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Kultur Serebrennikovs Schostakowitsch

Weine, armes Russland, weine

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Eiszeit, nicht nur jahreszeitlich bedingt: Szenenbild aus „Die Nase“ Eiszeit, nicht nur jahreszeitlich bedingt: Szenenbild aus „Die Nase“
Eiszeit, nicht nur jahreszeitlich bedingt: Szenenbild aus „Die Nase“
Quelle: WILFRIED HÖSL
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Der Regisseur Kirill Serebrennikov darf sein Land immer noch nicht verlassen. Jetzt hat er zum Start der Intendanten-Ära von Serge Dorny an Münchens Staatsoper von Moskau aus Schostakowitschs „Die Nase“ inszeniert. Als bittere Abrechnung mit Russlands Gegenwart. Etwas ist dabei allerdings vollkommen abhanden gekommen.

Witz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Auch feuriger Krawall, Klangfunken, Tonleuchtfeuer. Das alles ist „Die Nase“, der tolldreiste Jugendopernstreich des erst 24-jährigen Dmitri Schostakowitsch von 1930 nach der noch tolldreisteren Beamten- und Männerwürdeparabel des Nikolai Gogol von 1836. Zarenreich und noch junge UdSSR werden hier auf einen Streich bitterblitzend verquirlt.

Kaum etwas von diesem durch und durch grimmigen Humorpotential scheint in den knapp zwei Stunden auf, mit denen ein riesiges, rein russisches Team an der Bayerischen Staatsoper die neue Intendantenära von Serge Dorny eröffnet. Auch Vladimir Jurowski dirigiert mit der hier noch nie gespielten Oper seine erste Premiere als Generalmusikdirektor.

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Auf der Leinwand verbeugt sich am Ende, aus Moskau zugeschaltet, Kirill Serebrennikov, Russlands gegenwärtig bekanntester Kunstjustizfall. Der nach einem spektakulären Prozess wegen angeblicher Unterschlagungen verurteilte Film-, Theater-, Opern- und Tanzregisseur hat nach wie vor keinen Pass.

Er kann nicht ausreisen und muss weiterhin per Video und Übersetzung aus der Ferne inszenieren. „Free Kirill“, hat seine vielköpfige Mannschaft vor Ort immer noch ostentativ auf dem T-Shirt stehen.

Die räumliche Ferne, die haptische Abwesenheit. Das wird wohl auch der Grund sein, dass diese „Nase“ zunächst einigermaßen holzschnitthaft und mechanisch auf der Serebrennikov-Bühne abläuft.

Mit Gogol hat das nichts zu tun

Eine düstere, vereiste Kiste mit Gitter drauf ist das. Schneehaufen überall, Flockenfall, Fischer, die Menschenteile aus dem Eiswasser angeln. Russland, graue, böse Mutter. Nur selten von fieser Neonreklame, billigem Weihnachts-Blingbling erhellt.

Mit der überspitzten St. Petersburger Novellenvorlage Gogols vom aufgeblasenen Kollegienassessor Kowaljow, dem beim Rasieren die Nase abhandenkommt (gemeint ist natürlich auch ein unterhalb der Gürtellinie situiertes Körperteil) und der seine gesellschaftliche Stellung verliert, während sein jetzt autarker Riechkolben zum Staatsrat aufsteigt, hat diese Neuinszenierung wenig zu tun.

Und auch nicht mit den gern von Regisseuren zitierten futuristisch-kommunistischen Operndiskussionen, denen der vom Meyerhold-Virus infizierte Dmitri Schostakowitsch „Die Nase“ höchst umstritten, aber erfolgreich ins Gesicht schoss.

Kirill Serebrennikov über "Die Nase"

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Dieses Münchner Bühnen-Russland ist überall: ein grimmiger, grausamer Polizeistaat, wo schon Schneeräumer aus Pappe Gefahr verheißen, Trommeltruppen als Perkussionspatrouille bedrohlich mit Scheinwerferbatterie vorpreschen, in dem auch Kowaljow Delinquenten schon in der Untersuchungshaft das abschneidet, was sie definiert: den Gesichtserker.

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An Nasen besitzt man hier nicht nur eine, es werden mehr, je höher man in der Nomenklatura steht. Wie verformte Francis-Bacon-Monster sehen diese eigentlich entstellten Menschen aus.

Doch als Kowaljow seine Nase sowie der auch alle anderen grotesk auspolsternde Fatsuit abhandenkommt, schaut darunter ein Individuum hervor: nackt und ehrlich. Was lebensgefährlich ist. Der Mensch als Ich, womöglich denkend, nicht nur Befehle ausführend, der ist hier eigentlich nicht vorgesehen.

