Oft war La Wally von Alfredo Catalani in den letzten Jahrzehnten in Wien wahrlich nicht zu hören – in der Staatsoper findet sich etwa keine einzige Vorstellung im Archiv und auch die Produktion der Volksoper aus dem Jahr 2017 konnte sich am Währinger Gürtel nicht längerfristig im Repertoire halten. Das Theater an der Wien nahm sich nun des Werks an und machte mit dem Premierenabend in jedem Fall Lust auf ein regelmäßigeres Wiederhören mit dieser Oper, denn die süffige Musik bietet von großer Dramatik bis hin zu kitschigem Schmalz alles, was es für einen wunderbar italienischen Opernabend braucht.

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Izabela Matula (Wally) und Leonardo Capalbo (Giuseppe Hagenbach)
© Herwig Prammer

Die szenische Umsetzung des alpinen Verismo-Thrillers gestaltet sich dabei allerdings als schwierig – und das nicht nur wegen der finalen Lawine, die an diesem Abend übrigens unterschlagen wurde. Ein Tiroler Dorf mitsamt Bergen auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung und so lieferten Regisseurin Barbora Horáková und Bühnenbildnerin Eva-Maria Van Acker eine stilisierte Berglandschaft mit Bauernhaus und Fluss für den ersten und zweiten Akt und ein Geröllfeld mit Stahlgerüst für den dritten und vierten. Die einleitende Bergpanoramaprojektion – die von einem Mix aus Jodler und Muezzin-Ruf begleitet wurde – hätte es für meinen Geschmack dabei ebensowenig gebraucht wie die im Hintergrund laufenden Videos während der ersten beiden Akte. Sehr treffend sind jedoch die Szenen, in denen gefeiert wurde: Viel zu viel Alkohol und toxische Männlichkeit – diese Klischees sind immer noch Realität auf vielen Dorffesten und bieten daher die volle Ladung Verismo. Ein kluger Schachzug der Regisseurin war es, im vierten Akt offen zu lassen, ob Hagenbach und Wally wirklich noch einmal aufeinander treffen oder ob sich alles nur im Hirn der Titelfigur abspielt.

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Izabela Matula (Wally)
© Herwig Prammer

Eine veritable Entdeckung gelang dem Theater an der Wien mit der Besetzung der Wally, denn Izabela Matula gestaltete diese stolze, unabhängige Figur darstellerisch vielschichtig und gesanglich nichts weniger als ideal. Der dunkel timbrierte Sopran vereint alle Qualitäten, die man sich von einer Verismo-Diva wünschen kann: Sowohl sanfte Piani und lyrische Passagen als auch dramatische Ausbrüche klingen ebenmäßig und unangestrengt; sie kann vokal voll zupacken, ohne zu forcieren, aber auch schwebende Klangfäden spinnen und mit den in der Stimme mitschwingenden Emotionen eine regelrechte Sogwirkung generieren, durch die man mit der Figur mitliebt und -leidet. Den von Wally verschmähten Vincenzo Gellner sang Jacques Imbrailo so formvollendet, dass man mitunter nicht umhin kam, sich zu fragen, was aus Wallys Sicht eigentlich dagegen spräche, ihn zu heiraten. Sein Bariton verfügt über eine ideale Mischung aus Schmelz, Leichtfüßigkeit und dramatischem Punch; die Stimme floss bruchlos und strahlend timbriert durch alle Lagen und vermittelte dabei die Gefühlswelt der Figur.

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Izabela Matula (Wally), Alastair Miles (Stromminger) und Jacques Imbrailo (Vincenzo Gellner)
© Herwig Prammer

Einen ziemlich ungehobelten Tenor ließ hingegen Leonardo Capalbo als Giuseppe Hagenbach hören; die Stimme wurde nämlich vor allem mit viel Druck geführt, sodass sich immer wieder auch ein störendes Vibrato einschlich. Außer imposanter Lautstärke und sicheren Höhen bot er wenig gestalterische Mittel, es wirkte zuweilen in etwa so, als ob hier jemand vokal mit 150km/h im Ortsgebiet unterwegs wäre, weswegen jegliche Nuancen und Klangfarben auf der Strecke blieben. Mehr stimmliche Eleganz und darstellerische Feinheit bot Alastair Miles, der den grantelnden Stromminger mit ebenso samtigem wie imposantem Bass gestaltete. Als Walter konnte sich Ilona Revolskaya nach einem wackeligen Start zwar steigern, der Stimme fehlte es jedoch den Abend über an Substanz in der Mittellage sowie an Strahlkraft und Fokus in der Höhe. Mit profundem Bassbariton stattete Zoltán Nagy die Rolle des Il Pedone aus und gehörigen Eindruck hinterließ die Afra von Sofia Vinnik, die aus ihrer kleinen Rolle mit ihrem warm timbrierten Mezzosopran und Bühnenpräsenz das Optimum herausholte.

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Alastair Miles (Stromminger), Izabela Matula (Wally) und Jacques Imbrailo (Vincenzo Gellner)
© Herwig Prammer

Eine Klasse für sich ist ohnehin immer der Arnold Schönberg Chor und so wurden auch an diesem Abend die Chorpassagen zu einem Erlebnis, denn die einzelnen Stimmen verbanden sich zu einem beinahe unverschämt schönen Gesamtklang. Unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada boten die Wiener Symphoniker die volle Dosis Verismo-Sound, der vor allem im dritten Akt schon beinahe wie der Soundtrack eines Hollywood-Blockbusters wirkte. Trotz des vollen Klangs gaben der Dirigent und das Orchester den Schichten und den feinen Details von Catalanis Partitur genug Raum, sodass nicht nur berückend gefühlvoller Kitsch, sondern auch differenzierte Farben und elegant transparente Passagen ihre Wirkung entfalten konnten.

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