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Musiktheater
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Tosca

Musikdrama in drei Akten von Giacomo Puccini
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 50 Minuten (Pause nach dem 2. Akt)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 25. September 2021

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Mit Bilderfluten und Statements erschlagen

Von Bernd Stopka / Fotos von Sebastian Hannak und  N. Klinger

Nachdem die erste Spielzeit unter der neuen Intendanz mit Alban Bergs Wozzeck spektakulär eröffnet wurde, geht es gleich am nächsten Tag mit Puccinis Tosca weiter. Insgesamt stehen an diesem Wochenende sieben Premieren in Oper und Schauspiel auf dem Spielplan des Staatstheaters Kassel.
 
Die Opernbühne dominiert das sogenannte Pandaemonium, ein Gerüstbau mit 3 Sitzebenen, der sich um Hinterbühne und Seitenbühnen windet. Auf den Seitenbühnen spielen sich Hintergrundgeschehen und Parallelhandlungen ab, die durch Liveprojektionen auf überall verteilte Bildschirme parallel zur Bühnenhandlung sichtbar gemacht werden. Hauptspielfläche, mit einem quaderförmigen Tisch, ist der Raum in der Bühnenmitte vor dem auf dem hinteren Teil der Bühne sitzenden Orchester. Darin unterscheidet sich die Bespielung des „Opernhauses mit Pandaemonium“ vom Regieansatz der Wozzeck-Produktion. Näheres zum Pandaemonium und den Hintergründen ist (hier) im Bericht über die Eröffnungspremiere beschrieben.
 
Hansung Yoo (Baron Scarpia), Kinder- und Jugendchor CANTAMUS
© N. Klinger
 
Performancekünstlerin und Regisseurin Sláva Daubnerová lässt die Geschichte auf der Bühne von Sebastian Hannak und in den Kostümen von Dorota Karolczak in heutiger Zeit spielen. Despotismus, Unterdrückung und Gewalt sind zeitlos. Insbesondere betrachtet sie die Geschichte als von Sexismus, Voyeurismus, Unterdrückung und Gewalt an Frauen geprägt.
 
Die Titelfigur wird quasi von zwei Seiten beleuchtet: als eine Künstlerin und als die Künstlerin, die sie spielt. Vielfältige Projektionen nicht nur des Hintergrundgeschehens der Handlung, sondern auch der Vorgänge hinter der Bühne und in den Garderoben des Theaters machen das deutlich. So wird Tosca nicht nur in der Opernhandlung von Scarpia beherrscht, auch hinter der Bühne scheint der Sänger des Scarpia, schon im Kostüm Scarpias, als Agent oder Manager mit Zuhältergehabe die Sängerin der Tosca zu dominieren. Besonders deutlich wird diese zweiseitige Beleuchtung, wenn Tosca sich am Schluss nicht tötet, sondern nur ihr Abendkleid von der Pandaemoniumsbrücke fallen lässt. Dieses Kleid ist eine überdimensionierte rote Bühnen-Abendrobe aus Rüschenrosen über einer ausladenden Krinoline und scheint auch dafür zu stehen, wie Männer Frauen sehen wollen. Nach dem Mord an Scarpia fährt ein Kleidersack aus dem Schnürboden herab, in den Tosca ihr Kleid stopft und es dann hinter sich herzieht wie Linus die Schmusedecke. So erscheint sie dann auch im 3. Akt. Aber hier ist es keine Lust, sondern eine Last, derer sie oder die Sängerin, die sie spielt, sich am Ende entledigt.

Scarpia, mit Glatze und langen Kranzhaaren unter einem Texas-Hut, mit Sonnenbrille und Schlangenlederstiefeln sitzt in einem Elektrorollstuhl, kann aber mit Stock ein paar Schritte gehen. Eindrucksvoll wird er wie ein Bote der Hölle per Hubpodium aus der Unterbühne heraufgefahren. Zu Beginn des zweiten Aktes zieht er sich auf der Bühne einen Morgenmantel an, bevor er Tosca empfängt. Da werden sofort sexuelle Absichten gezeigt und Assoziationen zu MeToo drängen sich auf. Leidenschaftlich reißt er Tosca das Abendkleid herunter und vergräbt sein Gesicht darin noch leidenschaftlicher – und ist doch selbst grässlich abstoßend kostümiert.
 
Oksana Sekerina (Floria Tosca), Statisterie
© N. Klinger
 
Cavaradossi ist ein gealterter Künstler, kein Maler, sondern ein Fotograf oder Videokünstler, der sich gern mit jungen attraktiven Frauen als Models umgibt. Vorsichtshalber klappt er sein Notebook zu, wenn Tosca eintritt… Das Madonnenbild, das er eigentlich malt, ist eine Fotografie bzw. ein sich bewegendes Frauenbild, ein männlich gesehenes Ideal von einer Frau. In den Übertexten wird dann auch der Text geändert, so dass Tosca verlangt „Aber mach ihr schwarze Augen!“, nicht „mal ihr schwarze Augen!“.

