Berliner Opernpremieren : Kein Marihuana-Wölkchen weit und breit
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Hier sind sie Monster, hier dürfen sie’s sein: Ivan Turšić als Fatty (links) und Jens Larsen als Dreieinigkeitsmoses in „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Bild: dpa
Die Staatsoper Unter den Linden zeigt „Così fan tutte“ als ästhetisierte 68er-Geschichte, an der Komischen Oper wird moralisches Theater zelebriert.
Das Bedürfnis nach großen, zyklischen Zusammenhängen scheint groß. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, möchte seine neue Inszenierung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ als eine Art „zweite Staffel“ nach Arnold Schönbergs zeitgleich entstandener Oper „Moses und Aaron“ verstanden wissen (um den Bogen noch weiter zu schlagen hin zu Jerry Bocks Musical „Anatevka“ als drittem Teil einer solchen Trilogie). Beide Werke hat Kosky an seinem Haus in den vergangenen Spielzeiten inszeniert. An der Staatsoper Unter den Linden führt derweil Vincent Huguet seine Trilogie der drei Opern von Wolfgang Amadeus Mozart auf Libretti von Lorenzo Da Ponte fort. Eine Geschichte der Sexualität möchte der französische Regisseur hier in drei Teilen erzählen, inspiriert von Michel Foucaults „Sexualität und Wahrheit“. Coronabedingt wurde die Reihenfolge der Premieren verhagelt: „Le nozze die Figaro“, bei Huguet Teil zwei als Geschichte eines reifen Mannes in einer Ehekrise, wurde in der vergangenen Saison als Streaming-Premiere vorgestellt, „Così fan tutte“, als Auftakt eigentlich schon für Ostern 2020 geplant, wurde nun nachgereicht.
Die Reihenfolge ist nicht unwichtig, da Huguet in seiner aktualisierenden Inszenierung streng chronologisch vorgeht und ein Panorama spannen möchte von den Jahren nach 1968 bis heute. „Così“ bildet dabei den Ausgangspunkt als ein Stück, das von sexueller Befreiung erzählt. Recht elegant vermag Huguet damit die Geschichte von Fiordiligi und Dorabella, die von ihren eigenen Verlobten in verkleideter Gestalt zur Untreue verführt werden, als Geschichte einer Emanzipation zu erzählen: indem sie bewusst ihre Gefühle bejahen oder, wie es Don Alfonso, der lenkende Kopf hinter dem Experiment, am Ende vermittelnd formuliert: ihr „Bedürfnis des Herzens“.
Blumenkinder und Hippies
Das Gefühlschaos, das dabei entsteht, hat Mozart in den Solo-Arien des zweiten Aktes so eindringlich auskomponiert, als hätte er die Probleme der 68er-Libertinage schon vorausgeahnt. Vincent Huguet, der die Handlung wie vorgesehen im mediterranen Raum vor dem Schattenriss eines Vulkans platziert, lässt sein Personal hier auf schwankendem Schiff unter bestirntem Himmel auftreten. So weit, so gut, würde einem dieses 68er-Setting nicht so geschönt begegnen. Als Chor treten Blumenkinder und Hippies auf, fröhlich tanzend wie eine Folkloretruppe in der Abendsendung eines dritten Fernsehprogramms: mit frisch gewaschenen Füßen, aller berauschenden Mittel bereinigt – nicht die Spur eines Marihuana-Wölkchens.
An einem Fläschchen Bier wird immerhin genippt, als zu Beginn zwei Gestalten in Trompetenhosen die Verführer für Guglielmo und Ferrando geben, die, eben noch in der Freizeitkluft gesicherter Bürgerlichkeit mit Polohemd, Bundfaltenhose und Segeltuchschuhen, ihre Treueschwüre abgegeben hatten. Sonst bleibt hier alles auf dem Trockenen, womit auch das fein ausgezirkelte Bühnenbild von Aurélie Maestre gemeint ist, das mit architektonischem Schick und ambitioniertem Design wohl repräsentativen Bedürfnissen der Staatsoper entgegenkommt, der Inszenierung aber zu einem artifiziell gestalteten Gefängnis wird. Die unschönen Seiten der Machtausübung, wie sie ebenfalls Teil der 68er-Geschichte sind, erhalten hier keinen Raum; stattdessen wird in Hippiekluft die romantische Liebe besungen und sich unter freiem Mittelmeerhimmel anmutig gepaart. Das darf man ruhig eine Verharmlosung nennen.