Ein neuer, zweiter Rosenkavalier für Wien, neben der klassischen Schenk-Inszenierung an der Staatsoper: darf, kann, muss das sein? Nun, die Skeptiker und Vertreter der reinen Lehre darf man nicht fragen, und ja, die Volksoper „kann“ Rosenkavalier. Das muss man gesehen haben!

Loading image...
Karl-Michael Ebner (Valzacchi), Jacquelyn Wagner (Feldmarschallin) und Margarete Joswig (Annina)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

In einer Koproduktion mit dem Theater Bonn bringt die Volksoper Josef Ernst Köpplinger Erfolgsinszenierung aus 2019: Bühnenbildner Johannes Leiacker baute drehbare, zu Säulen gestapelte Würfel, die teilweise trübe Spiegel zeigen, und sich für jeden Akt zu einem anderen großformatigen Stilleben zusammensetzen: Blumen im ersten, ein stehender und ein umgestoßener Becher im zweiten, und ein Vanitas-Gemälde mit Totenkopf im dritten Akt. Die Handlung ist aus Maria Theresias Zeiten in die Entstehungszeit der Oper (ca. 1911) verlegt und die Kostüme (Dagmar Morell) verweisen teilweise auf die Zwanziger Jahre. Damit bewegt man sich in der genau choreographierten Personenregie um einiges zwangloser als gewohnt, dadurch wird aber das Sittenbild des Stücks sehr deutlich: aus der Nähe betrachtet ist der Lack der Vornehmheit weitgehend abgesplittert.

Loading image...
Lauren Urquhart (Sophie), Ulrike Steinsky (Marianne Leitmetzerin) und Emma Sventelius (Octavian)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Emma Sventelius ist ein ausgezeichneter Octavian – wäre da nicht ihre Stimme, die für die Partie etwas hoch sitzt, man könnte sie glatt für einen Kerl halten. Den jugendlichen Überschwang im ersten Akt spielt sie lausbübisch, und nach Überreichung der silbernen Rose an Sophie weiß ihr Octavian nicht recht weiter und wirkt fadisiert, wie Teenager gemeinhin von jeder Aufgabe genervt und meinen, die Welt drehe sich um sie (Ochs ist diesbezüglich immer noch in der Pubertät). Durch diese Verzögerung bekommt die Szene einen interessanten Twist, und das berühmte Fis-Dur der Szene klingt nicht nach Liebe auf den ersten Blick, sondern wie der berühmte Groschen, der ein bisschen länger braucht, bis er fällt.

Loading image...
Emma Sventelius (Octavian), Lauren Urquhart (Sophie) und Stefan Cerny (Baron Ochs)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Rosenkavalier-Kenner werden in dieser Szene Octavians große Entourage vermissen, allerdings gilt gerade in traditionellen Inszenierungen, dass Masse nicht immer Klasse bedeutet, und dass die Wortverwandtschaft von „Statisterie“ und „statisch“ kein Zufall ist. Für die Sängerin der Sophie scheint die Reduktion des Personals sogar ein Vorteil zu sein, denn so prägnant habe ich die junge Dame im zweiten Akt selten erlebt – Lauren Urquhart wirkte zunächst wie ein naives Mädl, lernt aber bald, angesichts des ungehobelten und übergriffigen Ochs, die Nackenhaare zu sträuben und die Krallen auszufahren (zumindest metaphorisch). Stimmlich zeigte sie sich blitzsauber, so wie es die Partie verlangt – mehr kann man sich kaum wünschen. 

Das gilt auch für den Ochs von Stefan Cerny, der die richtige Mischung aus basstiefer Stimmnoblesse und rustikalem Parlando zeigte. Ausrufe wie „Heast“ und „Kusch“ hat er sich wohl beim allzu intensiven Umgang mit dem „infamen Lakaienvolk“ angewöhnt (an der Volksoper bewegt man sich diesbezüglich am deftigeren Ende der „Volksnähe“).

Loading image...
Emma Sventelius (Octavian) und Jacquelyn Wagner (Feldmarschallin)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Von drolliger Behäbigkeit und Altherren-Wohlstandsbauch ist bei ihm jedenfalls nichts zu spüren, vielmehr ist er ein gefährlicher Wolf im Schafspelz. Sein Selbstbewusstsein dürfte auch nicht nur von seinem immer wieder betonten Adel, sondern aus echten Erfolgen bei den Damen (zumindest im erwähnten „Lakaienvolk“) herrühren. Die Herzen der Publikumsdamen fliegen diesem Ochs jedenfalls zu, auch wenn man die Zudringlichkeiten realiter nicht goutieren würde. 

Die große Beliebtheit des Rosenkavalier ist aber letztendlich der Marschallin geschuldet. Unter den vielen Gescheiterten der Opernliteratur ist sie mit ihrer Lebensweisheit, ihrer emotionalen Großzügigkeit und dem Mut, wie sie Realitäten ins Auge blickt, geradezu ein Guru, und eine schöne Frau obendrein. Jacquelyn Wagner ist optisch und gesanglich eine Idealbesetzung und versteht es, alle Zwischentöne in Hofmannsthals feinsinnigem Libretto zu zeigen. Fast möchte man schwärmen, dass sie mit ihrem dramatischen, aber unverbraucht-silbrigem Sopran dieser Lichtgestalt ein Paar (Engels‑)Flügel verleiht. Vielleicht hilft auch die intimere Atmosphäre der Volksoper, diese Figur dem Publikum buchstäblich (noch) näher zu bringen.

Loading image...
Jacquelyn Wagner (Feldmarschallin)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Schöne Leistungen gab es auch in den kleinen Partien, allen voran Ulrike Steinsky als resche Leitmetzerin, Daniel Ohlenschläger als unerbittlicher Polizeikommissar, oder David Sitka als Wirt, dem die Kontrolle über sein Lokal entgleitet. Als italienischer Sänger lieferte Vincent Schirrmacher ein Kunststück aus Schönklang mit einer guten Dosis Groteske, die sein Auftritt in dem Tumult des ersten Aktes ja bringen soll. 

Fehlbesetzt waren leider Morten Frank Larsen, der als Faninal fehlende Stimme mit Outrieren zu kompensieren versuchte, und Margarete Joswig als Annina, die „Herr Kavalier“ mit unangenehmem Vibrato verwackelte. Immerhin ließ sich der bewährte Karl-Michael Ebner als Valzacchi davon wenig beeindrucken und gestaltete seinen Teil des Intriganten-Duos souverän.

Loading image...
Margarete Joswig (Annina), Stefan Cerny (Baron Ochs auf Lerchenau), Karl-Michael Ebner (Valzacchi)
© Barbara Pálffy | Volksoper Wien

Am Pult sorgte Hans Graf bei der Ouvertüre für eine geradezu tumultuöse Ausgelassenheit, was als Vorschau auf diese Inszenierung nicht verkehrt war. Generell rollten aber die Strauss’schen Klangwogen oft überlaut daher, doch ist man geneigt, das der Akustik des Hauses zuzuschreiben, denn die Sänger kamen gut zurecht und wurden nie übertönt. An leiseren Stellen und im Parlando zeigte sich auch, dass Graf mit sehr viel Liebe zum Detail arbeitete und das Volksopernorchester auf die große Aufgabe bestens vorbereitet hatte. 

Das Experiment „Wiener Rosenkavalier II“ ist definitiv geglückt.

*****