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„Maskerade“ in der Oper Frankfurt: Der Sittenwächter & die Partyleute

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Die graue Maus (Alfrted Reiter in Schwarz) inmitten der bunten Ensemble-Mäuse.
Die graue Maus (Alfrted Reiter in Schwarz) inmitten der bunten Ensemble-Mäuse. © Monika Rittershaus

Carl Nielsens „Maskerade“ in der Frankfurter Oper, von Tobias Kratzer markant, aber auch klischeehaft inszeniert.

Am königlichen Hof zu Kopenhagen hält man seinem berühmtesten Bediensteten auch 90 Jahre nach seinem Tod die Treue. Die Rede ist von Carl Nielsen, dem wichtigsten Komponisten Dänemarks in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und von Prinzessin Benedikte zu Dänemark, der Schwester des Staatsoberhaupts, Königin Margrethe II. von Dänemark. Sie kam aus Anlass der Premiere von Nielsens „Maskerade“ an der Frankfurter Oper in die Mainmetropole und wohnte der Vorstellung bei.

Bis 1905 war der 1865 geborene Nielsen fast zwei Jahrzehnte lang Geiger im Kopenhagener Hoforchester und als Nachfolger Johan Svendsens von 1908 bis 1914 auch Leiter der Königlichen Hofkapelle. Nielsen – und der Premierenbesuch Ihrer Königlichen Hoheit machte es gewissermaßen amtlich – ist der Nationalkomponist des Landes schlechthin. Was aber nicht bedeutet, dass das Publikum mit staatstragender Harmonie oder pastoser Gesetztheit konfrontiert würde. Es ist genauso wie bei seinem Landsmann Rued Langgaard, der gegenwärtig wiederentdeckt wird: Hier herrscht ein erstaunliches Maß an Unkonventionalität und Originalität. Vielleicht mehr sogar als im deutschsprachigen Zentrum der musikalischen Avantgarde der damaligen Zeit, die in ihren systematischen, normativ ordnenden Setzungen oft im Binnenbereich akademischer und diskursiver Bezüglichkeiten verblieb.

Gerade das in Skandinavien gern genutzte Element des klangsprachlich Vertrauten in Formaten und Harmonie macht Brüche, Neuanschlüsse, Überraschungen evident und nimmt die Zuhörerin und den Zuhörer in großer Verbindlichkeit mit.

Paavo Järvi hatte als Chef des hr-Sinfonieorchesters viel für die Sinfonik Nielsens in Deutschland getan, und die Oper Frankfurt liefert jetzt mit „Maskerade“, dem zweiten und letzten musiktheatralischen Werk des 1931 Verstorbenen, einen weiteren Frankfurter Beitrag zur Verlebendigung dieses reichhaltigen Erbes. Das sich in diesem Fall recht volkstümlich mit viel geprägter, oft gewitzter Formatierung in Tanz, Lied, Couplet zeigt.

Prinzessin Benedikte, die sicherlich die paradigmatische und idiomatisch feinsinnige Opernverfilmung von Danmark Radio aus dem Jahr 1986 unter der musikalischen Leitung Lamberto Gardellis in der Inszenierung und Regie Palle Kjærulff-Schmidts kennt, wird sich gewundert haben, nicht nur ob der spezifischen Textfassung, sondern auch wegen der bühnenbildlichen Präsenz in Frankfurt (Regie: Tobias Kratzer).

Das gut zweieinhalbstündige Werk basiert auf einer Komödie von Ludvig Baron Holberg, der im 18. Jahrhundert in Dänemark die Rolle spielte, die ein knappes Jahrhundert vor ihm in Frankreich Molière innehatte: Sittengemälde der Zeit mit parodistischen Zügen zu zeichnen. Meist ist da ein menschlicher Makel (Geiz, Einbildung oder Parvenütum) Gegenstand der Handlung mit einem gewitzten, freier denkenden Antagonisten.

Hier, bei Holbergs „Maskerade“, ist es die veraltete Anstandstyrannei eines Kopenhagener Bürgers (Jeronimus) gegen Sohn (Leander) und Gattin (Magdelone), die beide in der von ihm missbilligten Maskeraden-Mode der Zeit ihr Heil suchen. Die Ironie der Geschichte: Die vom Vater dem Sohn ohne Gelegenheit der Inaugenscheinnahme und Zustimmung aufgezwungene Braut ist genau diejenige, in die sich der Maskenballbesessene in deren maskierter Erscheinung dann verliebt. Zuletzt herrscht eitel Hochzeitssonnenschein, und auch den anderen konfliktuös Verwickelten winkt Versöhnung.

In Frankfurt hat man sich eine neue Textfassung ausdenken lassen, die in großem Schriftbild über der mit vielen Türen umgebenen tiefgrauen Spielfläche schwebt. Teils auch als Lauf- und Tanzsteg zu Boden gesenkt werden kann. Und dem Zuschauer das Reimtalent von Martin G. Berger nahebringt. Der hat bei der Wort- und Reimfindung Gefallen an zotiger und zeitgenössisch slanghafter Idiomatik, was offensichtlich nicht allen Besucherinnen und Besuchern des Abends gefiel. Holberg, dem Edvard Grieg zu dessen 200. Geburtstag seine bekannte „Suite im alten Stil“ „Aus Holbergs Zeit“ widmete, hatte die Involvierung des Moralapostels in das Maskenspiel als Besserungstherapie im Auge, was jetzt als Gelegenheit zu einem transgenderistisch grundierten Karneval genutzt wurde.

Nicht sonderlich attraktiv, denn das schon nach kürzester Zeit zur klischeehaften Opernperformance typisierte Gehabe hin- und herlaufender Chorkollektivität in entsprechender Kostümierung hatte redundante Züge. Womit der Haltung des Herrn Jeronimus eine vielleicht unfreiwillige Authentizität zukam. Wo alle in grellbunter Kluft von der Genderstange sich in neuer Konformität bewegen, sticht die graue Maus mit dem „Ekel Alfred“-Image nicht nur aus der Masse heraus, sondern bekommt auch einen Charakter. Zumal die Stimme Alfred Reiters zu den markanten des Abends zählte.

Markant waren auch die Auftritte des Leander-Dieners Henrik, gesungen von Liviu Holender. Michael Porter kam immer besser gesanglich ins Spiel, und Susan Bullock als Magdelone hatte stimmlich Gewicht. Ansonsten überwog ein gutes Mittelmaß mit manchmal schrillen Hochtönen. Das Opern- und Museumsorchester unter Titus Engel bot klangliche Hausmannskost. Der Opernchor hatte seinen glanzvollsten Auftritt mit der dänischen „Fledermaus“-„Brüderlein-und-Schwesterlein-Duidu“-Variante des „Rundadinellula“-Refrains. Gelungen war besonders der Pas de trois von Mars-Venus-Vulkan (Choreographie: Kinsun Chan).

Oper Frankfurt : 4., 13., 20., 28. November, 2., 4. Dezember. www.oper-frankfurt.de

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