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Klassik Bayerische Staatsoper

Ende einer Dienstzeit

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„Idomeneo“ in München „Idomeneo“ in München
„Idomeneo“ in München
Quelle: Wilfried Hösl
Nach 13 Jahren verabschiedet sich Nikolaus Bachler als Intendant der Münchner Oper. Zum Abschied bringt er die vier großen Premieren der Stadthistorie auf die Bühne – mit einem so schönen wie seltsamen „Idomeneo“.

Ob das Angela Merkel nach dem 26. September auch so machen wird? Eine Stulle auswickeln, den Bierblechdosendeckel schnalzen lassen und entspannt zusehen, wie nun andere ihren Kanzlerinnenmantel und damit die Macht tragen müssen? Der König von Kreta hat jedenfalls an seinen glücklich geretteten, mit der Frau seiner Wahl vermählten Sohn übergeben. Und freut sich jetzt an einem ausufernden Hippieballett.

Das ist der einzige intellektuell etwas dürftige Deutungsmoment in der „Idomeneo“-Neuinszenierung des im Theater gehypten Regiestars Antú Romero Nunez, der auch im dritten Münchner Opernanlauf nicht nachweisen kann, dass er für Musiktheater ein sonderlich glückliches Händchen hätte. Ja, dass ihn dessen Besonderheiten und Herausforderungen überhaupt interessierten. Zum Glück aber interessiert das wiederum am Ende dieses grandios musizierten Abends nicht mehr wirklich.

1781, 1865, 1920, 1978 – das sind vier Schlüsselzahlen der Münchner Operngeschichte. In diesen Jahren wurden Mozarts „Idomeneo“, Wagners „Tristan und Isolde“, Braunfels‘ „Die Vögel“ und Reimanns „Lear“ im Cuvilliés- und im Nationaltheater uraufgeführt. Und dieses Quartett höchst unterschiedlicher Opern hat der scheidende Intendant Nikolaus Bachler ziemlich klug auf den Spielplan seiner 13. und letzten, unter dem etwas schiefen Rilke-Diktum „Der wendende Punkt“ stehenden Saison gesetzt.

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Rückblick auf die Vergangenheit, die neu auf den Prüfstand gestellt wird, mit den Augen unserer Zeit gesehen werden will und muss. Oper als – wenn auch meistenteils inhaltlich aus der Historie gespeist – trotzdem lebendige Kunstform. Eigentlich hätte dem eine Uraufführung antworten sollen, auch ein großes Thema, „Timon of Athens“ von Luca Francesconi. Doch das verhinderten nicht etwa die unerwarteten Restriktionen der nunmehr zweiten Theatersaison unter Pandemiebedingungen. Der Tonsetzer scheiterte an sich. Auch das kommt vor. Aber alle anderen vier Premieren konnten wunderbarerweise stattfinden, sogar live, wenn auch teilweise vor nur 50 Zuschauern.

Seine allerletzte Münchner Premiere widmete Nikolaus Bachler also nun stimmig dem genialischen, erst in den letzten vierzig Jahren wirklich in den Repertoirekanon aufgenommenen Spätjugendwerk Mozarts, wo sich die eigene Abnabelung vom ambitionierten Vater ausgerechnet in der tragischen Konstellation des von Neptun verfluchten, seinen Sohn opfern müssenden Kreterkönigs spiegelt. Und in dem Mozart – so experimentierfreudig wie sonst nie mehr – die alte, längst starr und hohl gewordene italienische Opera-Seria-Ordnung mit der dramaturgisch glaubwürdigeren, dem Chor bedeutenden Raum gebenden französischen tragédie lyrique ungestüm verschneidet.

Spätbarocke Schnörkel

Musikalisch ist diese nunmehr siebte Münchner Neuinszenierung seit der Urpremiere ein ganz großer Wurf. Der sich durchaus messen kann mit den umstürzlerischen Bemühungen von Nikolaus Harnoncourt, dem der „Idomeneo“ immer besonders lieb war. Und anders als in seiner Münchner „Figaro“- und seiner Salzburger „Zauberflöte“-Premiere ist der abenteuerlustige Dirigent Constantinos Carydis hier ganz bei sich und bestens ausbalanciert. Neben einer abwechslungsreichen Continuo-Gruppe für die Rezitative kann das freudvoll aufspielende Staatsorchester das Meer wüten und krachen, die Chöre aufheulen und barmen lassen. Es findet zudem Zeit für die lyrisch-kontemplativen Momente dieser kostbar bunten Partitur, die spätbarocken Koloraturschnörkel und die hinreißend gesponnenen Melodien.

So gelingt eine aufregende, souveräne, vielgestaltige und theatralische Lesart. Die auch von den Sängern mitgetragen wird: Von Matthew Polenzanis machtvoll-wendigem, immer wieder seinen dunklen Tenor zurücknehmenden Idomeneo. Über Emily D’Angelo, die erstmals in München die Kastratenrolle des Sohnes Idamante nicht als Tenor, sondern als Mezzo singt, ein wenig flackernd und metallisch. Bis zu dessen mit fraulichen Farben aufwartenden Braut Ilia von Olga Kulchynska und zur rachsüchtigen Prinzessin Elettra von Hanna-Elisabeth Müller, die ihr Temperament der wild-wütenden Schlussarie zukommen lässt. Auch der abwägende Arbace Martin Mitterrutzners tritt aus seinem Nebenrollendasein.

