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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Götterdämmerung

Alles nur Theater

(Berlin, 17.10.2021) Die großen Fragen von Wagners „Ring“ lässt Stefan Herheim unbeantwortet, große Schau- und Unterhaltungswerte bietet seine Inszenierung allemal. Sir Donald Runnicles und sein Orchester sind dafür wieder in Spitzenform.

vonRoberto Becker,

Eigentlich müsste mit der „Götterdämmerung“ ein „Ring“-Fazit gezogen werden. Im konkreten Fall von Stefan Herheims Projekt an der Deutschen Oper Berlin wäre das verfrüht, denn mit „Siegfried“ fehlt aus den bekannten, mittlerweile allseits nervenden Gründen, noch ein Teil. Der wird im Rahmen der ersten zyklischen Gesamtaufführung an der Bismarckstraße im November nachgereicht.

Koffergebirge und Tücherstürme

Damit ergibt sich die Möglichkeit, den großen Abschlussbrocken der Tetralogie, in dem ja allein schon im langen ersten Aufzug eine Menge los ist, sozusagen für sich zu betrachten. Was man natürlich eigentlich nicht kann. Denn ein paar konstituierende Elemente und vor allem das Herheimsche Herangehen finden sich natürlich auch hier in dem Teil, für den die anderen nur die Vorbereitung sind: Koffergebirge und Tücherstürme, ein Konzertflügel als Metapher für den musikalischen Urknall und als Einfalls- (oder Ausbruchs-)Tor für das muntere Bühnenleben und -sterben des Ringpersonals – alles ist da. Alles wird extensiv bis nervend zelebriert.

Szenenbild aus „Götterdämmerung“
Szenenbild aus „Götterdämmerung“

Herheim weicht der Tetralogie so geschickt wie selbstverliebt aus

Wobei inszenatorisches Herangehen hier (erneut) auch ein Umgehen ist. Denn die Tetralogie will nun mal – vor allem wenn man die Meilensteine der Rezeptionsgeschichte nach dem Krieg im Blick behält – aufs Große und Ganze hinaus. Auf einen Welterklärungsversuch samt Gegenwartscheck gewissermaßen. Daran jedenfalls mogelt sich Herheim auch in der „Götterdämmerung“ im Grunde und ein wenig selbstverliebt in seine Einfälle vorbei.

Geschickte Verklammerung der Anfangs- und Schlussszene

Nimmt man also diese „Götterdämmerung“ für sich, dann erschließt sie sich noch am ehesten, wenn man die Anfangs- und Schlussszene als die Klammer annimmt, die der Regisseur um die Flut an Einfällen und szenischen Deutungen setzt. Danach ist das alles vor allem Theater, über dessen Relevanz die Zuschauer letztlich selbst entscheiden müssen. Er beginnt mit einer (relativ jungen) Besuchergruppe im Parkett-Foyer (samt der Wolkenskulptur) der Deutschen Oper. Sie bewegen sich langsam, erstarren dann aber plötzlich und gehen wie vom Schlag getroffen zu Boden. Zwischen diesen Herumliegenden beginnen die Nornen (Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Aile Asszonyi) ihre große Zusammenfassung, jenes Was-bisher-geschah. Und es endet mit einem großen, wortwörtlichen Untergang des Personals über dem rot und dann weiß leuchtende Scheinwerferbatterien einschweben. Das mögliche Schlussbild, eine irgendwie geläuterte Schar von Menschen auf einen Neuanfang hoffen zu lassen, verkneift sich Herheim allerdings. Sein letztes Wort ist ein ziemlich ramponierter, leerer Bühnenraum, bei dem eine einsame Reinigungskraft, ungerührt von dem „Was war“, die Reste zusammenfegt. Über irgendein mögliches „Was werden könnte“, wissen wir als Zuschauer mit dieser „Götterdämmerung“ auch nicht mehr als ohne sie.

