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Don Carlo

Oper in vier Akten
Libretto von Joseph Mery und Camille du Locle
in der italienischen Übersetzung von Achille de Lauzieres-Themines und Angelo Zanardini
Musik von Giuseppe Verdi
mit einem Prolog für Orchester (Uraufführung)
und einem Zwischenspiel für Violoncello solo von Manfred Trojahn


In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 50' (eine Pause)

Eine Koproduktion mit den Osterfestspielen Salzburg
Premiere an der Sächsische Staatsoper Dresden am 22. Oktober 2021


Homepage

Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)
Bücher sind gefährlich

Von Roberto Becker / Fotos © Semperoper Dresden / Ludwig Olah

An der Seite von Peter Konwitschny ist Vera Nemirova mit einer wesentlich von ihr beigesteuerten Autodafészene vor zwanzig Jahren ein Geniestreich gelungen. Sie hatte diese heikle Szene als Event im ganzen Haus (in Hamburg und dann in Wien) in die Pause und in die Realität der Mediengesellschaft hinein inszeniert. Mit der Liveübertragung der Ankunft des spanischen Königs auf überall im Haus verteilten Bildschirmen. Mit auftauchenden Sicherheitsleuten und rabiaten Polizisten. Das ganze drum und dran. Das führte (vor allem in Hamburg, als es völlig überraschend kam) natürlich zu spontanen Reaktionen des Publikums, das zum Teil dachte, es hätte das Klingelzeichen zur Fortsetzung der Vorstellung überhört. Die Publikumsäußerungen verschiedenster Art, die es daraufhin gab, bedeuteten allerdings faktisch das Gegenteil von dem, was die Zuschauer damit ausdrücken wollten. Diejenigen, die mit kräftigen Buhs protestierten, meinten den Inszenierungseinfall, nicht das Autodafé. Die anderen, die applaudierten, meinten natürlich keineswegs Autodafé, sondern die kreative Unbefangenheit des Regieeinfalls. So eine derartig dialektisch pointierte Kommunikation zwischen Bühne und Publikum gibt es nicht allzu oft.

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Verdis Don Carlo, von dem mehr als ein halbes Dutzend Fassungen überliefert sind, ist der Regisseurin vertraut. Wegen der Uraufführung des von Manfred Trojahn komponierten zehnminütigen Prologs gibt es jetzt noch eine mehr. Er ist der vieraktigen, italienischen Fassung von 1884 vorangestellt. Er bietet, musikalisch eindrucksvoll mit Verdis Intentionen spielend, den Raum, um den (in der italienischen Fassung fehlenden) Fontainebleau-Akt gleichsam zusammenzufassen. Ein junges Tänzerpaar (Malwina Stepien als junge Elisabetta und Brian Scalini als junger Carlo) erzählt in der Choreografie von Alena Garrido und, anfangs überblendet von einen Video (rocafilm), zwischen blühenden Blumen von der aufkeimenden Liebe der beiden füreinander vorgesehenen Königskinder, die dann jäh zerstört wird. Das fügt sich so passgenau ein wie später das Cellosolo Mendelssohns Möwen aus dem Jahre 2012, das der ebenso vom Cellisten Norbert Anger begleiteten Klage des Königs "Sie hat mich nie geliebt" vorangestellt ist.

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Dieser Don Carlo war eigentlich unter Christian Thielemann als Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen 2020 gedacht. Was davon coronabedingt übrig blieb, war - quasi als Platzhalter - eine kleine konzertante Aufführungsserie mit einer eigens geschaffenen kammermusikalischen Orchesterbegleitung, die auf Anna Netrebko als Elisabetta zugeschnitten war (unsere Rezension). Im Juni 2020 ein Zeichen der Selbstbehauptung an der Elbe für jeweils 300 zugelassene Zuschauer. Bei der jetzt (mit leider nur drei Vorstellungen) nachgereichten "richtigen" Inszenierung fehlte natürlich weder der große Dialog zwischen dem König und Posa, noch das Aufbegehren der Elisabetta mit der Forderung "Gerechtigkeit, mein König….." wie leider bei der Netrebko-Variante.

