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Magdalena Anna Hofmann (Sarai), Markus Marquardt (Abram). Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Magdalena Anna Hofmann (Sarai), Markus Marquardt (Abram). Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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Torsten Rasch holt in „Die andere Frau“ biblische Grausamkeit ins Heute – Uraufführung an der Semperoper

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Mit der Uraufführung der Oper „Die andere Frau“ an der Semperoper hat Dresden ein lohnendes Stück Musiktheater beschert bekommen. Dessen Stoff geht auf eine biblische Legende zurück. Also eine historische Oper? – Mitnichten: „Es gibt sie nicht, die rechte Zeit. Nur diese unsre Zeit“, betont die Titelheldin gegen Ende dieses opulenten Werkes. Und meint gleich darauf: „Seine Wege kennt kein Mensch.“

Was für eine wohlfeile Ausrede, wie sie auch dieser Tage wieder in der Debatte um den katholischen Kindesmissbrauch variantenreich vorgebracht wird. Aber Raschs Oper ist größer, wesentlich größer. Sie zielt auf das ewige Menschheitsdrama, denn bei allen Ausreden sind es doch immer wieder nur Menschen, einzelne Menschen, die anderen Menschen das Leben schwer machen oder es gar zerstören.

Auch Abram (Abraham) hält sich für auserwählt. Damit stellt er sich über jede Moral und wiederholt mehrfach sein „Es war nötig“, als seine Frau Sarai (Sara) ihm vorwirft, sie auf der Flucht in Ägypten nicht vor der Geilheit der dortigen Männer und insbesondere des Pharao beschützt zu haben. In wie vielen Flüchtlingstrecks und -lagern mögen sich ähnliche Dramen auch heute noch abspielen, schutzlos aus der zerstörten Heimat fliehen zu müssen in der vagen Hoffnung auf eine bessere Zukunft?

Als Intendant Peter Theiler 2018 die Intendanz der Semperoper übernahm, versprach er ein Theater mit gesellschaftlicher Relevanz. Torsten Rasch hat ihm nun ganz offenbar das Meisterstück dazu geliefert. Dessen Oper „Die andere Frau“, ursprünglich schon für Sommer 2020 geplant, dann pandemiebedingt zweimal verschoben, konnte nun endlich uraufgeführt werden. Sie hatte zwar weitaus mehr künstlerisch Mitwirkende, als unter den aktuellen Bedingungen Premierengäste ins Haus gedurft hatten. Doch das Resultat verdient unbedingt ein möglichst zahlreiches Publikum!

Schon wegen der hörenswerten Musik von Torsten Rasch, der klanggewaltige Orchesterparts schuf, die mal archaisch tönen, mal emotional unter die Haut gehen, und so beständig wie kontrastreich mit schrundigen Bässen, effektvollen Bläsern und zupackendem Schlagwerk durch diese knapp zweistündige Oper führen (in einigen Momenten gar intervallig an Richard Strauss denken lassen). Aber auch wegen des wortgewaltigen Librettos von Helmut Krausser, der aus einer biblischen Legende die Poesie des überlieferten Wortes herausgefiltert und sie mit einer zupackend harten heutigen Sprache konfrontiert hat. Und obendrein hat es mit der Bühnenlösung von Regie und Ausstattung zu tun, denn das Publikum sitzt hier nicht im Parkett und in den Rängen, sondern direkt im Bühnenraum mit dem Blick Richtung Saal.

Dort steht zentral auf einem Podest im Parkett eine „Augenzeugin“, die mit betörendem Gesang von der Zerstörung der Stadt Ur berichtet. Zu elektronischem Einspiel singt Sussan Deyhim auf hebräisch diesen prähistorischen Text, dazu flimmern Licht-Spiele von László Zsolt Bordos, erhellen das Ambiente mal goldig und edel, dann mit flirrenden Punkten, Bögen und Strichen. Wie eine Barriere zwischen Bühne und Saal erstreckt sich ein durchgehender, mit Hunderten und Aberhunderten Schuhen drapierter Steg zwischen den vorderen Seitengassen. Zerlatscht, ausgetreten und unbrauchbar geworden, geben sie die Schichten der Äonen wider, in denen Menschen seit Generationen wegen Flucht und Vertreibung über die Erde ziehen.

So auch in dieser Umsetzung von Raschs Oper durch den Regisseur Immo Karaman. Er lässt abgehärmt und hoffnungslos wirkende Frauen und Männer über diesen Steg schlurfen (ein großartiges Bühnenbild von Arne Walther), nur wenig Hab und Gut auf dem Rücken oder im Arm (zum Mitfühlen anregende Kostüme von Anni-Josephine Enders). Aus diesen Massen kristallisieren sich bald Abram und Sarai heraus. Ihre Vorwürfe wegen des in Ägypten erlittenen Leids tut er ab: „Ich bin besonders, darum muss ich besonders handeln.“ Mit einer solchen Berufung auf „göttlichen Willen“ haben „Erwählte“ aller Religionen ihr Tun schon immer – und zwar bis heute – gerne begründet.

Mit seiner Gläubigkeit, einer frömmelnd egomanen Verblendung, sieht Abram sich und sein Handeln als „gottgewollt“, womit für ihn alles entschuldigt zu sein scheint. Doch es fehlt ihm an Nachwuchs für seine Idee. Mit der geschändeten und Sarai ist das nicht mehr möglich (zumal sie bereits 90 Jahre alt ist!), also kommt sie auf die Idee, dass ihr Mann ihre Sklavin Hagar schwängern soll. Aber was macht diese biblische Grausamkeit mit dieser „anderen“ Frau, wohin führen derartige männliche Schöpfungsfantasien, gepaart mit weiblicher Eifersucht, und wem „gehört“ der so gezeugte Sohn?

Das alles sind auch sehr heutige Fragen, sie werden in der Oper verhandelt und sehr transparent umgesetzt. Herausragend zwischen Stolz und Verletztheit besticht Magdalena Anna Hofmann als Sarai mit ihrem in jeder Lage grandiosem Timbre. Markus Marquardt als über jeden Zweifel erhabener Abram wummert seine Töne teils trotzig, wie in den Himmel gesetzt. Stephanie Atanasov als gedemütigte Hagar begehrt zunehmend auf und verkörpert ihren Part auch stimmlich höchst glaubhaft.

Vorteilhaft in Raschs tonaler Diktion ist die hohe Textverständlichkeit dieser Oper, was auch für die Partien dreier Engel (Philipp Mathmann, Philipp Meraner, Ilya Silchuk) sowie der Chorszenen (Extrachor der Semperoper sowie Mitglieder von AuditivVokal Dresden) gilt. Die in den vorderen Reihen des Parketts, aus Publikumssicht also hinter dem Bühnensteg platzierte Staatskapelle fabriziert unter der musikalischen Leitung von Michael Wendeberg mit brachialer Brillanz exzellente Klangbilder, wodurch die heutige Gültigkeit dieses Musiktheaters nur noch unterstrichen zu sein scheint.

  • Termine: 25. und 30. Januar, 2. und 9. Februar.

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