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Die Partitur wird komplett, inklusive Ballett, aufgeführt und ein wenig innerhalb der Arien gekürzt. Idomeneos Schlussarie bricht ab, als die Musiker einfach abtreten. Manches wirkt auch etwas zeigefingernd. So wie Nunes erst einmal Griechisches vom Band brabbeln lässt, gibt es vor der packenden Ouvertüre noch Passepied-Getändel im nebeligen Halbdunkel. Das nachkomponierte, dann in ein Konzert-Rondo mit Hammerklavier verwandelte „Non temer“ wird eingeschoben. Nach dem grandiosen Quartett, als eigentlich alles gesagt ist, gibt es zusätzlich noch die fragmentarische Klavierfantasie in D. Das kann, müsste aber auch nicht sein.

Zumal die rein dekorative Inszenierung auf das alles nicht antwortet, sich über fast vier Stunden als Installationskonzert im Kostüm mit Gerenne und Getanze präsentiert. Eine Beziehung zu den dominanten Bildobjekten der Künstlerin Phyllida Barlow wie zu den Figuren untereinander stellt sich nicht her. Ein aufgebockter Blutfelsen, ein Ausguckpfahl, zwei Baumhäuschen aus Industrieschrott und eine pfeilerbewehrte Rampe werden geschoben und stehen da. Hässlich sind Victoria Behrs Overalls und die fiesen Vokuhila-Frisuren, die die Kreter als Seventies-Kommune vorführen.

„Idomeneo“ an der Bayerischen Staatsoper
„Idomeneo“ an der Bayerischen Staatsoper
Quelle: Wilfried Hösl
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Starke Musik, schwaches Bild. Das war oft das Fazit in den 13 Münchner Bachler-Jahren. Vom Burgtheater, den Wiener Festwochen und der Volksoper kommend, konnte der ehemalige, längst zum Direktor gereifte Schauspieler am Münchner Nationaltheater von Peter Jonas und Zubin Mehta, von Kent Nagano weniger, ein bestens bestelltes Haus übernehmen. Geld war da, Ruhm sowieso und ein spendabler, die Spitze der Stadtgesellschaft repräsentierender Freundeskreis. Denn im residenzstädtischen München, wo die Wittelsbacher immer noch bei jeder Premiere huldvoll aus ihrer Hofloge nicken, funktioniert das Prinzip Oper als Ort glanzvoller Abendunterhaltung nach wie vor.

Wie sein Vorgänger hat Nikolaus Bachler zwar sein Intendantenlicht PR-wirksam leuchten lassen, aber als Person populär wurde er im Stadtgefüge nicht. Er wollte es auch kaum. Immer ist etwas Abwägendes, Kaltes, auch Einsames um diesen trotzdem ums Geliebtsein buhlenden Machtmenschen. Doch er wusste souverän die Münchner Knöpfe zu drücken. Wo ihm selbst die Stimmkenntnis fehlte, da hatte er mit dem freien Vokalkenner Pal Christian Moe einen der besten der Branche engagiert. Dass er mit dem langfristigen Engagement des hier wohnenden Jonas Kaufmann das größte Peter-Jonas-Versäumnis wettmachen konnte, hat Bachler schnell verstanden. So wie er es nutzte, dass sich der Tenor Kaufmann und Anja Harteros als eine der weltbesten Sopranistinnen so ideal zum Bühnenpaar ergänzen.

Nikolaus Bachler
Nikolaus Bachler

Mit professionellen Opernregisseuren konnte der Schauspielmann Bachler kaum etwas anfangen, meist inszenierten in München Theater- und Filmregisseure, oft Bildende Künstler. Uraufführungen gab es wenig, Barockoper fast gar nicht mehr, dafür viel Italienisches. Wenige Regisseure hat Bachler entdeckt, viele hier gefördert, manche Theaterleute auch vergeblich. Aber immer war dem Publikum klar, es würde inhaltlich gefordert sein, auch wenn das versprochene Konzept oft allenfalls prätentiöses Herumstehen in schrägem Ambiente war.

Immer abgefedert wurde dies durch das Engagement von Kirill Petrenko, den Bachler aus seiner Wiener Zeit kannte und für den die Münchner Generalmusikdirektorenzeit zum rechten Zeitpunkt kam, nachdem der ungeliebte Nagano abgewickelt war. Das Opernstudio blühte ebenfalls wieder auf. Und so sind in diesen 13 Jahren der Glanz der Bayerischen Staatsoper noch heller geworden. Das Haus steht nach wie vor einzigartig da. Denn weltweit kann ihm in Sachen Sängerpracht, Orchesterkönnen, Ambiente, Ausstrahlung und inhaltlich fokussiert zeitgenössischer Ausrichtung sonst kein Opernhaus das Wasser reichen.

Zudem hat Nikolaus Bachler das Haus mit deutlichen Forderungen an die Politik, Empathie für seine Mitarbeiter und Gastkünstler und nicht zuletzt mit Streaming und Fortüne durch die Pandemie manövriert. Es wird sich zeigen, ob der nunmehr 70-Jährige seinem Vermächtnis bei den nächsten Salzburger Osterfestspielen noch Nennenswertes hinzufügen kann. Mit Stulle und Bierdose können wir ihn uns aber auch dort ganz gewiss nicht vorstellen.

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