Die Meistersinger von Nürnberg – Richard Wagners einzige komische Oper – kann man verschiedenartig inszenieren und interpretieren, was bereits die reichhaltige Rezeptionsgeschichte der Oper in Deutschland gezeigt hat. Während sich einige Regisseur*innen ganz auf die Dreiecksbeziehung und Liebesgeschichte konzentrieren, arbeiten andere die politische Brisanz auf – sei es im Kontext des Zweiten Weltkriegs oder der Geschichte Nachkriegsdeutschlands – die Meistersinger liefern eine immens große Fläche für Interpretation. Dass es leider auch Produktionen gibt, die der Rezeptionsgeschichte der Oper nichts hinzuzufügen haben, hat man an der Oper Leipzig erleben dürfen. Hier präsentiert Regisseur David Pountney eine völlig sinnfreie und ästhetisch abschreckende Sicht auf die Meistersinger und zeichnet dabei einen äußerst oberflächlichen wie unreflektierten Blick auf die deutsche Geschichte.

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Die Meistersinger von Nürnberg
© Kirsten Nijhof

„Ist das die Art und Weise, mit der die Briten auf die Geschichte Deutschlands blicken?”, fragt man sich, als sich so langsam das Konzept Pountneys Inszenierung erschließt. Der britische Regisseur teilt den drei Akten wichtige historische Schlüsselmomente zu – beginnend mit dem mittelalterlichen, florierenden Nürnberg, gefolgt vom düsteren Kapitel des Dritten Reichs, in dem die Prügelfuge mit dem Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt wird; und letztlich der Wiederaufbau des zerstörten Landes. Hinweise darauf gibt nur das Bühnenbild, welches trotz fragwürdiger Ästhetik elaboriert und detailreich ausgeführt wurde, jedoch nicht über die seichte Erzählweise und mangelnde Personenregie hinwegtäuschen kann. Die Sänger*innen bewegen sich in einen Nürnberger Miniaturwunderland, bestehend aus hölzernen, hüfthohen Bauten, bei denen von den Kirchen, Dürer-Haus bis zur Kaiserburg alles vertreten ist. Unter Bühnenbildner Leslie Travers entstand ein Modell des mittelalterlichen Nürnbergs mit viel Liebe zum Detail; leider verkommt seine fantasievolle Szenografie zur bloßen Dekoration, aus der mal links, mal rechts oder inmitten gesungen wird. Diese wird eingerahmt von einem Amphitheater, bei dem recht schnell klar wird, wer redet und wer zuzuhören hat – doch was ausgesagt werden soll, steht weiterhin in Frage.

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Elisabet Strid (Eva) und Magnus Vigilius (Walther)
© Kirsten Nijhof

Diese Übersimplifizierungen und mangelnd überzeugende visuelle Darstellungen ziehen sich durch die gesamte Inszenierung und lassen an der Erfahrung des Regisseurs zweifeln, der u.a. in Wien, Bregenz und München Regie geführt hat. Seine Inszenierung wirkt schlecht kopiert mit Regieansätzen, die man auf anderen Bühnen bereits besser ausgeführt gesehen hat. Immerhin gehen Regie und Bühne Hand in Hand mit den Kostümen, deren Ästhetik ebenso fragwürdig, geradezu abschreckend daherkommt. Diese changiert zwischen einem dekadenten Verbrauch bunter Samtstoffe bis hin zu weißen Polyesterfummeln für die „Fürther Mädel“. Besonders auf deutschen Bühnen, auch in Hinblick auf aktuelle politische Entwicklungen, sollte eine differenzierte und weitreichende Auseinandersetzung mit den Meistersingern Voraussetzung sein. Es ist schade, dass die Geschichte Deutschlands in Pountneys Augen vor 30 Jahren ihren Abschluss fand; was derzeit in Politik und Gesellschaft besonders in Sachsen passieren, findet bei ihm keine Beachtung. Im Falle Pountney, der sich für eine oberflächliche politische Auseinandersetzung mit dem Werk entschieden hat, wird es zur verpassten Chance. Selbst der humoristische Ansatz bleibt auf der Strecke, wenn gelacht wird, dann nur über Wagners Libretto. Gelegentlich versucht sich Pountney zwar mit Slapstick, aber auch das wirkt äußerst bemüht. Und selbst Prügelfuge oder Aufzug zur Festwiese – bekanntermaßen sind diese Massenszenen eine Goldgrube für jede Regie – geriet mit banalen, stereotypen und hölzernen Tanzeinlagen des Chors zur Farce.

