Salzburg: Wiederaufnahme von Strauss „Elektra“ bei den Festspielen als packendes Psychodrama

Xl_elektra-salzburg-7-21-2 © Marco Borelli

„Nicht ich, nicht ich! Er ist der Dämon“, schreit sie ins Mikrofon. Nicht der markerschütternde Fortissimo-Akkord des vollen Orchesters setzt die Familientragödie im dunklen Mykene in Gang, sondern Klytämnestra, Elektras Mutter, ihr Hassobjekt und selbst Mörderin ergreift gleich zu Beginn das Wort und rechtfertigt sich zum Mord an ihrem Mann Agamemnon. Krzysztof Warlikowski stellt auch bei der Wiederaufnahme der Oper Elektra“ der beiden Festspielgründer Richard Strauss (Musik) und Hugo von Hofmannsthal (Libretto) Klytämnestras Monolog frei nach der „Orestie“ von Aischylos bei den Salzburger Festspielen voran, um die Komplexität des Stoffes der Atriden-Saga noch begreifbarer zu machen.

Der polnische Regisseur lässt das antike Rachedrama in einem schicken Ambiente auf einem gut bürgerlichen Anwesen im Heute spielen. Die Arkaden der Felsenreitschule sind zugemauert. Ein länglicher Pool erstreckt sich über die Bühne, mit Duschen und Metallwänden im Hintergrund. Links sieht man einen Glaskasten, der geschmackvoll mit Sofas eingerichtet ist. Es ist das Innere des Palastes. Hier passieren auch die Morde. Elegant gekleidete Leute, die wie heutige Schickimicki-Typen aussehen, bevölkern auch sonst die Bühne. Lediglich Orest trägt einen völlig altmodischen Winterpullover mit Norwegermuster, um die ärmliche Umgebung darzustellen, wo er sich in letzter Zeit aufgehalten hat. Die Ausstattung stammt von Malgorzata Szczesniak, mit der Warlikowski meist zusammenarbeitet. Etwas plakativ werden beim Mord an der Mutter riesige Blutspritzer auf die Rückwand der Felsenreitschule projiziert, wo sich bald Fliegen und dann verschiedene andere Insekten schwirrend niederlassen. Warlikowski bedient sich der Psychoanalyse, um das Seelenleben dieser Familie zu ergründen. Die Personenführung ist sehr fokussiert, Parallelhandlungen finden statt sind aber auf höchstens zwei Brennpunkte konzentriert. Er rückt damit die drei Frauen in den Mittelpunkt des Geschehens.

Diese sind von Singschauspielerinnen ersten Ranges besetzt: Obwohl Ausrine Stundyte in der Titelpartie eigentlich über keinen für die Rolle notwendigen hochdramatischen Sopran, vor allem in der Tiefe, verfügt - fallweise geht sie deshalb sogar in den Orchesterwogen unter - liegen ihre Stärken in den Lyrismen und einer bombensicheren, feinen Höhe, die ihr eine kindliche Färbung verleiht. Außerdem singt sie extrem wortdeutlich. Vor allem die Erkennungsszene mit ihrem totgeglaubten Bruder wird so erfüllt von stark berührender Innigkeit. Sie wird auch nicht als eindimensionaler Racheengel gezeigt, sondern es werden ihre vielen Fassetten und Widersprüchlichkeiten gekonnt zur Schau gestellt. Neu besetzt als Chrysothemis meistert Vida Mikneviciuté die extremen Schwierigkeiten der Rolle mit klar fokussiertem, immer gut hörbarem Sopran. Tanja Ariane Baumgartner weiß als Klytämnestra mit ihrem schönen, dunklen, wandlungsfähigen Mezzo zu faszinieren. Ebenfalls neu im Ensemble singt Christopher Maltman den Orest mit kerniger Stimme. Am Schluss flieht er vor den projizierten Insekten über den Zuschauerraum. Seinen Kurzauftritt als Ägisth weiß Michael Laurenz mit klarem, kraftvollem Tenor zu nutzen. Auch die vielen kleineren Partien sind rollendeckend und makellos besetzt.

Fesselnd ist der Spannungsbogen, den Franz Welser-Möst bei den Wiener Philharmonikern über die gesamte Dauer des Werks erzielen kann. Es ist eine fassettenreiche und dynamisch ausgefeilte Klangdramaturgie feststellbar, die von den Musikern hochkonzentriert und ungemein vital umgesetzt wird. Offenbar wurde auch an vielen Details und Nuancen gefeilt um eine derartig plastische Wiedergabe zu erreichen.

Und dieses musikdramatische Gesamtkunstwerk wird entsprechend vom Publikum gewürdigt und umjubelt.

Dr. Helmut Christian Mayer

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