Staatsoper: Ein „Don Giovanni“ gegen den Zeitgeist

Im Zeichen von Dionysos wollte der australische Starregisseur Barrie Kosky Mozarts „Don Giovanni“ lesen und als erstes von den drei Da-Ponte-Stücken gemeinsam mit Staatsopern-Musikchef Philippe Jordan in Wien auf die Bühne stellen.

Seit gestern Abend und dank weltweiter Livestreams weiß man um das Ergebnis seiner Arbeit: Es wurde ein „Don Giovanni“, der auf dem sehr harten Boden des griechischen Mythos landete, bevor spät für die Hochzeit von Masetto und Zerlina das Paradies aus dem harten Stein erblühte.

Leporello und Don Giovanni wirkten dabei wie ein Gespann, das einem Pasolini-Film entnommen schien. Vorne der unbändige Triebtäter, hinten der Drahtzieher, der sich nicht aus Scham, sondern mehr dem Gesetz der Straße folgend das Kapuzenshirt überzog.

Don Giovanni Premiere in der Staatsoper
ORF.at/Gerald Heidegger
Selbstapplaus am Schluss: Radikaler Guckkasten, forciertes Tempo. Kein „Don Giovanni“ für das gemütliche Sitzfleisch

Ein Abend mit überzeugender Ensembleleistung

Kyle Ketelsen bei seinem überzeugenden Staatsoperndebüt als Don Giovanni und Philippe Sly als Leporello standen dominant im Mittelpunkt dieser Inszenierung und wagten sich gemeinsam an die Persiflage der bisherigen Traditionslast.

Beide Bassbaritone brachten ein sehr dunkles Timbre in ihre Rollen, und das stützte das Stück, in dem Regisseur Kosky immer deutlich mehr mit den Alphatieren als mit dem ein wenig im steinernen Meer umherirrenden Don Ottavio (Stanislas de Barbeyrac) sympathisierte.

„Don Giovanni“: Erster Akt zum Nachschauen

Das mag man gemein finden, denn so viel überzeugende Ensemblequalität und -leistung ist nicht selbstverständlich –, und Kosky und Jordan trafen sich kongenial in der Führung der Sängerinnen und Sänger auf der doch kargen Bühne. Und Ketelsen und Sly sind eine Paarung für ein neues, jüngeres Opernpublikum, das diese Institution dringend braucht.

Was Kosky uns auch sagen will mit seiner Arbeit, etwa, wenn er den Paradiesapfel gleich zu Beginn mit in den Ring wirft: Bei Don Giovanni gibt es keine Umkehr, keine Abkehr, keine Einsicht. Diesem Charakter nimmt man an diesem Abend alle seine Taten, die zweifelsohne Untaten sind, ab.

„Don Giovanni“: Der zweite Akt zum Nachschauen

Selten sah man einen Don Giovanni so trotzig-überzeugt seinem Ende entgegengehen. Hier starb der heterosexuell normative Mann, der von keinem Trend der Zeit wie Body-Positivity „#MeToo“ mitbekommen hätte; der aber auch nie auf die Straße gehen würde, um kindlich „Ihr kriegt meinen Körper nie“ zu winseln.

Den Don Giovanni, scheint Kosky zu sagen, wird es immer geben – warum ihn also überdeuten oder umkehren? Für Kosky ist Ketelsen, sorry to say: eine Rampensau. Vor der Pause würde dieser Don Giovanni am liebsten in den Orchestergraben springen, so sehr wird hier Testosteron zu Musik.

Am Ende bleibt die Glut

Alle Gegenüber des Don Giovanni sind freilich nicht weniger selbstbewusst. Hanna-Elisabeth Müller ist eine überzeugende Donna Anna, Kate Lindsey eine Donna Elvira, die dem Triebtäter stolz entgegentritt. Seht, wir sind einfach in einer „Comedie humaine“, scheint Kosky zu sagen. Und trifft damit den Geist Mozarts.

Sowohl der Komtur (Ain Anger) als auch Don Giovanni stehen nach dem Sterben auf und ziehen als Geist durch den Raum. Don Giovanni schaut seinen Abrechnern verächtlich ins Gesicht. Er mag zwar nicht den Himmel erreicht haben, aber auf Erden hat er sich bis zur Glut verbraucht.

Großartige Zerlina

Eine Besserungsanstalt im Sinne Schillers ist die Oper bei Kosky ohnedies nicht. Hier geht es um Kurzweiligkeit und den Funkenflug über dem dunklen, harten Grund. Wie schon Romeo Castellucci deutet auch Kosky die Hochzeit von Zerlina und Masetto als Paradiesszene.

Patricia Nolz, Mitglied des Opernstudios, überzeugt bei ihrem Rollendebüt. Ihr zu Seite agiert mit Peter Keller ein virtuoser und gar nicht so trauriger Masetto wie sonst oft. Ein Höhepunkt an diesem Opernabend: die Versöhnungsarie der Zerlina, „Vedrai carino“, die Nolz mit feinen Nuancen und großer Sicherheit interpretiert. An ihrem Seidenkleid klebt das Blut Masettos – doch wenn es einen Fingerzeig Richtung Himmel gibt, dann in diesem Moment.

Mozartfieber: Barrie Koskys „Don Giovanni“

Er liebt es manchmal schrill, schräg oder gar schmissig – Opernmagier Barrie Kosky, der als Intendant die Komische Oper Berlin zu einem der führenden Opernhäuser Deutschlands machte, wird an der Wiener Staatsoper den Da-Ponte Zyklus in Szene setzen. Den Anfang macht „Don Giovanni“.

Jordan im Pakt mit dem Teufel

Jordan als musikalischer Leiter des Abends, der zwischendurch am Hammerklavier sitzt, dirigiert und auch schon mal Teile des Werks kammermusikalisch mit auf die Bühne verlagert, entscheidet sich für zweierlei in seiner Herangehensweise: Akzentuierung und Schmissigkeit bei den Einsätzen auf der einen Seite. Andererseits zelebriert er den Wohlklang mit oft sinfonischer Hingabe.

Er liebt eben die musikhistorische Ausdeutung – und ja, es steckt auch schon ein Stück Mahler in diesem Mozart. Und sicher will Jordan auch mit dem Chef des Hauses mithalten, der das Format Oper durchaus als intellektuellen Hochleistungssport begreift. Vielleicht wird hier viel auf einmal gewollt. Aber wenn der „Don Giovanni“ die oft bemühte „Oper der Oper“ ist, dann wollen alle offenbar faustisch an diese herangehen. Wie so oft interessiert dann auch beim Don Giovanni vielleicht das Verhältnis von Faust und Mephisto, Don Giovanni und Leporello, zu sehr und erdrückt die Ausarbeitung der restlichen Charaktere.

Für das Repertoire bleibt dieser 16. Version des „Don Giovanni“ in der über 150 jährigen Geschichte im Haus am Ring eine so gute Besetzung wie an diesem Abend zu wünschen. So wie der harte Boden hier ausgelegt ist, kann man bei diesem „Don Giovanni“ Höhenflüge ebenso produzieren wie Abstürze. Für die Premiere hätte man sich Publikum mit Tifosi-Neigung gewünscht. Still sitzen war in diesem kurzweiligen „Don Giovanni“ nicht.

In tvthek.ORF.at ist der neue Wiener „Don Giovanni“ noch sieben Tage zu sehen, ebenso in Ö1 nachzuhören – mehr dazu in Der neue Wiener „Don Giovanni“.