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Don Giovanni in Salzburg: Das Prinzip Don G.

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Donna Anna, Nadezhda Pavlova, wird umflutet von Frauen in Pastell.
Donna Anna, Nadezhda Pavlova, wird umflutet von Frauen in Pastell. © Monika Ritterhaus/SF

Wie klingt ein Klavier, das aus großer Höhe herunterstürzt? Romeo Castellucci bringt Mozart auf die Bühne bei den Salzburger Festspielen und scheut keinen Aufwand und auch sonst wenig.

Don Giovanni ist eine schockierend rücksichtslose Figur, zuletzt auch gegen sich selbst. Den Druck, unter dem er steht – ein Frauenjäger, dem im Verlauf einer stundenlangen Oper nichts Rechtes mehr gelingen will –, realisiert er kaum, seine Unverdrossenheit gibt ihm eine eigene Noblesse, während er praktisch minütlich und durch gesellschaftliche Stellung und Geld weitgehend geschützt Tatbestände für eine Anzeige wegen sexueller Belästigung, Nötigung, versuchter Vergewaltigung erfüllt.

In der modernen Welt ist noch weniger Platz für ihn, als Mozart und sein Librettist da Ponte ahnen konnten, obwohl sie es, das gehört zur Größe dieser Oper, im Grunde schon zeigen: Die Oper „Don Giovanni“ trägt nicht zu einer „Die wollen es doch auch“-Legende bei, und die schönsten, in der Welt hier draußen ewig weitergesummten Liebeslieder der Welt gehen auf der Bühne ins Leere, wenn Don Giovanni sie singt. Nicht umsonst steht er diesmal beim Ständchen für Donna Elviras Zofe auf einer Leiter, um ihn herum das reine Nichts. Es wäre heute nicht mehr allein ein spielverderbendes Dreierbündnis – Donna Anna, Don Ottavio, Donna Elvira, denen unsere Großeltern noch den Vorwurf der Spießigkeit machten –, das sich gegen ihn verschworen hätte, es wäre der geballte und gerechte Zorn einer MeToo-Bewegung.

Es gibt keinen Anlass, Don Giovanni zu verteidigen, der zugleich ein phänomenales Individuum und ein Prinzip zu sein scheint. Zum phänomenalen Individuum gehört die Bereitschaft, lieber zur Hölle zu fahren als einzulenken, gehört die bis heute imposante Freiheit, sich nicht um Gott zu kümmern, selbst als dieser die Muskeln spielen lässt. Zum Prinzip gehört der unbewusste, aber durchschlagende Drang zur Zerstörung und zum Chaos. Letzteres hat der Regisseur Romeo Castellucci vorab hervorgehoben und in seiner Inszenierung – der von Teodor Currentzis dirigierten zentralen Opernneuproduktion der diesjährigen Salzburger Festspiele – auch rigoros umgesetzt.

Das Ganze ist eine Riesensache, das muss man zunächst einmal feststellen. Das Prinzip Chaos lässt sich vom Prinzip Festspiele darstellen wie nirgends sonst, der neue „Don Giovanni“ ist überhaupt ein Triumph des Prinzips Festspiele, denn während die Prinzipien walten, bekommt das Publikum noch dazu Spektakel und Augenweide geboten. Die Bühne des Großen Festspielhauses ist gerade groß genug dafür. Ein Auto fällt von der Decke. Ein Klavier fällt von der Decke. Was glauben Sie, was das für Geräusche macht. Vom Graben aus lässt sich Currentzis mit dem Music-Aeterna Orchestra nicht nur an dieser Stelle alle Zeit der Welt. Bild und Ton greifen ineinander wie selten, und als Leporello seinen Herrn auffordert, doch von den Frauen zu lassen, entsteht angesichts dieser ungeheuerlichen Zumutung die vermutlich größte Kunstpause, die es je in einem „Don Giovanni“ gab.

Zur Ouvertüre wird ein schneeweiß gestrichener Kirchenraum von einem Arbeitertrupp ausgeräumt, Bänke, Statuen, Gemälde, liturgisches Gerät, schließlich das Kruzifix, an dessen Stelle nachher ein Basketballkorb hängen wird. Gabelstapler surren. Als nur noch der weiße Raum da ist, kann Castelluccis Spiel, auch von ihm selbst ausgestattet, beginnen.

Der erste Akt gehört Don Giovanni, auch darum passieren wohl viele seltsame und sinnlose Dinge. Etliche davon trickreich, auch regelrecht zaubertrickreich gestaltet (wo kommt das Kind jetzt her, woher die nackte Dame?) und beiläufig. Eine Ziege läuft über die Bühne. Als das heruntergestürzte Klavier zertrümmert da liegt und der enorme Klang verhallt ist – einer der krassen Vorgänge, die der Produktion Exklusivität bescheren, sieben Vorstellungen, sieben Klaviere –, kann Don Giovanni immer noch darauf spielen. Don Giovanni, Zerstörer und Zerstörerlein, hat eingangs einen Hammer dabei. Nachher trümmert er mit einem Baseballschläger eine Frauenfigur. Auch in diesem ersten Akt sind bereits viele Frauen respektive Frauenbeine zu sehen. Das Erotische daran bleibt bürgerlich schlüpfrig.

