Eine kalte, gesellschaftskritische„La Bohème“ von Giacomo Puccini am Landestheater Linz

Xl_boheme-linz-9-21-1 © Barbara Pállfy

Sie fackelt nicht lange. Schon nach kurzem Kennenlernen ergreift sie die Initiative und überrascht ihn mit einem langen Kuss: Diese Mimi ist keineswegs das schüchterne Mädchen, wie man es sonst kennt, sondern eine selbstbewusste, berechnende, junge Frau, die genau weiß, was sie will und was sie nicht will. So sieht es zumindest Georg Schmiedleitner bei Giacomo Puccinis „La Bohème“,der Eröffnungsproduktion der heurigen Saison am Landestheater Linz. Der auch aus dieser Stadt stammende Regisseur verlegt die an sich anrührende Geschichte ins Heute. Er zeigt gescheiterte, beziehungsunfähige Existenzen von Künstlern, die oberflächlich stets das Vergnügen ohne Verantwortung und Verpflichtung suchen, eingebettet in eine moderne, gefühlsarme Spaßgesellschaft in heutigen, teils überzogenen Kostümen (Martina Lebert), die stets exzessiv Party feiern will: Besonders ausgelassen im zweiten Akt, aber auch im dritten Akt in einem Container über dem metallischen Grenzzaun (Bühne: Sabine Mäder). Nicht nur hier ist das Ambiente kalt und abweisend, sondern auch im kleinen Wohncontainer, wo die Bohemiens hausen. Hier nervt anfänglich wieder einmal ein oft im Weg stehender Kameramann, der das Geschehen hautnah mitfilmt, was auf einer großen Videowall zu sehen ist. Etwas tiefere, romantischere Gefühle kommen in dieser detaillierten, gesellschaftskritischen Inszenierung erst im Finale beim Sterben Mimis auf.

Diese wird von Erica Eloff, in einem sehr unvorteilhaftes Blümchenkleid, mit betörenden Piani und einem hellen, reinen Sopran gesungen.Rodrigo Porras Garulo verfügt als Rodolfo über ein schönes, höhensicheres und durchschlagskräftiges Tenormaterial. Die extrem exaltiert spielende, quirlige, beim ersten Mal über die Publikumsreihen auftretende Ilona Revolskaya singt die Musetta mit sehr flexiblem und leichtem Sopran. Schönstimmig hört man Adam Kim als Marcello, solide Martin Achrainer als Schaunard, und mit profunder Bassestiefe Dominik Nekel als Colline, dem die „Mantelarie“ besonders schön gelingt. Gut besetzt sind auch die vielen kleineren Rollen. Chor, Jugend- und Kinderchor des Landestheaters Linz erklingen homogen und ausgewogen.

Viele subtile Feinheiten, aufblühende Kantilenen und leuchtende Farben mit teilweise etwas breiten Tempi hört man beim Bruckner Orchester Linz unter Marc Reibel, der allerdings nicht immer die gesamte Palette der Emotionalität ausreizen kann.

Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

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