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Jubel für opulente Show mit beklemmenden Untertönen

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Ausdrucksstark: Die Kit-Kat-Boys und -Girls am Kasseler Staatstheater mit Jasmin Eberl als Sally Bowles (mit weißen Strümpfen).
Ausdrucksstark: Die Kit-Kat-Boys und -Girls mit Jasmin Eberl als Sally Bowles (mit weißen Strümpfen). © Nils Klinger

Zum Teil sitzen die Zuschauer im Kasseler Opernhaus mit auf der Bühne, wenn dort das Orchester, die Sänger und Tänzer den Musikcal-Klassiker „Cabaret“ aufführen.

Kassel – Gegen den Katzenjammer hilft ein verquirltes Eigelb mit Worchestersauce und eine neue dicke Lage Make-up am Schminkspiegel. Am besten immer weiter machen mit der Show. Nachtklub-Star Sally Bowles weiß, das Leben ist ein Cabaret und wir sind nur die Kandidaten aufs Glück. Die Strapse angeklammert, hoch die Beine, der nächste Galan wird kommen und dann gibt es wieder Gin statt rohes Ei.

Ein fein kalibriertes Wechselspiel der Gefühle schuf Henriette Hörnigk in ihrer Inszenierung des Musical-Klassikers „Cabaret“ von Ebb/Kander. Am Samstag gab es für die Koproduktion mit den Bühnen Halle Applaus im Stehen und Bravo-Rufe im vollen Kasseler Opernhaus.

Dem großartigen Ensemble und dem Orchester unter der musikalischen Leitung von Peter Schedding gelang eine überzeugende Mischung aus Glamour und Beklemmung. Da kippt die laszive Erotik der Nachtklubwelt in die Gleichmacherei der Nazi-Schreihälse. Schon 1930 können sie die Meinungs-Lufthoheit an sich reißen, obwohl es doch gerade eben noch keine Rolle gespielt hatte, ob jemand jüdisch ist oder nicht. Wer so prekär lebt, dass die materielle Existenz gefährdet ist, oder wer einfach nur auf jeder angesagten Fete dabei sein will, macht halt mit.

Hörnigk integriert – eine gewichtige Ergänzung – einige Zitate des US-Autors Christopher Isherwood, der die Zeit als Beobachter in Berlin miterlebt hat und schon früh nicht fassen konnte, wie diese freizügige Stadt sich in die Arme der braunen Unholde wirft. Isherwood ist das Vorbild für jenen Clifford Bradshaw (mal seriös, mal schillernd: Nils Thorben Bartling), der sich im Stück in Sally Bowles verliebt und in der Pensionswohnung von Fräulein Schneider eine Existenz aufzubauen versucht. Vielleicht sogar mit Baby.

Manche Gags und demonstrativen Unterleibszuckungen sind zu zotig und simpel, ebenso wie die blonden Seitenscheitelperücken, mit denen die ganze Truppe plötzlich ausstaffiert ist.

Die Live-Videos unter Regie von Konrad Kästner blenden mal in die Nachtklubgarderobe, mal aufs Sofa zu Fräulein Schneider und mal ins Orchester, das die teils jazzigen, teils leicht angeschrägten, teils strahlenden Revue-Klänge auf den Punkt brachte.

Das Spiel mit der Privatsphäre passt ebenso gut zur Grundüberlegung, ob das ganze Leben ein Cabaret ist, wie das Konzept von Bühnenbildnerin Claudia Charlotte Burchard. Sie lässt die Handlungen auf der riesigen Bühne ineinanderfließen – vom Nachtklub über den Obstladen des Herrn Schultz zur Tanzdarbietung der Kit-Kat-Boys und -Girls.

So wird hier alles Cabaret, und Jasmin Eberl ist darin eine wunderbare Sally Bowles. Verzweifelt, euphorisch und mit einer eindrucksvollen Singstimme präsentiert sie nicht nur den großen Titelsong „Cabaret“, sondern etwa auch „Mama“ und „Maybe This Time“. Zwischen Glamour, trotzigem Weitermachenwollen, Zerbrechlichkeit, aber auch etwas Frechem, Pumucklhaften kann sie binnen Sekunden wechseln und dabei die riesige Bühne mühelos ausfüllen.

Anrührend in ihrer vorsichtigen Verliebtheit, Hoffnung und späteren Enttäuschung sind Matthias Brenner als Herr Schultz und Barbara Schnitzler als Fräulein Schneider, die sich im fortgeschrittenen Alter in eine Romanze wagen und herrlich eine Ananas besingen.

In hautfarbenen Dessous und Strapsen (Kostüme: Henrike Engel) zeigen die Tänzer anspruchsvolle Choreografien von Dominik Büttner. Große Bilder und detailreiche Miniszenen bieten viel Augenfutter. „Biutifull“, wie es Florian Krannich als Conférencier mit heftigem deutschen Akzent auf den Punkt bringt. Leicht fies, distanziert und eher dominant als charmant dirigiert er Wohl und Wehe im Kit-Kat-Klub und streckt bezirzend die Finger auch nach dem Publikum aus, das teils an Tischchen im Orchestergraben platziert war, also quasi Teil des Nachtklubs wurde.

Und als am Ende das Licht erlischt, bleibt ein Spot auf dem Gesicht des Conférenciers und zeigt nur noch ein diabolisches Grinsen.

staatstheater-kassel.de

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