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James Rutherford (Hans Sachs) und Elisabet Strid (Eva)
© Kirsten Nijhof

Auch Generalmusikdirektor und Intendant der Oper Leipzig, Ulf Schirmer und sein Gewandhausorchester waren an diesem Abend alles andere als in Topform. Der Orchesterklang blieb weitestgehend gleichförmig und schwerfällig, mit einer Ouvertüre die holprig und unstimmig wirkte, leider aber den Ton für die kommenden fünf Stunden vorgab. Man vermisste die verspielte Leichtigkeit, das aufblühende Strahlen der Musik und die Virtuosität des sonst so versierten Gewandhausorchesters.

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James Rutherford (Hans Sachs) und Magnus Vigilius (Walther)
© Kirsten Nijhof

Die karg gesäten Lichtblicke des Abends galten den hochkarätigen Sänger*innen, die trotz schwerfälliger Inszenierung ihre eigene berührende Geschichte erzählen konnten und den Abend so zu einen hörenswerten Erlebnis machten. Allen voran brillierte James Rutherford als Hans Sachs. Schon vor zehn Jahren gestaltete er diese Partie bei den Bayreuther Festspielen – an diesem Abend wuchs er in den drei Akten über sich hinaus. Mit kraftvoll kerniger Baritonstimme sang er einen packenden Wahn-Monolog und berührte besonders im dritten Akt als er Eva an Walther übergibt. Rutherford ging äußerst souverän, ja schon gelassen, an seine Rolle heran, ohne jedoch nachlässig zu sein. Dafür sprachen vor allem seine exzellente Aussprache und ein Rollenverständnis, das sich nach anfänglicher Zurückhaltung in differenziertem, nahegehendem Spiel äußerte.

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Matthias Stier (David) und Kathrin Göring (Magdalena)
© Kirsten Nijhof

Elisabet Strid, die mit dramatischer Stimme als selbstbewusste Eva daherkam und mit großer Stimme und glühender Phrasierung beeindruckte, verdient Bewunderung nicht zuletzt auch Dank ihrer feinsinnigen Charaktergestaltung. Als Walther von Stolzing bestach der Tenor Magnus Vigilius durch seine jugendlich strahlende Stimme und charismatische Darstellung. Der Walther ist für Tenöre eine besonders kräftezehrende Partie und ihm gelang die Synthese von Ausdauer und Belcanto. Kathrin Göring, seit Jahren eine feste Größe im Leipziger Ensemble und eine ebenso erfahrene wie wandlungsfähige Mezzosopranistin, lieferte mit strahlend kultivierter Stimme eine Magdalene par excellence ab.

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James Rutherford, Magnus Vigilius, Elisabet Strid, Kathrin Göring und Matthias Stier
© Kirsten Nijhof

Die Überraschung des Abends war der Bassbariton Ralf Lukas, der als Einspringer für den erkrankten Mathias Hausmann die Rolle des Beckmessers zumindest stimmlich vertreten konnte. Dies stellte sich als Glücksfall heraus, denn Lukas interpretierte ihn mit überragender stimmlicher Präsenz und mal feinsinniger, mal überaus komischer Rollengestaltung. Er vermochte Beckmessers eklektischen Gesang in fast schon schöne Arien zu verwandeln und hatte so trotz seiner Platzierung am Bühnenrand alle Augen auf sich gerichtet.

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