Szene aus Stewart Copelands Oper „Electric Saint“, die gestern beim Kunstfest Weimar uraufgeführt wurde.

Oper unter Schwachstrom

Stewart Copeland: Electric Saint

Theater:Deutsches Nationaltheater Weimar / Kunstfest Weimar, Premiere:05.09.2021 (UA)Regie: Jonathan MooreMusikalische Leitung:Gregor Bühl

„AC, DC, AC, DC, AC, DC…“ – kurzzeitig hörten sich die von der Bühne schallenden Rufe an wie ein Rockkonzert. Doch nicht um die Hardrocker in Schuluniform ging es am Weimarer Nationaltheater, auch wenn tatsächlich ein Rock-Star involviert war. Das Musiktheaterstück „Electric Saint“ widmete sich Nikola Tesla und dem so genannten Stromkrieg – komponiert hat es mit Stewart Copeland der Schlagzeuger von The Police. Im Rahmen des Weimarer Kunstfests hatte die Uraufführung Premiere im Deutschen Nationaltheater.

Wechsel- (AC für alternating current) oder Gleichstrom (DC für direct current)? Um diese Frage tobte Ende des 19. Jahrhunderts ein Streit. Denn wie immer ging es dabei auch um viel Geld, als die Versorgung der USA mit Elektrizität anstand. Thomas Edison, heute noch als Glühlampenerfinder im Gedächtnis, favorisierte die zweite Lösung. Auf Wechselstrom setzte Nikola Tesla, der als serbischstämmiger Einwanderer in die USA gekommen war. Sein Modell war preiswerter und technisch überlegen, weil damit Strom über viel längere Strecken transportiert werden konnte als bei Edison. Doch setzte der sich mit einer Schmutzkampagne durch, tötete sogar einen Elefanten, um die Gefahr des Wechselstroms dramatisch zu inszenieren – was ihm besser gelang als Jonathan Moore, doch dazu gleich mehr. Tesla ließ sich dann auch noch von einem anderen Geschäftsmann mehr oder weniger über den Tisch ziehen. Er verlor erst seine große Liebe und dann alles. Auch mit seinem christlichen Glauben hadert der Erzreligiöse zwischenzeitlich. Verarmt und einsam starb er schließlich – so die Zusammenfassung der Stückversion. Wer im Physikunterricht nicht aufgepasst hat, kennt den Namen Tesla wahrscheinlich aber nur von der E-Automarke, die nach ihm benannt ist.

„Tesla lives“, heißt es zum Schluss des Abends. Denn die Skizze eines tragischen Lebens soll nicht bitter enden. Das verleiht der ohnehin zum Musical neigenden Produktion „Electric Saint“ letztlich noch etwas mehr den Touch des Unterhaltungstheaters. Jonathan Moore, der das Libretto schrieb und auch Regie führte, bricht die Ereignisse aufs Parabelhafte herunter, was den Stoff zugleich auch aktuell macht. So ist beim Thema erneuerbare Energien ja ebenfalls viel Geld im Spiel, allerdings gibt es hier kaum Charaktere wie Nikola Tesla, die vor allem das Gemeinwohl steigern wollen. Das Böse im Stück verkörpern Edison und sein Finanzier. Diese recht einseitige Zuschreibung nimmt den Figuren Tiefe. Beim Oberkapitalisten J.P. Morgan wird die Persönlichkeit zusätzlich durch permanentes Zigarrerauchen und unflätige Gesten übertrieben unterstrichen, so dass er zur Karikatur wird. Das passiert zum Teil auch im Text, etwa wenn Tesla singend erklärt, der Heilige Geist werde in der christlichen Ikonografie als Taube dargestellt, weshalb er gern Tauben im Park füttere. Währenddessen hängt der Bühnenhimmel voller projizierter Vögel – und im Text reimt sich „dove“ auf „above“. Moore reißt Themen wie Rassismus gegenüber Einwanderern und Ausbeutung an, aber solche leisen Kritikanflüge gehen unter im Bombast der Karikaturen.

Hervorragend hingegen hat Moore den Raum genutzt. Indem er nicht auf eine volle oder gar vollgestellte Kulisse setzt, bleibt Platz für Assoziationen und wird zugleich der Zuschauerblick konzentriert. Pro Szene sind nur zwei, drei Möbel wie ein Sessel und Arbeitstisch zu sehen, die bespielt wurden. Der Rest bleibt leer. Beeindruckend sind vor allem die Laborszenen, in denen technisches Gerät wie Tesla-Generatoren und Spiralen aufgefahren und Projektionen von Schaltkreisen gezeigt werden. Das hat etwas Spielerisches und nichts von Boulevardrealismus. Hier waren originelle Momente erlebbar, wenn Tesla und Edison von Kondensator und Kohlebürstchen singen und der Erste Hauptsatz der Thermodynamik erklärt wird.

Musikalisch bewegte sich das Stück in eher zahmen Bahnen. Copeland läßt nur manchmal wirklich Esprit heraushören und fesselt selten. Der etwas klassischere und teilweise hymnische Beginn wird im Mittelteil von funkigeren Passagen abgelöst, an denen auch das Schlagzeug intensiv beteiligt ist und so manchen Fuß im Publikum mitwippen lässt. Der häufige Einsatz von Marimba- oder Xylophon und auch zusätzlich aufspielende Fanfaren schaffen etwas Sphärisches, das man vielleicht mit Äther und Wellen in Verbindung bringen kann. Das hüpfende Element der Klangstäbe erinnert an Elektronenbewegungen und das Ausschlagen von Kurven auf elektrischen Apparaten – hier findet das Thema musikalisch eine ansprechende Umsetzung. In zwei Szenen werden Tesla-Generatoren direkt als Instrumente genutzt, wenn sie unter Dröhnen einen eigenen Beat und grelle Blitze freisetzen. Das schafft starke Momente, die eigen waren und, ja: gefielen.

Gefällig ist „Electric Saint“ insgesamt zu nennen, nur in manchen Szenen schlägt der Funke wirklich über, setzt das Publikum unter Strom. Zu harmlos ist diese Musical-Oper, um als die anvisierte Gesellschaftskritik durchzugehen, die die Ankündigung versprach. So harmlos, dass sogar die Stadtwerke Weimar im Programmheft werben.

DIE DEUTSCHE BÜHNE hat die Entstehung von Stewart Copelands Oper mit einem mehrteiligen Werkstattbericht begleitet, der in den Heften 6/2020, 7/2020 sowie 7/2021, 8/2021 und 9/2021 erschienen ist. Einen Link zum Sonderdruck des Berichts finden Sie hier.