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Kowaljow will seine Nase wieder, die jetzt als Extremes kreischender Politiker Anhänger sammelt. Irgendwann ist sie wieder da. Aber Kowaljow wird nicht mehr glücklich, das Nasenabschneiden bei den anderen macht kaum noch Spaß. Er torkelt wodkatrunken mit Karnevalshütchen nach Hause in den nur als Filmfantasmagorie auf toten Wänden lebendigen Plattenbau.

Kein schöner Anblick. Zu leeren Klängen aus dem achten Streichquartett von Schostakowitsch. Im Fenster rechts oben erhängt sich einer, einem Mädchen platzt der rote Luftballon. Und der schluchzende Kowaljow, jetzt mehr Mussorgskys „Boris Godunow“-Gottesnarr, der könnte ebenfalls jammern: „Weine, armes Russland, weine.“

Das ist gar nicht mehr lustig. Das ätzt nihilistisch, ist dunkel pessimistisch, zynisch; keine Hoffnung, kein Furor, nirgends. Ziemlich gemächlich und monochrom zieht die doch sehr einseitige Geschichte vorüber. Dabei besteht dieser Hundertminüter eigentlich aus furios filmschnittigen Szenen, dahinwalzenden Zwischenspielen, schrägen Parodien, wilden Schlagwerkorgien, radikal raffinierten Rhythmen, fiesen Fugen und als lustvolles Chaos arrangiertem knalligem Krach.

Das Staatsorchester meistert alles

Dem gilt es eine Form zu geben, optisch wie akustisch. Doch auch Vladimir Jurowski, der einige szenische Umstellungen erlaubt hat, bleibt zunächst verhalten: lauernd ruhig, unerbittlich disparate Disharmonien teilend, sich vorsichtig in periphere Polyphonie verästelnd.

Der Lärm aus Trillerpfeifen, schrillem Blech, singender Säge und Streicherostinati wird sich langsam steigernd mutwillig. Die leisen Stellen bekommen freilich gerade als Kontrast Kontur und Tiefe. Das Bayerische Staatsorchester meistert das, als sei’s ein Kindermusikspiel.

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Auch das vielfach geforderte, in unbequemste Lagen getriebene Vokalensemble samt willigem Chor singt und schreit alles scheinbar mühelos. Zum Teil große Namen sind unter den 77 Mini-Partien dabei: Boris Pinkhasovich, der als Kowaljow den Abend vokal wie darstellerisch an sich reißt, Sergei Leiferkus als Barbier, Laura Aikin, Gennady Bezzubenkov, die wunderbar präsente Doris Soffel als alte Dame, winkend im Sarg davongetragen, Anton Rositskiy als Nase, Alexandra Durseneva, Mirjam Mesak, Tansel Akzeybek. Sie alle bleiben freilich nur Popanze und Knallchargen.

Immer wieder wird aber auch deutlich, da ist die Zoom-Regie eben nur grob gestrickt, dass dem juvenilen, nach der Uraufführung erst einmal für 45 Jahre in Russland verbotenen Stück des frechen Spund Schostakowitsch nicht selten die Puste ausgeht, dass sich die Erzählstränge lockern.

Das buntschillernde Anarcho-Radaustück mutiert diesmal zur schwarzen Dystopie. Aus der befangenen, betroffenen Serebrennikov-Perspektive verständlich, aber auch etwas einseitig.

Die wild und mutwillig gegen alle Kunstkonventionen verstoßende Satire wird zwar nicht nur comichaft überzeichnet, verfällt ebenso wenig der süßen Honigfalle der üblichen Konstruktivismus-Optik expressionistischer Sowjetbauart. Sie muss stattdessen herhalten als brutale Münchner Abrechnung mit den hohen Herren in Moskau und in der Kirche, die Kirill Serebrennikov nun seit Jahren drangsalieren.

Schostakowitsch mit bös-gehaltvollen Bedeutungsunterbau, aber ohne Revolte-Glitter, Paranoia und Kastrationsangst. Als beifallsheischendes Eröffnungsopus einer neuen Intendanz ist diese einnehmende wie ermüdende „Nase“ zwar extrem personenintensiv und aufwändig, aber eben auch leider einigermaßen abtörnend. Der Applaus klatschte sich nur langsam warm, war allzu schnell verflogen. Das Team Dorny hat in München also noch viel Opernluft nach oben.

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