„Und die Geister von densölben, spucken nachts in den Gewölben.“ Alte Rittersleut, die gab es natürlich auch in Innsbruck, wo einst Kaiser Maximilian als letzter Ritter das Goldene Dacherl an seinen Palast anbauen ließ.
Gespenster nach alten Commedia dell‘Arte Schablonen, die „Innamorati“ genannten Liebesleute und deren gewitzte Diener, die bevölkern hingegen augenblicklich das modern nüchterne Haus der Musik gegenüber der theresianischen Hofburg. Dorthin sind die traditionsreichen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik für ihre große Opernproduktion umgezogen; denn das Landestheater wird saniert.
Sehr alt und ein wenig muffelig ging es bei dem so bedeutenden Festival in den vergangenen Jahren bisweilen zu. Denn der künstlerische Chef, Cembalist und Dirigent Alessandro de Marchi ist zwar ein passionierter Ausgräber, aber nicht immer der beste Klanganwalt der Stücke von nicht immer gleich großer Bedeutung.
Doch die völlig unbekannte „Idalma“ des höchstens als Cembalist in der Musikgeschichte registrierten Bernardo Pasquini (1637 bis 1710), die dieser 1680 für einen seiner zahlreichen römischen Adelsgönner komponiert hatte, war ein fulminanter, lustvoller Treffer.
Da räkelt sich nicht müde ein bleiches Opernabbild aus der Historie, dem jedes relevante Leben entwichen ist. Hier zeigt ein vitales, blutvolles Kunstprodukt von Gestern, das es noch sehr viel kreativen Saft hat.
Die Regisseurin Alessandra Premoli hat die abwechslungsreiche, nur selten verworrene Geschichte eines Art Westentaschen-Don-Giovannis zwischen zwei Frauen sehr geschickt auf die technisch beschränkte Konzertsaalplattform gebracht. Dauert vier Stunden, zäh wird es nicht.
Premolis Grundgedanke: Als stumme Statisten renovieren eine stylishe Architektin und einige Bauarbeiter einen vernachlässigten Klassizismus-Palazzo, der am Ende als Museum in neuem Glanz erstrahlt. Am Ende erscheinen sämtliche, als Schemen von gestern sehr konkret durch die Handlung tobende gespenstische Mitwirkende, die bisweilen mit der Spiel-Gegenwart interagieren, die sie gar nicht sehen, zum Familiengemälde geronnen im bisher blinden Rahmen. La Commedia è finita! Und wir als Zuschauer waren dabei Zeugen.
Ähnlich wie im Palazzo die kaputten Möbel ersetzt werden, schadhafte Statuen ihren Kopf zurückbekommen, Staub, Kartons und Plastikfolien verschwinden, so setzt die unterhaltsame Opernaufführung allmählich unsere Vorstellung von diesem formidablen Stück zusammen, das aus der Zeit nach den ersten venezianischen Opernexperimenten und vor der Blüte der Dacapo-Arien-üppigen Opera Seria entstammt.
Was wären wir ohne Untergebene?
Diese witzig textierte „Commedia per musica“ in drei Akten – und mit durchaus tragisch-ernsten Zwischentönen – versammelt kein mythologisches und kein heroisches Personal, sondern adelig liebes leidende Menschen, die von ihren patenten Untergebenen geleitet werden müssen.
Wenig bella figura machen dabei die eitel-selbstsüchtigen, begriffsstutzigen, ehrpusseligen Männer. Die Frauen hingen fügen sich in ihre Rollen und brechen doch aus ihnen emotional aus, sind praktischer, bündnisbereiter.
Ähnlich kommt auch die Musik sehr charmant und temperamentvoll daher, mit abwechslungsreich orchestrierten, oft ins Tänzerische aufbrechenden Rezitativen, die gleich drei Lautenisten (auch mit Gitarre, Theorbe und Mandoline), Harfe, Perkussion, zwei Flöten und Tischorgel, in zwei Orchestergruppen als Concertino und Concerto grosso beschäftigen.
Die Arien sind meist kurz, weiten sich aber auch zu größeren Szenenkomplexen vom Duo bis zum Quartett. Es gibt sogar schon die stereotypen, mit viel Gefühl vorgetragenen Verzweiflungsszenen der späteren Seria, bevor schließlich doch fast jedes Liebestöpfchen sein Deckelchen bekommt.
Nathalie Deana hat mit vielen Kleinigkeiten die trotz ihrer Statik bewegliche Bühne oft auch nur als andeutendes Fragment gestaltet. Im Kontrast zu Bauhelm und heutiger Working-Woman-Eleganz wirken die detailverliebt fantasiereichen, wie einer Reihe von van-Dyck-Porträts entstiegenen Kostüme und Perücken (Anna Missaglia) um so ungewöhnlicher und stärker.
Deren Träger aus dem 17. Jahrhundert spielen dann mal mit offenem Feuerzeug und liegengebliebenem Handy, reißen sich modernes Geld unter den untoten Nagel und irritieren die aktuellen Figuren nachhaltig.
Sehr schön und kompetent wird gesungen: Ariana Vendittelli gibt mit beweglicher Koloratur die sitzengelassene, aber ihr Schicksal meisternde Idalma. Ruppert Charlesworth ist mit passgenau aufgeblasen baritonalem Tenor deren launischer Mann Lindoro, der plötzlich wieder zu seiner alten Flamme Irene (mezzosatt und warmtönend: Margherita Maria Sala) zurück will.
Die aber hat sich längst per Heirat mit Celindo (Juan Sancho mit trockenem Tenor) getröstet. Dazwischen steht Irenes stutzerhafter Bruder Almiro (Morgan Pearse), während die Diener Dorillo (Anita Rosati als gewitzter Page) und Pantano (profund: Rocco Cavalluzzi) den verstreuten Gefühlsdreck zusammenkehren müssen.
Das ist freilich ein Leichtes – dank der befeuernden Leitung von Alessandro de Marchi und seines freudvoll farbigen, spannungssatten Festwochenorchesters. Das Innsbrucker Festival kann sich über einen veritablen Ausgrabungshit freuen, der hoffentlich seinen Weg auf CD und DVD findet.