Szenenbild aus „Götterdämmerung“
Szenenbild aus „Götterdämmerung“

Ein stummer Wotan auf dem nordischen Olymp

Immerhin hat Herheim seine Statisten reichlich beschäftigt. Zu Beginn, wenn sie durch Händehalten und eine entsprechende Choreografie die Seile imaginieren, die sich die Nornen zuwerfen. Oder, wenn sie mit gereckten Armen und flatternden Händen das finale – zunächst ja nur an die Wand gemalte, dann aufflackernde Untergangsfeuer – heraufbeschwören. Diese Statisten ziehen sich nicht nur des öfteren aus und wieder an, sie werden auch zu einem für sich genommen eindrucksvoll opulenten und ironisierenden tableau vivant, wenn hinter der Verkleidung des nachgebauten Foyers der Blick auf das Personal von Walhall freigegeben wird. Drapiert wie auf einem nordischen Olymp in der Höhe der Kofferberge. Wotan in der Mitte, die Walküren und die einsammelten Helden um ihn herum. Ungefähr so hätte man auch zu Wagners Zeiten Werbung für den Ring machen können. Das hat schon seinen Reiz. Aber als Hintergrund von Waltrautes großer Erzählung, die Dank Okka von der Dameraus überragender (und vom Publikum auch angemessen gefeierter) Gestaltung zu einem vokalen Höhepunkt des langen Abends wird, ist so ein Bild im besten Falle Phantasieüberschuss, im weniger günstigen Misstrauen in die Imaginationskraft der Musik. Wotan allein auf dem Felsen – Aug in Aug mit seinem Herausforderer Hagen – das macht was her. Wotan am Klavier als physisch vorhandener Ansprechpartner Brünnhildes in ihrem Schlussmonolog – das ist dann doch arg platt illustrierend. Der Göttervater hatte zwar nichts zu singen, aber war ziemlich präsent – und wird nicht mal namentlich erwähnt. Undank ist halt auch der Theater-Welt Lohn.

Szenenbild aus „Götterdämmerung“
Szenenbild aus „Götterdämmerung“

Die Brünnhilde der Nina Stemme und der Siegfried des Clay Hilley beeindrucken enorm.

Die Kostüme von Uta Heiseke sind im Falle von Brünnhilde sagen wir stiefmütterlich und bei Siegfried von parodierendem Übermut. Vokal beeindrucken beide durchweg. Nina Stemme ist eine bewährte und nach wie vor alle Erwartungen an eine großformatige Brünnhilde erfüllende Sängerin. Der junge Clay Hilley hat sich als Siegfried in die erste Reihe der Heldentenöre mit Zukunft gesungen. Wie er sich immer mehr frei spielt und auch stimmlich sogar noch steigert, ist imponierend. Das gilt auch für seinen souveränen Umgang mit dem gelegentlich ausgestellten Siegfried-Klischee. Ein Musterbeispiel von vokaler Präzision und Spielfreude bieten auch Aile Asszonyi als Gutrune und Thomas Lehman als Gunther. Dass der Hagen von Gidon Saks stimmlich da nicht mithalten konnte, dürfte kaum an einer angekündigten Indisposition gelegen haben. Darstellerisch war er grandios. Wie er die Kurve vom eleganten Intriganten zum Psychopaten kriegt, der im Blutrausch den gerade ermordeten Siegfried auch noch enthauptet, davon aber völlig überfordert ist, hat schauspielerische Klasse. Jürgen Linn ist ein finsterer Alberich. Als Rheintöchter gestalten Meechot Marrero, Karis Tucker und Anna Lapkovskaja ihre Begegnung mit Siegfried eindrucksvoll. Die von Jeremy Bines einstudierten Chöre imponieren mit Stimmgewalt und Spiellust.

Orchestrales Wagnerschwelgen und einige Buhs für die Regie

Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper schwelgen in ihrem Wagner – ähnlich wie das Geschehen auf der Bühne, sozusagen szenenweise. Momente der Spannung in der Ruhe kosten sie gleichwohl voll aus. Das Publikum bejubelte die Protagonisten. Beim Regieteam gab es etliche Buhs.

Deutsche Oper Berlin

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