Artificial General Intelligence (AGI), zu Deutsch: Künstliche Allgemeine Intelligenz, ist die hypothetische Intelligenz eines Computerprogramms und dessen Fähigkeit, jede intellektuelle Aufgabe zu verstehen oder zu lernen, die ein  Mensch ausführen kann. Wissenschaftler vermuten, dass in frühestens 10 Jahren die Entwicklung und Speicherkapazität von Computern hierfür groß genug sein könnte. Der niederländische Komponist, Filmemacher, Drehbuchautor und Regisseur Michel van der Aa setzt sich mit den ethischen Implikationen dieser Thematik auseinander. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Allround-Multimedia-Spezialist und immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Erst vor zwei Jahren hat er eine Virtual Reality Kurzoper geschrieben; selbst nennt er das 15-minütige Eight eine Virtual Reality Installation.

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Julia Bullock und Roderick Williams
© Marco Borggreve

In van der Aa’s neuer Film-Oper Upload an der Dutch National Opera singt und spielt Sopran Julia Bullock als Tochter zusammen mit dem Avatar, dem digitalisierten Bild ihres Vaters, Roderick Williams, der nach einem sogenannten Mind-Upload nicht mehr als Mensch existiert. Mit seinem von ihm selbst geschriebenen Libretto zwingt van der Aa das Publikum, sich mit der zukünftigen Möglichkeit, ewiges Lebens mittels AGI zu gewinnen, auseinanderzusetzen. Und das gelingt ihm und seinem künstlerischen Team auf beängstigend-beeindruckende Weise.

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Roderick Williams
© Marco Borggreve

Unterstützt wird er dabei von dem zweiköpfigen Dramaturgenteam Madelon Kooijman und Niels Nuijten, das ihn auch schon bei Eight unterstützt hat. Für die perfekt synchronisierten Bewegungen des sich regelmäßig in Myriaden von Pixeln auflösenden Bildes des Avatar ist der Creative Coder und audiovisuelle Künstler Darien Brito verantwortlich. Die futuristischen 3-D Landschaften, die ab und zu wie expressionistische Max Ernst-Traumlandschaften über die riesigen Bildschirme flitzen, gehen auf das Konto von Fractal Artist Julius Horsthuis.

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Julia Bullock
© Marco Borggreve

Mittels dreier beweglicher Glasschirme, die als Leinwände fungieren (Dekor und Beleuchtung: Theun Mosk) werden die vorab aufgenommenen Filmbilder mit in den Hauptrollen spielenden Katja Herbers als einfühlsame Psychiaterin und Ashley Zukerman als enthusiasmierendem Direktor des Upload-Instituts immer wieder gebrochen oder verdoppelt (Bildregie: Joost Rietdijk). Dadurch bekommen die nahezu perfekt wiedergegebenen, an beeindruckenden Schauplätzen aufgenommenen Filmsequenzen unvermeidlich auch eine suggestive Wirkung. Diese wird noch dadurch verstärkt, dass die Sänger mit den Personen im Film Gespräche führen und scheinbar aufeinander reagieren.

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Julia Bullock
© Marco Borggreve

Die Wohnung der Tochter über den Dächern New Yorks, deren Inneneinrichtung sich sowohl im Hintergrund als auch vorn und seitlich mitbewegt, brennt sich förmlich auf die Netzhaut und schafft für die Zuschauer die Illusion des unmittelbar Dabeiseins. Williams singt glücklicherweise nicht nur aus dem Off. Van der Aa verstärkt die Wirkung seines Avatar sehr elegant dadurch, dass man Williams im Bühnenhintergrund vor mehreren Kameras bewegen sieht, womit er den Schaffensprozess dieser modernen technischen Hochleistung gleich mitliefert.

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Upload
© Marco Borggreve

Das von Otto Tausk geleitete Kölner Ensemble Musikfabrik ist ebenfalls auf der Hinterbühne des Amsterdamer Musiktheater präsent. Der agile Tausk muss nicht nur die zwei ausdrucksstarken Sänger durch die anspruchsvolle Partitur leiten, sondern auch gleichzeitig die vorab aufgenommenen Soundfiles in den Gesamtklang integrieren. Die aus so unterschiedlichen Quellen zusammengesetzte Musik ist in dieser super modernen Theaterfilmshow leider nicht immer das tragende Element. Die Frage ist nun nicht mehr wie bei Richard Strauss, ob die Musik oder das Wort an erster Stelle kommt. Van der Aa beantwortet diese Frage 2021 ganz eindeutig mit einem der heutigen Zeit angepassten dritten Weg: Die Kraft der (Film-)Bilder gewinnt logischerweise vor Wort und Musik in unserem von Bildschirmen beherrschten Zeitalter!

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Roderick Williams und Julia Bullock
© Marco Borggreve

Als gegen Ende der Oper die zwei auf einer riesige Leinwand projizierten Sänger sich von oben auf die Zuschauer senken, entsteht eine im wahrsten Sinne erdrückende Nähe zu den beiden liegend singenden Charakteren. Intimer habe ich Oper selten erlebt. Die langsame empfindsame Musik an dieser Stelle ist dieselbe wie am Anfang der Oper. Nun aber, nach 80 Minuten bombenvoller, Fragen aufwerfender Filmopernhandling stellt sich bei denselben Klängen auch ein Gefühl eisiger Kälte ein, ob der verwirrenden Optionen, vor die uns die sich pfeilschnell entwickelnde Technik stellt. Damit erinnert die Leinwand über den Köpfen der Zuschauer an ein weiteres vielsagendes Bild: die unendliche Ferne unseres sich ständig ausbreitenden Sternenhimmels in einem Planetarium.

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