Ein Herz für Raritäten beweist die Oper Graz bereits seit einigen Jahren; mit der Wiederentdeckung von Jaromír Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer gelingt nun ein großer Wurf. Das mit viel Ironie gespickte Libretto basiert auf einer tschechischen Volkssage und bietet eine aberwitzige Verstrickung nach der nächsten.

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Petr Sokolov (Schwanda), Matthias Koziorowski (Babinský) und Polina Pastirchak (Dorotka)
© Werner Kmetitsch

Schwanda – hauptberuflich Bauer und nebenbei äußert erfolgreicher Dudelsackspieler – ist frisch verheiratet mit Dorotka und eigentlich glücklich in seiner ländlichen Idylle. Als plötzlich der Räuberhauptmann Babinsky auf dem Hof auftaucht, der ihm von einer Eiskönigin erzählt, packt Schwanda die Abenteuerlust und er reist mit Babinsky ab. Mit seinem Dudelsackspiel taut er das Herz der Königin erfolgreich auf. Als er sie küsst, steht jedoch seine Frau Dorotka plötzlich da. Babinsky verhindert im letzten Moment, dass die Königin Schwanda hinrichten lässt; Dorotka verzeiht ihm jedoch nicht so schnell. Er beteuert seine Unschuld und schwört, dass er sofort zur Hölle fahren will, sollte er die Eiskönigin wirklich geküsst haben. Kaum die Worte ausgesprochen landet er schon im Reich des Teufels, der sich in der Hölle furchtbar langweilt. Mit einem Trick bringt er Schwanda dazu, ihm seine Seele zu verkaufen, aber der mittlerweile ebenfalls aufgetauchte Babinsky überlistet den Teufel und befreit Schwanda, der nach einer finalen Abschiedsparty in der Hölle wieder zu Dorotka auf den heimatlichen Hof zurückkehrt.

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Ester Pavlu (Königin) und Petr Sokolov (Schwanda)
© Werner Kmetitsch

Im glitzernden Bühnenbildrahmen sprüht die Inszenierung dieser Märchenwelt von Dirk Schmeding von der ersten Minute an vor Ideen; während der Ouvertüre tauchen in Videoprojektionen die Hühner von Schwandas Hof auf, im Reich der Eiskönigin tritt der Chor als watschelnde Pinguinkolonie auf und die Hölle wird unter der Patronanz eines überdimensionierten Grillhendls zu einer riesigen Sauna. Und auch die zahlreichen liebevollen Details der Produktion lieferten viel für’s Auge. Durch die Kombination von Hoverboard und Bühnennebel scheint zum Beispiel der Magier über die eisige Welt zu schweben, mit Feuereffekten wird Schwanda in die Hölle abkommandiert und am Ende regnet es im Zuschauerraum glitzerndes Konfetti. Vom Sängerensemble wurden die Einfälle und die Personenführung des Regisseurs mit viel darstellerischem Einsatz umgesetzt.

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Petr Sokolov (Schwanda) und Wilfried Zelinka (Teufel)
© Werner Kmetitsch

Als sympathisch bodenständiger Schwanda trumpfte Petr Sokolov in den komödiantischen Momenten voll auf, verströmte mit seinem kernigen Bariton aber auch in den romantisch-schmachtenden Passagen der Partie Wohlklang. Lyrisch zart interpretierte Polina Pastirchak mit klarem Sopran die Dorotka und verlieh der Figur dadurch zurückhaltende Eleganz. Eine Paraderolle hat der Tenor Matthias Koziorowski mit dem Babinsky gefunden. Als optischer Mix aus Florian Silbereisen und Nik P. legte er den Räuberhauptmann als überaus eitle und selbstverliebte Parodie an, die dabei trotzdem nicht übertrieben wirkte, sondern sympathisch blieb. Für das tschechische Fach ist sein Tenor geradezu ideal – die Höhe ist strahlend, die Mittellage hat Substanz und die Gestaltung der Gesangslinie ist elegant. Als Eiskönigin erinnerte Ester Pavlu weniger an den gleichnamigen Disney-Film, sondern mehr an die mit eingefrorenem Lächeln winkende Gewinnerin einer Misswahl; ihr kühler Mezzosopran mit der satten Tiefe ergänzte diese Darstellung vorzüglich. Latent gruselig undurchschaubar wirkte an ihrer Seite der Magier, der von Daeho Kim mit strömender Bassschwärze ausgestattet wurde – ein zusätzliches Kompliment gebührt dem Sänger dabei übrigens für seine perfekte Kontrolle über das Hoverboard! Eine komödiantische Glanzleistung lieferte Wilfried Zelinka als Teufel im Fatsuit ab – den Höllenfürst als dauersaunierenden, gelangweilten Hulk-Hogan-Verschnitt brachte er mit stimmlicher Leichtigkeit und vollem darstellerischen Körpereinsatz auf die Bühne.

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Petr Sokolov (Schwanda), Ester Pavlu (Königin) und Daeho Kim (Magier)
© Werner Kmetitsch

Weinbergers Musik bietet für all die Irrungen und Wirrungen der Geschichte eine spannende Kombination aus spätromantischer Opulenz und böhmischer Folklore im Stile Smetanas, aber auch einige Anklänge an Schreker oder Strauss meint man zu hören. Unter der Leitung von Robert Jindra drehten die Grazer Philharmoniker an diesem Premierenabend schon bei der an Filmmusik erinnernden Ouvertüre so richtig auf und lieferten im Reich der Eiskönigin glitzernde, in der Hölle feurige und in den romantischen Momenten schmachtende Klangwelten. Der Oper Graz gelingt es mit dieser Produktion, das richtige Werk zur richtigen Zeit auf den Spielplan gesetzt zu haben – denn diese kuriose böhmische Märchenwelt mit ihren schmissigen Melodien und der üppigen Inszenierung sorgt nach Lockdown Nr. 4 und vor der zu erwartenden Omikron-Welle für eine ideale Auszeit von der Realität!

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