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Die Schlüsselszene zwischen dem König und Posa hat jetzt im wahrsten Wortsinn jede Menge Platz. In der gewaltigen Klosterbibliothek hat Heike Scheele für diese Begegnung alle Lesetische beiseite geräumt und die beiden haben jede Menge Auslauf. Der König und auch Posa greifen dabei zu Büchern (welchen Inhalts auch immer) und fuchteln damit bedeutungsschwanger herum. Nemirova hat sich für das Buch an sich als leitmotivische Metapher entschieden. Auch beim Autodafé. Sie entgeht so der schon oft in Peinlichkeit entglittenen Herausforderung, Menschenverbrennung als Event für die bessere Gesellschaft darzustellen. Allerdings wird die Regisseurin damit auch (allzu) didaktisch. Sie lässt diese Menschen von heute (durch die Kostüme von Frauke Schernau wird dieser Epochenwechsel deutlich) in festlicher Abendgarderobe eifrig dabei mithelfen, eine Bücherverbrennung vorzubereiten. Bis die Flammen aus der Unterbühne tatsächlich auflodern. Was dann doch wieder alle zu entsetzen scheint. Damit aber nun wirklich jeder versteht, was gemeint ist, gibt es das berühmte Heine-Zitat "Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." als Einblendung, um dann das inhaltlich fabelhaft passende Violoncellosolo von Trojahn folgen zu lassen. Diese überdeutliche Buch-Metaphorik findet sich auch in der Zelle Don Carlos - da als leergefegtes Bücherregal im Hintergrund. Von hier aus wird er durch eine geheimnisvolle Öffnung erschossen.

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Die auch in der Personenführung (besonders des Chores) holzschnittartige Inszenierung hat aber den Vorteil, dass sie der Musik genügend Raum lässt. Und da bieten die Sächsische Staatskapelle und die Sängercrew Spitzenklasse. Unter der Leitung von Ivan Repušič fügt sich der uraufgeführte Trojahn-Teil organisch in den Verdi ein, bietet sozusagen einen Auftakt von heute aus, um sich dann mit Lust Verdi hinzugeben. Mit lodernder Leidenschaft, ohne zu übertreiben, mit anschmiegsamer Melodik, ohne süßlich zu werden. Das ist durchweg hinreißend. Und das Sängerensemble lässt sich davon tragen. Wobei es Andrej Bondarenko als Marquis Posa gelingt, mit seiner kraftvoll jugendlichen, unangestrengt auftrumpfenden Leidenschaft den nachhaltigsten Eindruck zu hinterlassen. Aber auch der Don Carlo von Riccardo Massi steht ihm in nichts nach. Die Duette der beiden sind grandios. Vitalij Kowaljow gestaltet den König als handfesten, aber auch innerlich zerrissenen Herrscher. Dinara Alievas Elisabetta besticht mit ihrem schlanken aber wohlklingenden Sopran. Anna Smirnova hebt sich mit einer prägnanten Eboli davon deutlich ab und beglaubigt deren tiefen Fall überzeugend.


FAZIT

Don Carlo kommt in Dresden nun endlich in Gestalt der nachgeholten Inszenierung von Vera Nemirova auf die Bühne - leider nur in einer Miniserie, was vor allem wegen der musikalischen Qualität dieser Produktion bedauerlich ist.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ivan Repušič

Inszenierung
Vera Nemirova

Mitarbeit Regie
Sonja Nemirova

Bühne
Heike Scheele

Kostüme
Frank Schernau

Licht
Fabio Antoci

Video
rocafilm

Choreographie Prolog
Altea Garrido

Chor
André Kellinghaus

Dramaturgie
Kai Weßler



Sächsischer Staatsopernchor Dresden

Sächsische Staatskapelle Dresden


Solisten

Filippo II
Vitalij Kowaljow

Elisabetta di Valois
Dinara Alieva

Don Carlo
Riccardo Massi

La principessa Eboli
Anna Smirnova

Rodrigo, Marchese di Posa
Andrei Bondarenko

Graf von Lerma
Joseph Dennis

Gräfin d'Aremberg
Leonie Nowak

Tebaldo
Mariya Taniguchi

Herold
Simeon Esper

Der Großinquisitor
Alexandros Stavrakakis

Ein Mönch
Tilmann Rönnebeck

Stimme von oben
Ofeliya Pogosyan

Erster flandrischer Deputierter
Sebastian Wartig

Zweiter flandrischer Deputierter
Padraic Rowan

Dritter flandrischer Deputierter
Mateusz Hoedt

Vierter flandrischer Deputierter
Lawson Anderson

Fünfter flandrischer Deputierter
Rupert Grössinger

Sechster flandrischer Deputierter
Martin-Jan Nijhof

Die junge Elisabetta
Chiara Detscher

Der junge Carlo
Michael Tucker

Violoncello solo
Norbert Anger



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)



Da capo al Fine

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