Die Spielzeit 2020/21 gehört für alle Opernhäuser und Theater zu einer der schwierigsten und unsichersten Zeiten. Nachdem die Häuser nach einem langen Lockdown ohne Spielbetrieb im Mai endlich wieder öffnen durften, wurden sie auch schon wieder in eine überaus ungewisse Sommerpause entlassen. Das Hoffen und Harren wurde nicht zuletzt in Frankfurt mit einer positiven Nachricht belohnt: In der neuen Spielzeit ist nach etwa 18 Monaten wieder Oper im vollbesetzten Haus möglich und kein Platz muss mehr – unter Berücksichtigung der Hygieneregeln – leer bleiben. Dies ist ein wichtiger Schritt, besonders in Hessen, da die hiesige Landesregierung in den letzten Monaten recht strikte Regeln durchgesetzt hat. Während in anderen großen Opernhäusern in Deutschland bereits eine Kapazität von 50 Prozent (mit „Schachbrett-Bestuhlung“) möglich war, mussten in der Oper Frankfurt größere Abstände eingehalten werden. Nun darf wieder bei voller Auslastung und selbstverständlich unter Einhaltung der Maskenpflicht und 3G-Regelung gespielt werden.

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Ambur Braid (Norma)
© Barbara Aumüller

Doch statt gleich mit großen Neuinszenierungen aufzutrumpfen, beginnt die Oper Frankfurt die Saison mit einer Wiederaufnahme. Wer jedoch denkt, dabei nur wenig Neues geboten zu bekommen, hat sich geirrt. Das bereits fünfmal zum “Opernhaus des Jahres” ernannte Theater, bekannt für sein starkes Ensemble, spannende Regieleistungen und einen ungewöhnlichen Spielplan, verteidigte diesen Titel einmal mehr. Die Norma-Inszenierung von Christof Loy, die 2018 Premiere feierte, kommt nicht zuletzt dank neuer Besetzung, wohl aber auch aufgrund der zeitlosen Ästhetik, ganz neu daher.

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Ambur Braid (Norma) und Dshamilja Kaiser (Adalgisa)
© Barbara Aumüller

Vincenzo Bellini beweist wie kaum ein Zweiter Gespür für Dramatik und große Emotionen, fernab jeglicher Klischees. Er ist ein Wandler zwischen den Gefühlswelten und inszeniert bereits innerhalb seiner Musik all die Widersprüche und Kontraste menschlicher Gefühle. Und Loy tut es ihm gleich und folgt mit seiner Inszenierung intuitiv der Handlung entlang der Musik. Während Norma am Rande des Nervenzusammenbruchs, sich verzweifelt zu Grunde singt, ertönen beschwingte Melodien und freudige Märsche. Und Loy visualisiert solche Musik mit brutalen Szenen von Gemetzel und Krieg. Freude und Tod, Ekstase und Verzweiflung gehen hier Hand in Hand und scheinen untrennbar miteinander verbunden. 

Das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt, mit seinen immer enger werdenden, klaustrophoben Räumen, arbeitet mit einfachen Mitteln, die mit ihrer Wirkung jedoch ins Schwarze treffen. In ihnen scheinen die Figuren gefangen, stets den Versuch zu machen, auszubrechen, während der gewaltige Chor mit seiner szenischen und stimmlichen Präsenz (endlich wieder auf der Bühne!) diese Räume zu sprengen droht.

