptur, die mit Musik beschallt wird.

Für diese Beschallung hat der Dirigent der Produktion, Constantinos Carydis, eine «pointierte Fassung» des «Idomeneo» erstellt. Sie integriert so viel Musik, wie selbst bei der Uraufführung des Werks in München 1781 nicht erklungen ist. Dazu zählen die seinerzeit vermutlich gestrichenen Arien «D’Oreste, d’Aiace» der Elettra und «Torna la pace» von Idomeneo. Auch die zwei Arbace-Arien sind jetzt zu hören, ebenso die 1786 nachkomponierte Idamante-Arie «Non temer, amato bene» KV 490, in München allerdings nicht für Tenor, sondern für den Mezzosopran von Emily D’Angelo transponiert.

Ausserdem hat Carydis die originalen Balletteinlagen wieder aufgenommen, die nach der Uraufführung in München zumeist gestrichen wurden, und das Orchester um Hammerklavier, Orgel, Laute und Barockgitarre ergänzt. Damit betont Carydis die Provenienz dieses Werks aus dem Geist der französischen Barockoper, was allerdings nur ein Aspekt ist. Dass die Balletteinlagen insgesamt überzeugen können, ist dem Münchner Staatsopern-Ballett und der Choreografie von Dustin Klein zu verdanken. Sie versuchen eine moderat moderne Übersetzung des Tanzes.

Trotzdem können auch sie nicht verhindern, dass das Ergebnis ähnlich aufgebläht wirkt wie die riesenhaften Skulpturen Barlows. Bereits in der Ouvertüre erklingt zunächst eine spätere Bühnenmusik, und wenn Idamante im letzten Akt schmerzerfüllt umherirrt, begleitet ihn die d-Moll-Fantasie für Klavier von 1784. Das mag atmosphärisch passen, hat allerdings nichts mit «Idomeneo» zu tun, sondern eher mit der Klangwelt des späteren «Don Giovanni» und des berühmten Klavierkonzerts KV 466 in derselben dunklen Tonart.

Ein aufrichtig Liebender

Dass Bachler in seiner letzten Neuproduktion für München alle Kräfte des Hauses zusammenführt – eben auch das Ballett –, ist als ein demonstratives Vermächtnis zu verstehen, ähnlich wie die Skulpturen Barlows. Umso irritierender wirkt da, dass die Musik und der Gesang, sonst fast immer eine zentrale Stärke des Münchner Hauses, diesmal die hohen Erwartungen nur in Teilen erfüllen können.

Im Bayerischen Staatsorchester etwa wackelt bisweilen die Intonation, trotz einer feinen Ausbalancierung der Dynamik und der Farbgebung. Ein echter Griff in die Mottenkiste ist überdies die Besetzung des Idamante mit einer Frauenstimme. Bei der Uraufführung hat Mozart diese Rolle mit einem Alt-Kastraten besetzt. Heutige Countertenöre wären längst in der Lage, diese Partie zu meistern. Zwar passt das dunkel gefärbte, auch herbe Timbre von Emily D’Angelo durchaus, freilich irritiert an der Premiere ihr Dauervibrato. Im Duett mit dem weichen Sopran von Olga Kulchynska als Ilia ergeben sich dennoch schöne Kontrastwirkungen.

Leider kann der gaumige, etwas matte Tenor von Martin Mitterrutzner als Idomeneos Vertrauer Arbace nur bedingt überzeugen, obwohl für diese Partie eigens die zusätzlichen Arien integriert wurden. Dafür aber glänzt Matthew Polenzani als Idomeneo: Wie dieser König mit sich selbst und den Göttern ringt, um seinen Sohn nicht opfern zu müssen, das ist ein starkes Erlebnis. Die nuancenreiche Durchdringung von Polenzani macht auch deutlich, wie sehr die Betonung des Vater-Sohn-Konflikts durch die Regie zu kurz greift.

Dieser Idomeneo ist kein strenger Tyrann, sondern ein aufrichtig Liebender. Genau das wird hörbar, wenn Polenzani die Stimme in Haltetönen dynamisch an- und abschwellen lässt – in allerbester Messa-di-Voce-Manier. Und zum Glück überzeugt auch Hanna-Elisabeth Müller als eine packende Elettra: Mit fesselnder, dramatischer Präsenz gestaltet sie diese Höllenpartie, nimmt sich aber auch die Zeit für gestochen klar artikulierte Koloraturen. Am Ende beschmiert sich die gramvoll Rachsüchtige mit pechschwarzem Teer und ersäuft sich selbst in dem zähflüssigen Brei. Auch auf diese Weise kann man wirkungsvoll einen Abschied zelebrieren.

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