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Kultur Mozart in Salzburg

Don Giovanni lebt hier nicht mehr

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Das Ende des Missbrauchers: Davide Luciano in Romeo Castelluccis Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni" Das Ende des Missbrauchers: Davide Luciano in Romeo Castelluccis Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni"
Das Ende des Missbrauchers: Davide Luciano in Romeo Castelluccis Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni"
Quelle: dpa
„Der ungewöhnlichste Giovanni, den die Welt je gesehen hat“ sollte sie werden, Romeo Castelluccis neue Inszenierung von Mozarts Oper bei den Salzburger Festspielen. Das wurde er tatsächlich. Auch dank des Dirigenten Teodor Currentzis. Aber leider ganz anders als gedacht.

Das hat es in Salzburg noch nie geben: Das große Festspielhaus, der Laufsteg der Society samt Karajans megalomaner, diesmal bis zum letzten Breitwandzentimeter ausgenutzten Cinemascope-Bühnenfront, es wird zum absoluten Ort der bildenden Kunst.

Romeo Castellucci, bisweilen kreativ provokativ, aber eben auch skandalsuchend, für Regie, Bühne, Kostüm und Licht zuständig, macht sich Mozart untertan und zelebriert vier sich arg ziehende Stunden lang eine „Don Giovanni“-Installation in Schwanenweiß mit viel Bedeutungsnebel.

Er zeigt edle, eigentlich nie aufrüttelnde Tableaux mit Sängergarnierung und Mozart-Soundtrack. Den wiederum kräuselt, knallt, kaugummidehnt sich der gern als Guru ausgerufene Grieche Teodor Currentzis am Pult so zurecht, wie er es will.

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„Don Giovanni“, die erste Oper die bei den Salzburger Musikfestspielen 1923 noch auf deutsch als „Don Juan“ erklang, sie wird in deren 101. Jahr ein wenig mutwillig gemetzelt und gefleddert, totschlagen kann man sie ja nicht. Dabei wird sie scheinbar doch ungekürzt gespielt – und ist schnell das unwichtigste Element dieses eitel auftrumpfenden, bedeutungshubernden Abends.

Der freilich wird zum kritiklos bejubelten Triumph originalitätssüchtiger Adepten über ein hier nur noch unter ferner liefen existentes Meisterwerk. Das Publikum genießt, labt sich an der lange entbehrten Musik, an gespreizt ausgestellten schönen Klangstellen und erlesen inszenierten, mal rätselhaften, mal banalen, sehr oft kitschigen Arienarrangements, denen pfeilschnell jegliche Story abhanden kommt.

„Der ungewöhnlichste Giovanni, den die Welt je gesehen hat“, das versprach Intendant Markus Hinterhäuser. Und das ist voll eingetroffen. Nur dass Giovanni, zumindest in diesem Sommer, nicht mehr in Salzburg lebt.

Dabei ist er doch, neben dem Faust, der einzige moderne Mythos, der zudem ganz und gar heutig wie aktuell von Macht und ihrem Missbrauch kündet, der den bösen weißen Mann als Macho bis auf seine angstvoll vor der Hölle klappernden und doch nichts bereuenden Knochen skelettiert.

Da gäbe es in der #MeToo-Ära viel zu erzählen. Castellucci aber verweigert sich dem, es interessiert ihn gar nicht. Nicht mal einen finalen Knalleffekt gibt es, das Pulver überflüssiger Ideen wurde offenbar schon vorher verschossen.

Am Ende stirbt der Don in gleißender Helle, von der jenseitigen Stimme des von ihm ermordeten Komturs (kraftvoll konturiert: Mika Kalas) aus dem Off begleitet, am Ganzkörpergenuss von weißer Farbe. Dann ist der besudelte Nackte weg.

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Die Hinterbliebenen singen ihr Sextett, was nochmals – verweile doch, du einfach nur schöner Musikmoment – zur Ausspreizung zusätzlicher Verzierungsschnörkel genutzt wird; sogar der Chor tönt, was gar nicht in der Partitur steht. Und Helferlein tragen weiße Figuren zwischen George Segal und ausgegossenen Pompei-Leichen herein. Die Protagonisten erstarren in ästhetischer Anordnung und gehen davon.

Ein weiterer, schicker Memento-Mori-Augenblick im wohlfeilen Vanitas-Ringelpietz. Aber nach so viel Wartezeit als Auflösung ziemlich dürftig. So wie auch schon das erste Finale, wenn nach der Vergewaltigungsparty ein schick dekorierter, höchst künstlerischer Zivilisationsmüllhaufen bliebt. Sogar mit Beethoven-Büste!

Über Don Giovanni allerdings, sein Werden, sein Sein, sein Verlöschen, haben wir in 240 zäh verstreichender Minuten Lebenszeit nichts Neues erfahren. Aber viele Geistesblitze eines Dekorateurs erlebt, zu dessen Tun als akustische Begleitfolie Mozart herhalten muss. Missbraucht wird er dabei nicht, dazu ist er zum Glück zu robust und autark.

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Aber ausgerechnet vom Dirigenten wird er misshandelt. Und – schlimmer noch – von dessen Hammerklavierspielerin Maria Shabashova, die sich besonders im zweiten Akt mit schrillen, atonalen, in Mollverzückungen exhibitionistisch windend, maßlos in den Vordergrund klappert.

Sind wir wirklich so angeödet, dass wir solche entstellenden Gaumenkitzel brauchen, um unsere genussüberfrachteten Papillen noch irgendwie orgasmisch reizen zu können?