Zwanglos entwickelt sich die Handlung im ästhetisch stets ansprechend belebten Weißraum. Dazu tragen Doppelungen und Vervielfachungen bei, die verzweifelte Donna Anna von einer Art lebendigen Schleppe umtanzt (Choreografie: Cindy Van Acker), Donna Elvira durch eine schwangere Doppelgängerin ergänzt. Don Giovanni selbst ist im strahlend weißen Anzug von seinem Leporello nicht zu unterscheiden, Masetto wird aus der Entfernung zum Dritten im Bunde der schmucken jungen Bartträger in Weiß. Die Unruhe des Titelhelden spiegelt sich in Castelluccis Bebilderung ohne Unterlass wider, unmöglich, dass einmal nichts passieren würde, alles aber immer so, dass es schön ist. Schön und rätselhaft, eine stille, nicht zu stoppende Bilder- und Ideenflut, gegen die Castelluccis aufsehenerregende Salzburger „Salome“ von 2019 geradezu zurückhaltend wirkt.

Der zweite Teil gehört den Frauen, im Programmheft als „Frauen aus Salzburg“ angekündigt. In einer nicht endenden Bewegungschoreografie sind zu den Tänzerinnen (und Statisten, ein personeller Aufwand, der schon vor der in Salzburg eh praktisch als beendet erklärten Coronakrise ein Hammer gewesen wäre) nun noch 150 Salzburgerinnen anwesend. Sie strömen auf die Bühne, formieren sich zu Linien und zum Dreieck, umwallen Anna, verfolgen Giovanni, eilen und schlendern als Gruppe und in Grüppchen: nicht direkt ein lebendig gewordener Ausschnitt aus der Leporelloliste, aber doch eine reichhaltige Vertretung der Gruppe Menschen, um die es hier geht. Ein Abend über Männer und Frauen. Es gibt kein Zueinander.

Die Frauen tragen Pastellfarbenes, dann sehen sie nackt aus, ohne nackt zu sein, dann tragen sie wieder anderes Pastellfarbenes. Das Friedliche der Bilder trifft im Kopf auf eine Stelle, an der man denkt, dass Männer niemals so dargestellt würden und was das aussagt über Frauen und die, die sie so darstellen. Übergänge zum Kitsch, die im Gleiten, Flattern und Schönsein immer in der Nähe sind, könnten Castellucci offenbar nicht gleichgültiger sein.

Für die individuelle Ausgestaltung der Rollen ist das ein etwas undankbares Umfeld, die Regie macht jeden zum Rädchen im Großen und Ganzen. Auch ein Stimmenfest ist bei sehr guter, sehr homogener Gesamtleistung offenbar nicht der Plan. Vielleicht lenkt an dieser Stelle die Bilderflut doch auch ab – aber nicht von der eigenwilligen Darbietung des auf historischen Instrumenten und mit Hammerklavier-Continuo einen angeschärften, schlanken, sehr gelenkigen Mozart spielenden Orchesters. Meistens stehen die Musikerinnen und Musiker, an der Rückwand des Grabens stellen sich nachher die Chorsänger auf.

Definitiv eigen bleiben die Frauen: Nadezhda Pavlova ist eine stimmlich überragende, fast übergroße Donna Anna, Federica Lombardi das menschlichere Pendant Donna Elvira, Anna Lucia Richter eine Zerlina von goldenem Liebreiz. Ihr Masetto, der grimmige David Steffens, ist der einzige Glückspilz der Veranstaltung. Davide Luciano beeindruckt als topfitter Giovanni, der die „Champagner-Arie“ im Discolicht des hierfür eigens hochgefahrenen Grabens weit über das Tempolimit hinaus singt. Vito Priante als Doppelgänger-Leporello ist auch stimmlich auf gleicher Ebene. Seine Register-Arie wird von den Illustrationen überlagert, zwei Druckern in diesem Fall, die unangenehm ans Büro erinnern.

Ein besonderer Fall ist Annas glückloser Dauerverlobter Don Ottavio, von Michael Spyres mit einem auch in den bizarren Ottavio-Höhen ungewöhnlich angenehm wirkenden Tenor ausgestattet. Castellucci schickt ihn in eine Modenschau der „Helden“ vom Kreuzfahrer bis zum Astronauten, macht ihn durch eine neckische Pudelbegleitung zugleich ein wenig lächerlich. Hoffnung, dass es für Anna und ihn noch gut ausgehen könnte, wird zu keinem Zeitpunkt geweckt.

Das Ende: eine Glanzleistung von Davide Luciano und eine außergewöhnliche Höllenfahrt, von der gar nicht zu sagen ist, wie groß ihre Wirkung erst gewesen wäre, wenn das Individuum Giovanni in dieser Inszenierung eine größere Rolle gespielt hätte. Nicht die Frauen, das wäre auch platt gewesen (aber wir hatten Befürchtungen in dieser Richtung), übernehmen den Vollzug der göttlichen Rache am fundamental respektlosen Menschen. Auf leerer Bühne, von Unsichtbarem gepeinigt, geht er wie von allein zugrunde, Luciano singt und zappelt und windet sich aus den Kleidern und hat weiße Farbe zu Hand. Der Teufelskerl verzuckt als bleiches, nacktes Kreatürchen. Die anderen verwandeln sich freudlos in Gipsfiguren. Currentzis bringt die Musik knackig trocken zu ihrem Ende.

Salzburger Festspiele , Großes Festspielhaus: 29. Juli, 4., 7., 10., 20. August. Im Fernsehen auf Arte am 2. August, 22.05 Uhr. www.salzburgerfestspiele.at

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