Die Welt ist untergegangen, Brünnhilde in die Flammen geritten, das Erlösungsmotiv noch nicht ganz verklungen, da werden schon die Scheinwerfer justiert und nach oben gefahren. Die Bühne ist leer, der schwarze Flügel – Nukleus des Herheim-Rings – schon wieder eingepackt und eine Reinigungskraft wischt die letzten Überbleibsel des Abends auf. So ereignisreich die letzten sechs Stunden an der Deutschen Oper Berlin waren, so banal enden sie.

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Thomas Lehman (Gunther) und Clay Hilley (Siegfried)
© Bernd Uhlig

Und dennoch bleibt einem dieses absurde Bild im Kopf und geistert noch lang darin herum. Ob man dieses Ende witzig fand oder sich darüber ärgert – fest steht, Herheim hat es sich im finalen Teil der Tetralogie doch sehr leicht gemacht. Die Götterdämmerung bleibt in Sachen Spannung und Intensität hinter den anderen Opern seiner Ring-Inszenierung zurück. Was Herheim im Rheingold so spielerisch und eindrucksvoll etabliert und in der Walküre leidenschaftlich gefestigt hat, beginnt sich nun zu erschöpfen. Das Klavier wird wieder zum Mittelpunkt des Geschehens, an dem jeder mal den Takt vorgeben darf. Mit den weißen Tüchern, die geradezu inflationär zum Einsatz kommen und alles und nichts bedeuten, oder den zum Brünnhildenfelsen avancierten Kofferbergen, die leider immer noch Assoziationen mit Auschwitz hervorrufen (die kahlgeschorenen Köpfe der Nornen sind da nicht gerade förderlich), bedient er sich der gleichen Kniffe, die in Rheingold und Walküre noch begeistert haben und rätselhaft wirkten.

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Nina Stemme (Brünhilde)
© Bernd Uhlig

Besonders in der Götterdämmerung scheint, die Regie will dem Publikum diktieren, was es zu fühlen hat, anstatt dies der Musiksprache Wagners zu überlassen, in der doch bereits alles verankert ist. Es wirkt, als ob Herheim die Leitmotivik des Rings noch deutlicher, noch offensichtlicher offenbaren will. Alles ist minutiös dargestellt und durchchoreographiert, sodass es nur wenig Spielraum für die eigene Fantasie und das Mystische, Unerklärliche, was Wagners Opern ausmacht, gibt. Dennoch bleibt Herheim ein Meister der Theatralik und macht diese Götterdämmerung zu einem sehr kurzweiligen Vergnügen, bei dem sowohl heitere Komik als auch entsetzlicher Horror erfahrbar werden.

Für die auflockernden Momente war definitiv der amerikanische Heldentenor Clay Hilley verantwortlich, der Siegfried in verspielter Herheim-Manier als naiven Haudrauf verkörperte. Stimmlich musste er anfangs noch die Balance finden, bestritt jedoch den Abend mit ungemeiner Spielfreude und kraftvoll fester Tenorstimme, der ein angenehmes Vibrato innewohnte.

Die Deutsche Oper in der Bismarckstraße wird kurzerhand zur Burg der Gibichungen und die Charaktere finden sich im holzgetäfelten Foyer vor der Bar wieder, an der Gunther und Gutrune Champagner in Mengen konsumieren, die auch weniger gestählte Helden das eigene Weib und Eheversprechen vergessen lassen. Die Gibichungen-Geschwister, dargestellt von Aile Asszonyi und Thomas Lehman, traten stets mit dem perfekten Maß an Überzeichnung auf, ohne zu sehr in Klischees abzudriften.

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Clay Hilley (Siegfried) und Jürgen Linn (Alberich)
© Bernd Uhlig

Für die fatalen Pläne Hagens sind sie allzu offen und lassen sich gierig korrumpieren. Mit Albert Pesendorfer wurde ein Hagen gefunden, der bei seiner Bösartigkeit aus den Vollen schöpft. Seine dunkelschwarze Stimmfärbung und sein schroffes, kraftvolles Bassfundament ergänzte er durch szenische Präsenz, mit der er dem Publikum noch so manchen Albtraum bescheren wird. Als Abkömmling des Schwarzalben erinnert auch seine Aufmachung an die des als Joker oder des fratzenhaften Horror-Clowns aus Stephen Kings Es dargestellten Alberichs.

Stefan Herheim gestaltet die Götterdämmerung kontrapunktisch zum verspielt jovialen Rheingold bewusst düster, gar apokalyptisch. Besonders eindrucksvoll und schockierend ist der Tod Siegfrieds und der darauffolgende Trauermarsch, in dem er Hagen den abgeschlagenen Kopf Siegfrieds triumphierend in die Höhe hält. Ebenso eindrucksvoll, als plötzlich der gesamte Chor Alberich mit ihren Clown-Tarnhelmen ähnelt und die Szene des Verrats an Brünnhilde zum schauderhaften Albtraum wird und den Betrug an ihr noch schmerzlicher erfahren lässt.

Nina Stemme steht synonym für Brünnhilde, eine ihrer Paraderollen, die sie in ihrer langjährigen Karriere so herausragend wie kaum eine zweite interpretiert und damit in die Fußstapfen anderer skandinavischer Sopranistinnen wie Birgit Nilsson oder Kirsten Flagstad tritt. Ihre Stimme verfügt vielleicht nicht mehr ganz über die magische Stahlkraft, aber ihr Sopran beschert im Finale dennoch höchstes, seligstes Wagnerglück. Sie ist und bleibt eine der bedeutendsten Wagnersopranistinnen des dramatischen Fachs.

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Nina Stemme (Brünnhilde)
© Bernd Uhlig

Die Waltraute-Szene mit Nina Stemme und Okka von der Damerau wurde zur einer symbolischen Staffelstabübergabe, denn letztere wird bald als Brünnhilde debütieren und gab bereits Einblick in das schier grenzenlose Register ihrer Stimme. Ob hypnotisierende Tiefen oder schwerelos strahlende Höhen – ihre Stimme klang stets formvollendet und mühelos.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin erklang unter der Leitung Sir Donald Runnicles sehr uniform; trotz geschmeidigen, kompakten Klangs, vermisste man jedoch große Bögen und spannende Ausarbeitungen. Runnicles dirigierte weitestgehend ohne passionierte Ausbrüche und differenzierte Variationen – so Recht entstand keine Magie im Graben.

Der neue Ring des Nibelungen fand nicht ohne Hindernisse statt. Pandemiebedingt begann er mit der Walküre, gefolgt vom Rheingold und endet nun mit der Götterdämmerung, bevor er komplettiert wurde. Denn noch steht die Premiere des Siegfried aus und es bleibt spannend, ob Herheim offene Fragen beantworten wird oder vielleicht sogar noch weitere Rätsel auftischt. Wer Wagners Tetralogie in seiner vorgesehenen Reihenfolge bevorzugt, kann sich den Ring ab November zyklisch ansehen, wobei es nicht weniger spannend war, zu rätseln, was bereits geschah und einander zu fragen „Weißt du, wie das wird?“

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