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Ambur Braid (Norma) und Stefano La Colla (Pollione)
© Barbara Aumüller

Dass Norma zu einem Ereignis wird, steht und fällt nicht zuletzt mit der Besetzung der Titelrolle. Die seit der Spielzeit 2018/19 im Ensemble der Oper Frankfurt tätige kanadische Sopranistin Ambur Braid konnte bereits mit beeindruckenden Rollendebüts aufwarten – nicht zuletzt als Salome in der Produktion Barry Koskys. Nun widmete sie sich der überaus anspruchsvollen Partie der Norma – mit überragendem Erfolg! Braid wird zur treibenden Kraft der Produktion und konnte sich diese Rolle vollkommen überzeugend einverleiben, nicht jedoch ohne ihre eigene Spielart einzuflechten. Mit enigmatischer Bühnenpräsenz ist ihre Darstellung überaus körperlich und so avanciert die Handlung zur Tour de Force. Mal in tiefster Verzweiflung, mal am Rande des Nervenzusammenbruchs – ihre Charakterzeichnung ist passioniert ohne übertrieben zu wirken.

Und auch stimmlich büßte sie nicht an Überzeugungskraft ein. Mit subtilem Vibrato und dramatischer Stimmfärbung überrascht sie durch feinfühlige Zwischentöne und zarte, sich in Koloraturen auflösende Piani. Mit dieser agilen, wandlungsfähigen Stimme verlieh sie Norma ein besonderes Charisma.

Die gängigen Floskeln bei der Beschreibung von Sänger*innen sind allzu bekannt und es gilt sie zwar zu vermeiden, aber bei ihm scheinen sie alle zuzutreffen: Der italienische Tenor Stefano La Colla sang bereits in der Premierenserie die Rolle des römischen Besatzers Pollione und trat mit einer distinguierten Stimme auf, mit denen nur wenige gesegnet sind. Mit tenoralem Schmelz und voller Stahlkraft in den Höhen, die er mühelos erreichte, war er ein Bilderbuch-Tenor, dessen Gesang Gänsehaut hervorrief.

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Andreas Bauer Kanabas (Oroveso) und Ambur Braid (Norma)
© Barbara Aumüller

Der Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser merkte man die Erfahrung in der Rolle Adalgisas an, in der sie packend ihre Verzweiflung und dem Gewissenskonflikt innerhalb der Dreiecksbeziehung darstellte. Souverän und szenisch überzeugend war ihre Darstellung ein kontrastierender Gegenpol zu Norma und ihre voluminöse Stimme mit einem rauchigen Timbre, dass vor allem in dem Tiefen aufblühte, ergänzten diese beeindruckende Rollengestaltung.

Andreas Bauer Kanabas imponierte als Oroveso mit differenzierter Darstellung eines Vaters in seiner Zerrissenheit, gefangen zwischen Pflichterfüllung und Liebe zu seiner Tochter Norma. Er sang mit viriler, klangschöner Stimme, ohne jedoch das gewisse Etwas vermissen zu lassen und zeigte damit einmal mehr, dass seine Stimme wie für Belcanto und das italienische Fach geschaffen ist.

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Ambur Braid (Norma)
© Barbara Aumüller

Erik Nielsen, der der Oper Frankfurt und seinem Intendanten Bernd Loebe nicht zuletzt durch seine Engagements bei den Tiroler Festspielen in Erl (dessen künstlerischer Leiter Loebe ebenfalls ist) verbunden ist, kehrt nun für Bellinis Norma nach Frankfurt zurück. Sein Dirigat trumpfte mit einer schlanken und durchaus frischen Interpretation auf. Statt auf verstaubte Opulenz zu setzen, bewies Nielsen Gespür für die zeitlose Dramatik der Oper und schuf mit dem Frankfurter Oper- und Museumsorchester ein packendes und spannungsreiches Dirigat, ohne jedoch die Feinheiten in Bellinis Musik zu vernachlässigen.

Mit dem Chor, der wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist und der Möglichkeit, vor einem ausgebuchten Haus zu spielen, startet die Oper Frankfurt gestärkt in die neue Spielzeit. Und mit dieser fulminanten Wiederaufnahme von Norma beweist sie, dass man auch weiterhin „ganz große Oper” in der hessischen Bankenmetropole erwarten darf. So scheint die Krise zumindest an der Oper Frankfurt überwunden zu sein!

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