In der Originalgeschichte verkleidet sich Angelotti nach seiner Flucht aus dem Gefängnis als Frau. Eigentlich nur ein Trick, um unerkannt zu bleiben, aber die Regie verfolgt den Gedanken weiter und weitet die Präsenz der Figur aus. Angelotti erscheint auf seiner Flucht als Tourist mit Hawaiihemd und Fotoapparat. Er zieht sich nicht in der wie eine Bedürfnisanstalt gekachelten Kapelle, sondern mitten auf der Bühne bis auf die Damenunterwäsche, die er darunter trägt, aus und bewegt sich dann lustvoll in einem eleganten Kleid auf High Heels während der Tosca-Cavaradossi-Szene vorn über die Bühne. Eigentlich ein Grund für einen Eifersuchtsanfall der Diva, aber die sieht ihn/sie gar nicht.  Zu seiner Flucht zieht er sich wieder als Tourist an, was die Verkleidungstaktik sinnlos erscheinen lässt. Sinnlos wäre es auch, dass seine Schwester ihm mit den Frauenkleidern Schuhe einpackt, auf denen er nicht laufen kann. Später sieht man ihn dann auf der erhöhten Spielfläche im Hintergrund, erst mit Cavaradossi essend, dann sich wieder das Kleid anziehend, schließlich erschießt er sich, unmittelbar bevor Tosca ihr „Vissi d’arte“ beginnt. Auch das Thema Diversity wird also angesprochen.

Der Mesner ist ein Spitzel Scarpias und auch die Kirche wird als Mittäter angeklagt. Blondbezopfte, in blau-weiße Uniformen gekleidete Mädchen des Kinderchors ziehen ihre Blusen aus und wischen damit den Fußboden nach ihrem Jubelgesang in der Kirche. Da denkt man an ähnliche Schikanen im Nationalsozialismus. Ein ganz deutlicher Vorwurf: Tosca ersticht Scarpia nicht mit einem Messer, das sie auf seinem Schreibtisch findet, sondern schneidet ihm von hinten mit einem langen schmalen Dolch, der im Längsbalken ihres übergroßen Kreuzes verborgen ist, die Halsschlagader auf.
 
Hansung Yoo (Baron Scarpia), Oksana Sekerina (Floria Tosca)
© N. Klinger
 
Soweit ein Versuch, die halbwegs übersichtlichen Eckpfeiler dieser Inszenierung zu beschreiben. Tatsächlich ist das Bühnengeschehen mit Nebenaktionen und Projektionen    dermaßen überfrachtet – zuweilen werden verschiedene Bilder auf verschiedenen Bildschirmen gezeigt, zusätzlich zum Geschehen auf der Bühne –, dass man verwirrt von einer Ecke in die andere schaut. Oder aufgibt.

Frauen sind in verschiedensten Erscheinungs-, Leidens- und Anklageformen allgegenwärtig, treten auf und ab. Die Damen des Chores wirken mit extravaganten und überdimensionierten Perücken wie die Anklage eines sich selbst feiernden voyeuristischen Publikums („und spielen ohne Gage mit“…). Immer wieder agieren unterschiedliche Frauengruppen mit Maschinengewehren. Eine Gruppe wird offensichtlich mit Sprechverbot unterdrückt: Sie tragen Masken mit schwarzen Kreuzen über dem Mund.
Im zweiten Akt stehen 20 hohe Vasen mit großen Blumensträußen in vier Reihen längs auf der Bühne, machen einen besonderen Effekt (und verstellen den ersten Reihen einen Teil der Sicht). Sichtbar gemacht wird auch Toscas Auftritt in der Kantate im Hintergrund. Allerdings wird sie im Vordergrund aus der Unterbühne hochgefahren (wird an diesem Abend gern und viel genutzt) und verstellt mit ihrem Kleid die Sicht auf das Verhör Scarpia/Cavaradossi, das dann nur auf den Bildschirmen sichtbar wird. Da wird das Prinzip Hintergrundhandlung auf Bildschirmen und Haupthandlung im Original umgekehrt. Um Tosca herum bewegen sich Frauen mit gitterartigen Kostümanteilen ausdrucksvoll wie ihn einer Revue der Zwanziger. Im dritten Akt liegen Matratzen auf der Bühne, neben denen jeweils ein Metalleimer steht. Minimale Ausstattung wie in einem fragwürdigen Gefängnis oder Lager. Eine Frauen-legen-sich-auf-die-Matratzen-Choreographie lässt den Zuschauer fragend oder Schlimmes ahnend zurück. Der Hirtenknabe ist eine hübsche junge Frau im weißen Biedermeierkostüm. Dann ist da noch eine blutige Performance, das übergroße „S“-Siegel Scarpias, das Tosca nun lebenslang auf ihrem Rücken trägt und und und. Die Liste des Aufzuzählenden scheint unendlich, die Lust dazu nicht.
 