Ja, auch damit hat Markus Hinterhäuser recht, Solches können sich nur Festspiele leisten. Aus einer besonders an diesem Ort oft gesehenen Mozart-Oper eine Langzeit-Performance zu machen, in deutlicher Venedig-Biennale-Vorbildfolge von Anne Imhof 2017 im deutschen und 2019 von Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė and Lina Lapelytė mit ihrem Strandurlaub vivante im Litauen-Pavillon. Aber solches nun einem Musiktheaterfestival aufzudrücken, das ist kühn. Beim Premierenpublikum hat es funktioniert. Wie bei der weniger problematischen „Salome“ Castelluccis 2018.

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Minutenlange Stille. Während der räumen Arbeiter eine weiße Barockkirche aus, hebeln Stuckfiguren weg, schieben Bänke hinaus, entfernen Tabernakel, Bilder und Kruzifix. Auch in seiner Leere atmet der profanisierte Raum gleißende Hoheit. Und Romeo Castellucci hat gezeigt, wer hier der absolute Herr im Haus für Mozart ist.

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Dann legt die Ouvertüre los, wie üblich gestaut von Currentzis und ruckelig, dann wieder mit überlangen Dehnungsfugen. Seine Gefolgsleute des mönchischen musicAeterna-Orchesters spielen das entspannter, weichgezeichneter, laufenlassender als früher. Der wütende Gestaltungsfuror ist Revoluzzer-Noblesse gewichen. Das klingt bisweilen delikat, aber selbstbesoffen, suhlt sich in Feinheit und verliert trotzdem das Unmittelbare der Bühne.

Es ist nach dem wirklich tollen „Titus“ von 2017, dem schon stärker auf dem Prokrustesbett der Erwartungshaltung liegenden und diese nicht vollbefriedigenden „Idomeneo“ von 2019 jetzt Currentzis‘ schwächster Salzburger Mozart. Manieriert verzopft, ohne die agogische Freiheit, die Farbenvielfalt seines griechischen Kollegen Carydis im aktuellen Münchner „Idomeneo“. Was einmal kühn war, ist bereits Schablone, aus der er kaum mehr herauskommt.

Zur drängenden d-Moll-Düsternis des Vorspiels läuft eine Ziege durchs leere Bild. Eine Feuerlinie flackert. Eine Nackte huscht im Hintergrund vorbei. Und dann wird es dunkel und eine Limousine kracht von oben auf die Szene. Dahinter kriecht Leporello hervor. Mag das „Don Giovanni“-Spiel, das bis jetzt nur ein Bilderreigen ist und solches bleiben wird, endlich beginnen. Mit noch mehr fallsüchtigen Objekten. Einem Konzertflügel, einem Rollstuhl, vielen, später abgestochenen Basketbällen.

Es gibt eurythmische Erinnyen für die hysterische Donna Anna, zwei Pudel für Don Ottavio und eine Ratte samt auf dem Besetzungszettel aufgeführten Tiertrainern. Nur Dürers Hase ist per Kopie anwesend. Und ein Kopiergerät kopuliert zu alle Damen-Dates des Don aufzählenden Registerarie Leporellos.

Der und sein Diener sind zwillingsgleich in weißen Anzügen. Eine Geschichte wird nicht draus, genauso wenig wie die süffig singenden Baritone Davide Luciano und Vito Priante plastische Kontur gewinnen. Sie sind nur elegante Versatzstücke im überladenen Requisitenspiel.

Don Ottavio wird noch dümmer gemacht

Etwa wenn sich Giovanni, sehr kompliziert ausgedacht, mit einem roten Fesselband, einer Nackten, einem Bäumchen samt goldenem Paradiesapfel und Zerlina (apfelfrischfruchtig: Anna Lucia Richter) zum „Là ci darem la mano“-Duett niederlegt während ihr Masetto (vergeblich aufbegehrend: David Steffens) in eine Kiste gesperrt wird.

Eine makellos vokalisierende Leerstelle bleibt die handtaschenbewehrte Donna Elvira von Frederica Lombardi. Der dumme Ottavio wird noch dümmer als eitler Kostümgockel mitleidlos ausgestellt, mal mit Skiausrüstung, mal mit Marlene-Schwanenflaummantel zwischen Heizkörpern und einem Totenschädel. Der anbetungswürdige Spitzentenor Michael Spyres singt das mit grandioser Würde, und kein anderer Sänger würde bei solchen, verhungern lassenden Tempi trotzdem Koloraturappetit machen.

Die Anna der herrlich zartfühlenden Nadesha Pavlova – eifersüchtig gehütet von Currentzis – kann es sich leisten, ihre silbrig timbrierten Zaubertöne flötengleich schweben zu lassen. Aber selbst sie zahlt den Teodor-Tribut, alles atmende Figurenleben zu verlieren, zum kostbar drapierten Artefakt zu erstarren.

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Eingerahmt wird sie in ihrer letzten Arie nämlich von 150 Salzburgerinnen, die, der prägende Deko-Gimmick des zweiten Aktes, als weibliches, natürlich auch Gehandicapte inkludierendes Empowerment dem übergriffigen Kerl entgegentreten sollen. Schnell aber verzwergen sie zum lebenden Ringelreihen-Bühnenbild in rosaweiß verfließender Hängekleidchen-Mischtechnik.

Eine Mozart-Oper als endloser Videoclip. Mit stetig mehr zerbröselnder Tonspur. Ein neuer Opernweg? Ein ins Leere laufende Klangkunstaustellung. Eine Einbahnstraße mit totem Ende.

Statt eines Regisseurs mit dem Installateur Castellucci. Das Festspielhaus als Dependance der Galerie Ropac. Originell. Das schon. Dann aber lieber die Getreidegasse: Deren Amadeus-Souvenirhölle ist wenigstens schonungslos ehrlich.

Arte zeigt die Aufzeichnung am 7. August um 22 Uhr.

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