Hauptbild
Maria Martin Gonzalez, Martin Baum und Dominic Große in der Bremer Zauberflöte. Foto: Jörg Landsberg
Maria Martin Gonzalez, Martin Baum und Dominic Große in der Bremer Zauberflöte. Foto: Jörg Landsberg
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Das Versagen der Erzieher – Michael Talkes Antwort auf die großen Fragen der „Zauberflöte“ in Bremen

Publikationsdatum
Body

Nicht wenige Regisseure haben gesagt, dass Mozarts „Die Zauberflöte“ das schwerste Stück überhaupt sei. Wo sind wir und wer sind die Protagonisten: die Frage stellt sich immer wieder neu. Es gehört zum 1791 entstandenen Stück, der „Oper aller Opern“, dass sie nicht beantwortbar ist.

Es gehört dazu, dass immer offen bleiben muss, ob es sich um Märchenposse oder Götterritual, um Volksstück oder Mysteriendrama, um Matriarchat gegen Patriarchat, um Absolutismus gegen Aufklärung (mit durchaus zweifelhaften Fortschrittsversammlungen) oder vor allem auch um eine Parabel übers Erwachsenwerden handelt.

Das hat der neue Leiter des Musiktheaters Bremen Frank Hilbrich unlängst in Hannover eindrucksvoll gezeigt – und nicht nur der. Nun hat in Bremen auch Michael Talke zusammen mit dem musikalischen Leiter Killian Farrell gar nicht erst versucht, die wundersamen Ereignisse in eine Geschichte zu quetschen. Dazu kamen die Corona-Bedingungen und entstanden ist eine zweistündige kurzweilige Fassung für zwölf Musiker*innen, als „kleine Fassung einer großen Oper“. Talke erzählt das Ganze aus der Sicht des Papageno, der sich erinnern will, wer er ist und warum. Der Schauspieler Martin Baum führt spielend und singend durch die Geschichte, ist oft auch das akustische Double der Protagonisten. Talke erzählt ein Märchen, zunehmend eher einen Traum, unterstützt von einem abstrakten kahlen Bühnenbild. Die drei Damen sind dunkel gekleidete Furien, eher karikatural. Wenn die Menschen laufen, wird das mit einem laut gesprochenen „Schritt-Schritt-Schritt“ wie eine Brecht’sche Verfremdung betont. Die Königin der Nacht sitzt in eine großen Krähen-Schablone, der Hintergund liefert immer wieder assoziative Zusatzbilder zum Geschehen vorne. Hauptsächlich sind das Kinder und Jugendliche, die von der Sarastro-Bibliothek versorgt werden, sozusagen die Vorläufer von Pamina und Tamino. Ein riesiges Pappgehirn hängt über Sarastros Räumen, dahinein schieben sich aus Pappe Augen, Mund, Nase und Ohren. Ein kleines Mädchen will Pamina immer wieder dahineinziehen.

Es ist, also wolle Talke alles wegwischen, was er uns und sich sowieso nicht erklären kann. Die Musik der drei Knaben ist gestrichen, es gibt drei kleine Gestalten mit einem Ballon als Kopf, die Schilder mit den Erziehungsgesetzen vor sich hertragen: Duldsam, standhaft, verschwiegen.... Die von dem Gesang der Flöte beschworenen wilden Tiere durchwühlen Sarastros Schreibtisch.

Immer klarer führt aber genau dieses Traum-Chaos zum Finale hin, das dann – nahe am Holzhammer – überdeutlich wird: Nachdem zuvor von den Geharnischten, die als Skelette der Tod sind, ein Sarg auf die Bühne getragen wurde, die Königin der Nacht und Sarastro das Gezerre um die Kinder verloren haben – dies die Bilder für die Feuer- und Wasserprobe –, zieht Sarastro sein Goldhemd aus und die Königin der Nacht ihr blaues Spiegelgewand und in ihrer erbämlichen Unterwäsche und einer Greisenmaske steigen beide ins Grab, vorne leuchtet das junge Paar. Am Schluss gibt es für Talke und Farrell keinerlei Doppel- oder Zweideutigkeiten: es gibt zwei Verlierer – die Versuche einer Erziehung (man kann auch sagen Konditionierung oder Gehirnwäsche), das politische System – und zwei Sieger – die Liebe und das eigenverantwortliche Handeln. Folgerichtig fehlt das jubelnde Schlussbild, in dem ja Pamina und Tamino nach Sarastro die neue Herrschaft übernehmen.

Neben anrührenden Sänger*innen – betörend Marysol Schalit als Pamina, Hyojong Kim als entschlossener Tamino, Dominik Große als erregter Papageno, Stephen Clark als marionettenhafter Sarastro, Nerita Pokvytyté als koloraturensichere Königin der Nacht – hat Killian Farell für die Bremer Philharmoniker eine enorm farbenfrohe Fassung erarbeitet, die über große Strecken das Original gar nicht vermissen ließ. Sein Gefühl für bewegte und drängende Tempi und sprechende Artikulationen ist bemerkenswert. Alles zusammen ist diese Aufführung eine Reise wert.

  • Die nächsten Aufführungen: 11.11., 19.30; 19.11., 18:00; 21.11., 19.30; 23. und 25.11., 18:00; 12.1. und 14.1. 2022 um 19:30; und 23.1. 15:30.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!