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Opern-Kritik: Staatsoper Stuttgart – Das Rheingold

Manege frei fürs Welttheater

(Stuttgart, 21.11.2021) Vor allem in seiner Personen(ver-)führung ins Destruktive läuft Stephan Kimmig zur Hochform auf, überlässt nach diesem Vorabend zum neuen Nibelungenring jedoch diversen Regiekollegen das Feld. Cornelius Meister hält am Pult zusammen, was bei dem gewagten szenischen Zugriff auch mal auseinanderzudriften droht.

vonRoberto Becker,

Noch ist es nicht irgendeine – auch ziemlich teure – Ausweichspielstätte der Staatsoper Stuttgart, die hier die Zirkus-Aura eines Provisoriums verbreitet. Das kommt erst auf die Stuttgarter zu. „Oper Stuttgart 20irgendwann“ oder so ähnlich. Mittlerweile ist man da auf alles gefasst. Aber das hat noch Zeit. Jetzt ist es erstmal nur das Bühnenbild, das sich Katja Hass für den neuerlichen „Ring“-Auftakt ausgedacht hat. Dieser „Ring“ soll noch kollektiver werden als sein legendärer Vorgänger vor über zwanzig Jahren, bei dem einst Joachim Schlömer, Christoph Nel, Jossi Wieler und Peter Konwitschny vier verschiedene Deutungsanläufe zum Prinzip erhoben hatten. Mit vielen Nachfolgern auch andernorts. In Karlsruhe etwa oder zuletzt in Chemnitz, wo zeitgeistkonform sogar vier Regisseurinnen das Deutungskommando hatten.

Diesmal liefert Stephan Kimmigs „Rheingold“ den Auftakt. Im April 2022 soll eine „Walküre“ folgen, bei der das Theaterkollektiv Hotel Modern, der Lichtdesigner Urs Schönebaum und die bildende Künstlerin Ulla von Brandenburg jeweils einen Akt inszenieren sollen. Im Jahr darauf wird dann Jossi Wielers und Sergio Morabitos „Siegfried“ wieder aufgenommen, und im Frühjahr 2023 soll Marco Štorman den Zyklus mit der „Götterdämmerung“ vollenden.

Szenenbild aus „Das Rheingold“
Szenenbild aus „Das Rheingold“

Im Anfang zum Ende

Jetzt hieß es erstmal „Manege frei“ für den Vorabend zur neuen schwäbischen Variante des anspruchsvollsten Projektes der Operngeschichte überhaupt. Ob es das große Welttheater werden würde, wenn Regisseur Stephan Kimmig nach dem Vorabend auch noch die drei eigentlichen Teile von Wagners Bühnenfestspiel interpretieren würde, ist die Frage. Er nutzt die Chance, die er nicht hat, und inszeniert gleich mit dem Anfang das Ende. Das Schlussbild friert nämlich mit einer großen Ratlosigkeit ein, die jedem auf eine andere Art ins Gesicht geschrieben ist. Hier gibt es nicht mal den Schein der vergehenden Götter- und Weltordnung in Gestalt von Wahlhall.

Wagner, der junge Revoluzzer

Bevor es losging, war im Hintergrund die leicht verhuschte Projektion eines Wagnertextes aus seiner revolutionären Phase um 1848 zu lesen. „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus Allen nur Unglückliche.“ Gut gebrüllt für einen späteren Busenfreund des Königs. Das Zitat wirkt wie ein Probelauf, taucht dann aber nicht noch einmal auf. Die Zerstörung, die man zu sehen bekommt, liegt hier in jedem der Akteure. Jeder ist hier auf seine Weise aus der Bahn von Zukunftsgewissheit geworfen. Folgt seinem eigenen Stern. Oder torkelt ihm hinterher. Zwischen einem luftigen Irrgarten aus wackligem Gestänge. Mit einem Gerüst für die Kuppel, in dem noch ein paar Lampen funktionieren.

Szenenbild aus „Das Rheingold“
Szenenbild aus „Das Rheingold“

Die Rheintöchter (Tamara Banješević als Woglinde, Ida Ränzlöv als Wellgunde und Aytaj Shikhalizade als Floßhilde) langweilen sich wie Schulschwänzerinnen mit ihren Handys vor der Nase. Auch das Gold, das sie bewachen, steht hier schon für den Luxuskonsum – und interessiert sie nicht wirklich. Erst als sie den angeseilten Penner Alberich kirre machen können, erwachen sie aus ihrer Lethargie. Immerhin nehmen sie dann einen Job als Beobachterinnen wahr. Rätselhaft bleiben die warngelben Wetterjacken, die sich am Ende alle (außer Donner, der vielleicht berufsbedingt den besten Überblick übers Klima hat) überziehen, um sich wenigstens etwas vor Wasser, Sturm und Kälte zu schützen? Gegen den großen Untergang, von dem Erda (Stine Marie Fischer vor sich selbst erschreckend) orakelt, wird diese Kleiderordnung nicht helfen.

