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Kritik – Rossinis "La Cenerentola" an der Semperoper Dresden Heuchelei in Watte

Am 6. November 2021 feierte Rossinis "La Cenerentola" an der Semperoper Dresden Premiere. Damiano Michieletto inszenierte das "Aschenputtel" als Satire auf Karrieresucht und Geldgier: kurzweilig, aber nicht sonderlich böse. Dafür sorgte der Dirigent für reichlich Verwirrung. Eine Kritik von Peter Jungblut.

"La Cenerentola" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden

Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden

Wer die Menschen wirklich durchschauen will, der hält sich besser an Rossini als an Röntgenbilder. Das ist nicht nur wesentlich unterhaltsamer, da ist dann auch auf allen Aufnahmen die Seele mit drauf, und zwar gestochen scharf. Und deshalb findet der heiratswillige Prinz im "Aschenputtel", italienisch "La Cenerentola", auch die tatsächlich schönste aller Frauen, nämlich die mit dem besten Charakter. Alle anderen verstellen sich, schmeicheln und turteln, nur weil sie reich und berühmt werden wollen.

Heuchelei ist ziemlich verbreitet

"La Cenerentola" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden Szene aus Rossinis "La Cenerentola" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden Es macht Spaß, diesem bösen Treiben zuzusehen, vor allem deshalb, weil ja von Anfang klar ist, dass die hinterhältigen Übeltäter irgendwann bestraft werden. In der Inszenierung des viel beschäftigten Venezianers Damiano Michieletto und seinem italienischen Produktionsteam an der Dresdener Semperoper müssen am Ende nicht nur die eigentlich Schuldigen Putzhandschuhe anziehen und mühsam den Boden wischen, sondern alle Anwesenden. Heuchelei ist ziemlich verbreitet, soll das wohl bedeuten, und Karrieresucht ist kaum jemandem fremd. Aschenputtel dagegen ist in ihrer engelsgleichen Bescheidenheit, Selbstlosigkeit und Demut doch eher ein irreales Wunschbild.

Also funktioniert diese Oper vor allem, wenn sie als Satire gezeigt wird, gerne auch bitterböse. Nun, in Dresden war der Abend eher "nett", wie eine Zuschauerin nach der Vorstellung lobte. Klar, das große Haus ist auf Touristen angewiesen, die mögen keine allzu grellen Deutungen. Und im Übrigen ist diese "Cenerentola" eine Koproduktion mit dem Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Das dortige Publikum ist ähnlich konservativ wie das in der sächsischen Hauptstadt.

Prinz fährt bayerische Automarke in die Glaswand

Es passt also, wenn Damiano Michieletto die Geschichte vom Aschenputtel professionell und kurzweilig, aber nie derb bebildert. Hier arbeitet sie in einer Art Kantine, die Bühnenbildner Paolo Fantin entworfen hatte, und ihre beiden Stiefschwestern lieben farbenfrohe Trikotagen, wie sie eher in sozialen Brennpunkten als in Villenvierteln zu sehen sind. Der Prinz logiert nicht im Schloss, sondern in einem Bauhaus-Juwel mit großen Fenstern, Ledergarnitur und schicker Bar. Er fährt eine noble bayerische Automarke, am Ende sogar in die Glaswand.

In ausgesprochen mildes Licht getaucht ist das alles auch deshalb, weil Michieletto einen Engel vom Himmel holt, den weisen Alidoro, der von Anfang bis Ende alles mit göttlichem Beistand regelt, so dass das Märchen buchstäblich wie in Watte gepackt wirkt – nett ist dafür wohl der richtige Ausdruck.

Dirigent De Marchi stiftet Verwirrung

Ärgerlich war dagegen das Dirigat von Alessandro De Marchi, der immer wieder auf Autopilot schaltete und am Pult förmlich erstarrte. Dabei ist Rossini ein Meister der Beschleunigung, der rasanten Tempi, da hätten Funken sprühen müssen aus dem Orchestergraben. Die Sächsische Staatskapelle war dazu auch hörbar geneigt, doch De Marchi versuchte sie immer wieder auszubremsen, was zu größter Verwirrung führte – als ob er das Brems- und das Gaspedal ständig verwechseln würde.

Mehrheitsfähiger Komödien-Abend

"La Cenerentola" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden Don Ramiro (Maxim Mironov) mit Verehrerinnen | Bildquelle: © Ludwig Olah/Semperoper Dresden Unter den Solisten überzeugte vor allem Maurizio Muraro als Don Magnifico, leidgeprüfter Vater der drei so unterschiedlichen Schwestern. Er ist ein Rossini-Kerl durch und durch: lebenslustig, gerissen, genussorientiert. Der kanadischen Mezzo-Sopranistin Emily D'Angelo in der Titelrolle dagegen fehlte die warmherzige Ausstrahlung für diese biedere Figur und auch die Einfalt zu spielen, fiel dieser selbstbewussten und kraftvollen Sängerin schwer. Der russische Tenor Maxim Mironov als Prinz Don Ramiro war eine schmucke Erscheinung, mit den Höhen hatte Mironov allerdings mächtig zu kämpfen. Von praller Lebenslust dagegen waren Alice Rossi und Anna Kudriashova-Stepanets als Clorinda und Tisbe, den missratenen und kaufsüchtigen Möchtegernprinzessinnen. Insgesamt ein jederzeit mehrheitsfähiger Komödien-Abend, der auch dankbar beklatscht wurde und sicherlich international bestens verstanden wird.

Sendung: "Allegro" am 8. November 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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