Alexander Zemlinskys Oper Der Zwerg: ein tragisches Märchen in einem Akt, Op.17 nach einer Erzählung von Oscar Wilde wurde 1922 in Köln uraufgeführt. Auf der Suche nach einer Produktion, die sich auch unter den geltenden Coronaschutzmaßnahmen aufführen lässt, kam diese Oper vor allem auf Wunsch des frischgebackenen Chefdirigenten der Niederländischen Oper, Lorenzo Viotti, auf den Spielplan. Trotz einer Dauer von etwas über einer Stunde und einem relativ kleinen Sängerensemble bietet sie jedoch ein Maximum an Dramatik. Denn während das öffentliche Leben in den Niederlanden nun weitestgehend wieder zur Normalität zurückgekehrt ist, hat der Kulturbereich leider noch immer mit weitreichenden Einschränkungen zu kämpfen. So war es dem Nederlands Philharmonisch Orkest nicht erlaubt, im Orchestergraben zu spielen und musste stattdessen auf der Bühne Platz nehmen.

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Der Zwerg
© Marco Borggreve

Regisseurin Nanouk Leopold hat aus der Not eine Tugend gemacht und alle Sänger vor dem Orchester in Holzrahmen unterschiedlicher Größe postiert. Im Zentrum dieser aneinander geschachtelten Schaufenster liegt der Zwerg, gehüllt in ein fantasiereich buntes Vogelkostüm. Er schläft während des ersten Drittels der Oper, im dem die steif ritualisierten Vorbereitungen zur Geburtstagsfeier der Infantin Donna Clara über die Bühne gehen. Lenneke Ruiten sang und spielte diese schwierige Rolle mit einer bewundernswerten Palette von Zwischentönen. Der Haushofmeister Don Estoban, gewitzt gespielt und ausdrucksstark gesungen von Derek Welton und die Kammerzofen sind wie die Infantin von Kostümbildner Wojciech Dziedzic in rosa Rüschenröcke gesteckt worden. Die jeweils grellblonden Perücken und viel Theaterschminke machen die Uniformität dieses Hofstaats komplett. Auf einer halbrund gebogenen, die gesamte Hinterbühne umspannenden Leinwand sind alle Sänger fast während der gesamten Vorstellung in Filmaufnahmen zu sehen. Dort aber sind die Herrschaften zusätzlich mit Schweineköpfen und Klauen ausstaffiert. Um den Saustall komplett zu machen, suhlen sie sich auch noch artgerecht nebeneinander im Schlamm.

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Der Zwerg
© Marco Borggreve

Auf der Bühne spornte Viotti sein Orchester emotionsgeladen an. Das hatte leider auch zur Folge, dass bei der gestrigen Premiere die Sänger einige wenige Male von der spätromantischen Klanggewalt in die Enge getrieben wurden. Nur Annette Dasch als Lieblingszofe Ghita behielt mit ihrer warmen wendigen Stimme wie ein Leuchtturm in rauer See die Übersicht – und das vor allem auch aus moralischer Sicht. Sie lacht zwar wie alle anderen unbarmherzig über den Zwerg, der der Infantin als exotisches Geburtstagsspielzeug von einem Sultan als Geschenk angeboten wird, als der Kleinwüchsige sich aber mit dem zart lyrischen „Lied von der blutenden Orange” (unnachahmlich ernst und gefühlvoll vorgetragen vom australischen Tenor Clay Hilley) als großartiger Künstler entpuppt, ist sie die erste, die sich im Umgang mit ihm um Menschlichkeit bemüht. Vor allem rät sie ihm, sich vom Thron der Infantin fernzuhalten, da dahinter ein Spiegel verborgen ist. Die Tragik des Zwerges ist es, dass er sein wahres Äußeres nicht kennt. Sein Leben lang hat man ihm nämlich einen Spiegel vorenthalten und ihn im Glauben gelassen, ein großer stattlicher Held zu sein. Im liebestollen Wunsch, die verwöhnte Infantin für sich zu gewinnen, wird er nun konfrontiert mit dem Bild, welches die anderen von ihm haben. Die aber haben kein Auge für den talentvollen Paradiesvogel, sondern sehen in ihm nur den hässlichen Zwerg.

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Clay Hilley (Der Zwerg)
© Marco Borggreve

Zemlinsky hat in dieser Opernparabel nicht nur die unglückliche Liebe zu seiner Schülerin Alma Schindler (der späteren Mahler-Gropius-Werfel) verarbeitet. Auch als Komponist und Dirigent war ihm zu Lebzeiten wenig Erfolg gegönnt trotz des überbordenden Lobes, das ihm sein Freund und Schwiegersohn Arnold Schönberg zollte. Erst 35 Jahre nach seinem Tod, 1942 im amerikanischen Exil, wurden seine Werke in Deutschland für die Bühne wiederentdeckt.

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Der Zwerg
© Marco Borggreve

Der wehmütige Melodienreigen, die sowohl rhythmisch wie auch harmonische ausgeklügelten Orchesterzwischenspiele, die klangvollen Choreinlagen der Frauenstimmen des Niederländischen Opernchores und die musikalisch höchst anspruchsvolle Stimmführung in den spannungsgeladenen Handlungssträngen machen diese Oper zu einem sehr empfehlenswerten Erlebnis. Besondere Erwähnung verdient bei dieser Amsterdamer Saisoneröffnung die Videoarbeit des Künstlerduos Leopold Emmen. Durch die drastischen großformatigen Bilder wird die aktionsarme Bühnenhandlung zwar nur teilweise ausgeglichen. Die provozierenden Filmsequenzen von sich im Dreck wälzenden anmutig gekleideten Opernsängern brennt sich jedoch um so nachhaltiger auf die Netzhaut. Wie erfrischend mutig ist doch die sich aufdrängende Parallele vom spanischen Königshof in der Opernhandlung mit den aktuell in den Niederlanden politisch Verantwortlichen.

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