Mozart und München: zur Fertigstellung des Idomeneo, Auftragswerk des bayerischen Kurfürsten Carl Theodor für die damalige Karnevalssaison, hatte Mozart im November 1780 sogar in München Quartier bezogen, wo er intensiv die Qualitäten der verfügbaren Sänger sowie der Hofkapelle studierte, die stark von Musikern der ehemals brillanten Mannheimer Kapelle geprägt war. Im jetzigen Cuvilliés-Theater erlebte Idomeneo im Januar 1781 seine Première, wurde zuletzt 2008 nach Sanierung des Theaters dort von Dieter Dorn neu inszeniert, und ist nach 240 Jahren nun die „Dernière“ der Ära des Intendanten Nikolaus Bachler im Prinzregententheater, dessen größere Bühne mehr Spielraum bietet.

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Idomeneo
© Wilfried Hösl

Bachler hatte auf der Biennale 2017 in Venedig die britische Bildhauerin Phyllida Barlow kennengelernt, deren monumentale Skulpturen aus steinartig groben Materialien aus einer fantasie- und kraftvollen Vermengung zwischen Zivilisation und Natur entsprungen sein könnten. Für Barlow ist es die erste Beschäftigung mit Bühnenbildern und Opernmedium; ihre riesigen Felsformationen, Wellenbrecher und ein überdimensionaler verwitterter Schiffssteg bekommen eigenes Leben auf der Bühne, geben das schicksalhaft Bedrohliche ebenso wieder wie die Öffnung des Blicks in neue, noch ungedachte Perspektiven. Dass die Verschiebung dieser Kulissen Unruhe erzeugt, Sänger beim Erklimmen des Nistkasten-artigen Liebesnests alpin gesichert werden müssen, lenkt bisweilen die Konzentration ab.

Der junge Regisseur Antú Romero Nunes, derzeit tätig in der Schauspieldirektion am Theater Basel, hat in München bereits Guillaume Tell und Les Vêpres siciliennes inszeniert. Er verzichtet auf eine eindeutige zeitliche Verortung des Werks, lässt das Sängerensemble lebhaft agieren, schafft zusammen mit der Ausstattung und Kostümen von Victoria Behr ein oft buntes, von warmen mediterranen Pastellfarben aus dem Spektrum zwischen Gelb und Rot geprägtes Ambiente.

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Emily D'Angelo (Idamante)
© Wilfried Hösl

Immer wieder geht es in der griechischen Mythologie um kaum entwirrbare schicksalhafte Konflikte, hier in der Verknotung der Leben von Vater und Sohn: den Kreterkönig Idomeneo, heimwärts nach langem trojanischen Krieg, hatte der Meeresgott Poseidon aus Seenot ans Land gespült für das Gelübde, ihm dort die erste begegnende Person zu opfern. Dies ist nun leider sein Sohn Idamante, der, vom Volk geliebt, den Vater am Königshof vertreten hatte. Wie in einer Potenzierung wird die Situation noch auswegloser, da Idamante die im Krieg gefangene trojanische Prinzessin Ilia an seiner Seite haben möchte, der Vater eigentlich die griechische Prinzessin Elettra favorisiert, Tochter seines Kriegsfreundes Priamos.

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Idomeneo
© Wilfried Hösl

Mozart verlässt in seiner faszinierenden Vertonung den bis dahin frühklassisch ausgestalteten Stil; Rezitative sind keine einfache Beschreibung des Handlungsverlaufs mehr, sondern reflektieren bereits Gefühle und Ringen um Entscheidungen. Arien verschärfen den Blick nach innen, lassen die Zeit stillstehen; bravouröse Koloraturen sind nur noch eines der Mittel dramatischer Zuspitzung. Seelenpein und Loslassen: dem gut gelaunten Münchner Karnevals-Publikum schreibt Mozart Einlagesätze für ein Ballett, das besonders die Milde der Götter, Idamante nicht zu opfern, und Idomeneos Rückzug zu Gunsten einer jüngeren, aufgeklärten Generation von Idamante und Ilia feiern will. Im Münchner Prinzregententheater gelingt das in der Choreographie von Dustin Klein besonders farbenprächtig, artistisch, oft in dritter Dimension an Seilen, und schließlich von seelischer Bedrückung befreiend.

Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters erwies sich Constantinos Carydis als intensiv gestaltender Mozart-Experte, der eine pointierte Fassung der Oper inklusive oft gestrichener Nummern erstellt hatte. Bereits vor der Ouvertüre erklingt eine der Ballettnummern, wie eine südländische Straßenmusik bewegt auf der Bühne musiziert. Das klassische Instrumentarium wurde um Erzlaute und Barockgitarre in der Arienbegleitung erweitert, Hammerklavier und Orgelpositiv setzten dem reichen Klangfarben-Spektrum weitere Schlaglichter auf. Geschmeidig, dabei energiegeladen und wendig, mit vielen instrumentalen Details ausgezeichnet präsentierte sich das Staatsorchester bei hoch schäumendem, aber immer auch kontrolliertem Temperament.

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Hanna-Elisabeth Müller (Elettra)
© Wilfried Hösl

Im Titelpart beeindruckte Matthew Polenzani schauspielerisch wie stimmlich durch Stilgefühl und reiche Phrasierung. In seinem weich timbrierten Tenor konnte er die ganze Palette seelischer Qualen glaubhaft machen, Ausstrahlung gewinnen bei forciert heldenhaftem Aufbäumen ebenso wie mit wunderbarer Pianokultur in schmerzhaften Schicksalsschlägen.

Am Ende soll Idomeneo nicht länger herrschen, eine junge Generation mit Idamante und Ilia Frieden stiften. Poseidon gibt sich zufrieden, der Götterhimmel ist versöhnt. Mozart hatte den Idamante in der Uraufführung mit einem Kastraten besetzt, für spätere Aufführungen den Part auch transponiert für Tenor oder weibliche Mezzolage. In diesem Rollenportrait begeisterte Emily D'Angelo mit kraftvollem, jugendlich strahlendem Mezzo, der facettenreich die Liebe zum Vater ebenso wie die Erwiderung von Ilias Zuneigung sinnlich wie virtuos darzustellen wusste. Da wurde die Frage der Stimmlage zur Nebensache.

Wunderbar liebe wie leidenswillige Züge gab Olga Kulchynska der Ilia, die Milde und Zuneigung als Sklavin erlebt hatte, sich selbst für Idamante opfern will. In ihrem gerade im Pianissimo betörenden Stimmklang setzte sie die Wärme südländischer Pastelltöne der Inszenierung atemberaubend fort.

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Matthew Polenzani (Idomeneo) und Olga Kulchynska (Ilia)
© Wilfried Hösl

In diesem Spiel ist Elettra die große Verliererin; sie hat nichts falsch gemacht und landet doch im Verderben. Sie will nicht den Triumph der Rivalin ansehen, dem Bruder Orest in finstere Abgründe folgen. Hanna-Elisabeth Müller formte lodernd scharfe Töne, echte Wahnsinnsarien einer griechischen Tragödie; eine musikalische Spitzenleistung in aufwühlendem und nervenaufreibendem Spiel, bis zum sinnfälligen Übergießen mit einem Eimer flüssigen Pechs.

Spannungsreich gestaltete Martin Mitterrutzner den Arbace, der Idomeneo berät und selbst das drohende Seeungeheuer Poseidons aufhält. Vielbeschäftigt und stimmlich exzellent die Staatsopernchöre (Stellario Fagone), die als Kreter mitreißend für ein quirlig turbulentes Bühnengeschehen sorgten. Absolut Festspiel-würdig!

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