Da die Hintergrundhandlungen (überwiegend) stumm ablaufen und die Haupthandlung auf der Mitte der Bühne, kann in dieser Pandaemoniums-Produktion auf Mikroports verzichtet werden, für das Publikum im Zuschauerraum funktioniert das. Wie das in den Ecken des Pandaemoniums klingt, wenn man hinter den nach vorn Singenden sitzt, wäre interessant zu wissen, vielleicht bezieht sich darauf ja auch die Ankündigung einer „sehr dezenten Raumklangverstärkung“.
 
Szczepan Nowak (Ein Schließer), Oksana Sekerina (Floria Tosca. oben), Francesco Angelico (Musikalische Leitung), Ricardo Tamura (Mario Cavaradossi) © S. Hannak
 
Auch diese zweite Premiere leitet GMD Francesco Angelico, hat es aber schwer, gegen die Regie durchzudringen. Auch klingt das Orchester im Zuschauerraum etwas dumpf und nicht besonders präsent, was aber ein akustisches, kein künstlerisches Problem ist, denn die Leidenschaftlichkeit und der Elan vermitteln sich dennoch. Dass der Auftritt des Dirigenten in die Regie mit einbezogen wird, fordert von ihm ein gewisses Maß an Selbstironie. Er trägt über dem Frack einen üppigen Pelzmantel, den er zusammen mit seiner Sonnenbrille und seiner Uhr zwei Begleiter-Schergen übergibt, bevor er beginnt. Der Dirigent als mafioser Despot? Auf eine Anklage mehr oder weniger kommt es an diesem Abend nicht mehr an.

Hansung Yoo begeistert mit einem grandiosen Rollendebüt restlos als Scarpia. Er kann in dieser Partie seiner traumhaft schönen Stimme auch Härte und Gewalt verleihen, wirkt somit bedrohlich, dämonisch und schmeichelnd, wo es angemessen ist. Fast könnte man mit der äußerlich so abstoßend ausgestatteten Figur Mitleid haben, wenn er sich nicht nur lüstern, sondern auch liebessehnsuchtsvoll in Toscas Kleid suhlt. Aber nur fast. Oksana Sekerina setzt die Regieidee der zwei Dimensionen einer Frauenfigurdarstellung nicht nur szenisch, sondern auch gesanglich nachvollziehbar um, bleibt als Sängerin, die eine Sängerin spielt, immer wieder distanziert. Sie singt sehr kontrolliert, hat ein angenehmes Timbre und trumpft stimmlich nur gelegentlich auf. Ricardo Tamura ist in Kassel bekannt und erinnert an große Leistungen aus früheren Jahren, an die er an diesem Abend nicht ganz anknüpfen kann. Die Bass-Baritonistin Sam Taskinen singt den Angelotti mit satten, klangvollen Tönen und spielt ihn mit viel Leidenschaft. Mit Michael Tews als Mesner, Lars Rühl als Spoleta, Hakan Ciftcioglu als Sciarrone, Michael Kuzma als Schließer und Eva Carlberg in der Partie des Hirtenknaben sind die kleineren Rollen bestens besetzt. Der Chor klingt mächtig gewaltig aus der oberen Etage des Pandaemoniums.

FAZIT

Ähnlich wie am Tag zuvor fühlt man sich mit Bildern, Statements, Ideen, Ideologien und Vorwürfen nicht nur konfrontiert, sondern erschlagen. Dieses Zuviel schreckt eher ab, als dass es das Bedürfnis weckt, sich mit den aufgezeigten Problematiken näher zu befassen. Damit erweist sich die Regie selbst einen Bärendienst - der Oper Tosca sowieso.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Francesco Angelico

Musikalische Assistenz
und Nachdirigat
Kirill Stankow

Inszenierung
Sláva Daubnerová

Bühne
Sebastian Hannak

Kostüme
Dorota Karolczak

Licht
Jürgen Kolb

Videoregie
Konrad Kästner

Chor 
Mario Zeiser Celesti

CANTAMUS-Chor 
Maria Radzikhovskiy

Dramaturgie 
Sarah Schnoor

 

Chor des
Staatstheaters Kassel

Kinderchor Cantamus
des Staatstheaters Kassel

Staatsorchester Kassel


Solisten

*Premierenbesetzung

Floria Tosca, eine berühmte Sängerin
Oksana Sekerina

Mario Cavaradossi, Maler
Ricardo Tamura

Baron Scarpia, Chef der Polizei
Hansung Yoo

Cesare Angelotti
Sam Taskinen

Spoletta, Polizeiagent
Xianghu Alexander Liu /
Seong Ho Kim /
*Lars Rühl

Der Mesner
Michael Tewes

Sciarrone, Gendarm / Gendarm
*Hakan Ciftcioglu /
Ilyeol Park

Ein Schließer
*Michal Kuzma /
Szczepan Nowak

Hirt
Eva Carlberg


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
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