Zirkusdirektor Wotan

David Steffens und Adam Palka kommen als seltsam angebräunte Riesen Fasolt und Fafner auf Plateauschuhen passend mit Gabelstaplern. Erda fährt im Selbstgestrickten wie eine Grüne im Wahlkampf mit dem Fahrrad vor. Zirkusdirektor Wotan hat zwar noch seinen glitzernden Direktorenfrack an, aber längst nicht mehr (auch wörtlich) die Hosen. Bei den Kostümen konnte sich Anja Rabes auch sonst regelrecht austoben.

Szenenbild aus „Das Rheingold“
Szenenbild aus „Das Rheingold“

Auf Droge

Paweł Konik und Moritz Kallenberg kommen als Donner und Froh mit Tretautos angesaust und kümmern sich im Ruderklub (mit Erfolg) um ihre körperliche Fitness. Freia (auch komödiantisch virtuos: Esther Dierkes) scheint neben ihren Äpfeln noch was anderes anzubauen, wirkt jedenfalls so, als wäre sie unter Droge. Bei Fricka (Rachael Wilson) ist es bisher wohl „nur“ der Alkohol, der für sie den ganzen Zirkus erträglich macht. Hier hat nur der Loge im Philosophenoutfit so was wie einen Plan. Zerstörung ist sein eigentliches Element – und er hat Spaß daran und vorsorglich einen Flammenwerfer dabei.

Szenische Illusionen braucht es gar nicht.

Mit üblichen szenischen Beigaben wie einem überzeugenden Bild für die Ausbeutung in Nibelheim, die Verwandlung von Alberich in Riesenwurm und Kröte oder eben die Vision eines Einzugs der Götter in Walhall hält sich die Regie nicht weiter auf. Mime (Elmar Gilbertsson) ist ein ausrangierter Clown. Die Nibelungen sind Kinder mit rotem Halstuch, die am Tisch eifrig (was auch immer) vor sich hin hämmern. Für den durchweg mit seinem komödiantischen Furor brillierenden Alberich ist es ein leichtes, einfach so zu tun, als wäre er Wurm oder Kröte. Und man glaubt es ihm beinahe sogar. Schwindelfrei ist er auch, denn Wotan und Loge machen sich einen Jux daraus, die Drehscheibe, auf der sie ihn gefesselt haben, kräftig rotieren zu lassen.

Szenenbild aus „Das Rheingold“
Szenenbild aus „Das Rheingold“

Zur Kenntlichkeit entstellt

Vor allem in seiner Personen(ver-)führung ins Destruktive läuft Kimmig zur Hochform auf. Hier sind alle mehr oder weniger zur Kenntlichkeit entstellt. Das Faszinierende daran ist, dass sie das auch singen. So zynisch erhellend wie Matthias Klink seinen Loge gestaltet, so triebgesteuert wie Leigh Melrose Alberichs verzweifelte Gier oder gierige Verzweiflung auch ins vokale Extrem treibt, hat man das kaum erlebt. Gegen die beiden hat der solide Goran Jurić als Wotan wenig Chancen. Die Götterburg im Abendlicht, von der er am Ende singt, ist wohl nur seine Vision. Nicht mal seine Familie kann er damit beeindrucken.

Einhelliger Jubel für die Protagonisten

Anders als für das Regie-Team ist dieses „Rheingold“ für Cornelius Meister tatsächlich der Vorabend für ein Großunternehmen der besonderen Art, bei dem ihm die Aufgabe zufällt, so etwas wie ein Ganzes zu formen. Der Auftakt gerät ihm großformatig und mit Gespür für einige gewagte vokale Kunststücke und einen musikalischen Sound, der zusammenhält, was bei einem gewagten szenischen Zugriff auch mal auseinanderzudriften droht. Der Jubel für die Protagonisten war einhellig. Die Buhs für seinen Teil als szenischem Zirkusdirektor feuerte Kimmig sogar noch an. Auf dieses Leitmotiv einer Wagnerinszenierung wollte er dann doch nicht verzichten.

Staatsoper Stuttgart
Wagner: Das Rheingold

Cornelius Meister (Leitung), Stephan Kimmig (Regie), Katja Haß (Bühne), Anja Rabes (Kostüme), Gerrit Jurda (Licht), Rebecca Riedel (Video), Bahar Meriҫ (Bewegungsarbeit), Miron Hakenbeck (Dramaturgie), Goran Jurić, Paweł Konik, Moritz Kallenberg, Matthias Klink, Leigh Melrose, Elmar Gilbertsson, David Steffens, Adam Palka, Rachael Wilson, Esther Dierkes, Stine Marie Fischer, Tamara Banješević, Ida Ränzlöv, Aytaj Shikhalizade, Staatsorchester Stuttgart

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