Theater Basel
Anne Sofie von Otter und Christof Loy laden zu einer Traumreise in den Winter – ohne Leiermann

Anne Sofie von Otter und Christof Loy begeben sich am Theater Basel auf eine Winterreise zu Musik von Franz Schubert. Man sieht und hört der schwedischen Mezzosopranistin gerne zu.

Reinmar Wagner
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Zauberhaft: Anne Sofie von Otter mit Nicolas Franciscus.

Zauberhaft: Anne Sofie von Otter mit Nicolas Franciscus.

Monika Rittershaus

Es beginnt zwar mit einer Hymne an die Sommernacht, aber tatsächlich – es schneit doch noch in dieser «Winterreise»: Vor dem Fenster des dunkel getäfelten Raums steht der Lindenbaum im Schneegestöber. Wir sind in einem Ballsaal; hier spielt keine Kapelle mehr, und wenn sich tatsächlich ein einsamer Geiger hierher verirrt, so entspringt er den nostalgischen Sehnsüchten der Handvoll Menschen, die hier um ein Klavier herumsitzen und in Schuberts Liedern wie in vergessenen Erinnerungen herumtasten.

Man mag in den Aktionen der Tänzerinnen und Schauspieler, die mit der schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter auf der Bühne stehen – unter anderen der niederländische Schauspieler Nicolas Franciscus – zu Beginn noch an ein munter drehendes Liebesbeziehungskarussell denken, auch an eine «Schubertiade», wie die fröhlichen Feiern in Schuberts Künstlerkreis damals genannt wurden.

Aber je weniger die Menschen über die Bühne rennen, desto mehr entfalten diese Bilder ihre Poesie. Alles Konkrete verliert sich rasch, Assoziatives bricht sich Bahn: Wir sind in einer Traumreise, und wie in Träumen oft Dinge, Personen und Situationen unvermittelt nebeneinander stehen, so verlieren sich konkrete Handlungsstränge und Personenkonstellationen.

Sparsam wird die grosse Geste eingesetzt

Selbst die Identität der Hauptrolle verwischt sich: «Er» heisst er schlicht und einfach. Ist es der Winterreisende? Ist es Schubert selber? Diese Frage wird zunehmend unwichtig, und dass eine Frauenstimme diesen «Er» singt, hat in diesen Traumbildern bald ebenfalls jede Bedeutung verloren. Man kann nicht behaupten, dass Schuberts Lieder eine Illustrierung nötig hätten. Auch nicht, dass Regisseur Christof Loy und Anne Sofie von Otter wesentlich Neues aussagen würden zu «Lindenbaum» und «Frühlingstraum», so poetisch ihre Visionen auch sein mögen.

Dennoch mag man ihr gerne zusehen. Und vor allem zuhören: Von Otter war schon immer mehr als einfach eine sehr gute Opernsängerin, die in den 80er-Jahren ihre Weltkarriere übrigens im Ensemble des Theaters Basel aufgleiste. Und sie weiss genau, was sie ihrer mittlerweile 66-jährigen Stimme zutrauen kann. Sparsam setzt sie die grosse Geste ein, aber sie ist noch da, wenn sie gebraucht wird. Umso aufmerksamer ist sie in den Nuancen der feinen Schattierungen des Klangs.

Mindestens so sehr aber lebt der Abend auch von Kristian Bezuidenhouts Spiel am Fortepiano: Meisterhaft, wie er mit wenigen Tönen die Atmosphäre vorgibt, zauberhaft, wie er Solostücken mit subtilen Nuancen Leben einhaucht. Die leeren Quinten des «Leiermanns» aber, die hörten wir nicht von ihm: Fast schon ironisch schloss der Abend nicht mit der Rätselfigur am Ende von Schuberts «Winterreise», sondern dem harmlosen Gute-Nacht-Lied aus der «Schönen Müllerin». Loy läutet nicht nur mit sommerlichen Blütendüften eine Winterreise ein, er lässt uns auch mit Schlafliedchen sanft aufwachen aus düsteren Träumen.

«Eine Winterreise». Theater Basel, grosse Bühne. Weitere Vorstellungen bis 27. Februar 2022.