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Aus der Kühlbox: „Hoffmanns Erzählungen“ am Gärtnerplatztheater

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Lucian Krasznec und Jennifer O’Loughlin
Ein tödliches Liebesduett wagen Hoffmann (Lucian Krasznec) und Antonia (Jennifer O’Loughlin), bevor sie sich in der Inszenierung von Stefano Poda zu den Diven vergangener Zeiten gesellt. © Marie-laure Briane

Beim Zuschauen droht Erkältungsgefahr, beim Zuhören wird man dafür mehr als entschädigt: Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ am Gärtnerplatztheater

Mal angenommen, Jacques Offenbach hätte noch anderes von E.T.A. Hoffmann verkomponiert. „Don Juan“, „Die Serapionsbrüder“, „Ritter Gluck“ – aus „Hoffmanns Erzählungen“ wäre ein Opernmonster geworden, das Wagners „Ring“ locker abgehängt hätte. Doch an diesem Abend bleiben die Extra-Werke Zitat, weggesperrt in Vitrinen, die den Dichter als peinigende Erinnerung umkreisen. So wie die unerreichbaren Ideal-Frauen, die sind nämlich ebenfalls Ausstellungsstücke, Wahn und Wunsch zugleich. Ein Kabinett der dunklen, sicher auch feuchten Träume, aus dem Hoffmann – man weiß es eigentlich schon nach fünfeinhalb Minuten – nie wieder herausfinden wird.

Ein prachtvolles Nachtspiel, durch das der Nebel kraucht und in dem die Figuren gern als Schattenrisse auftauchen, hat Stefano Poda als Regisseur und Ausstatter für diese Gärtnerplatz-Premiere ersonnen. Als Fotoserie, gebündelt fürs Coffee-Table-Buch, macht sich das ganz prima. Als Erzählung über einen (selbst-)besoffenen Dichter und seine gefährlichen Liebschaften funktioniert es nur bedingt. Vieles gibt es, das Poda (der dem Haus eine famose „Tosca“ bescherte) einfach mal durch den Regie-Rost fallen lässt. Zum Beispiel Hoffmanns bösen Gegenspieler in vierfacher Gestalt, der sich von all der Darkroom-Belegschaft kaum abheben kann. Oder Hoffmanns Muse und liebender Begleiter Niklas, der als Charakter hier nur schwer greifbar wird.

Offenbachs letzte Oper in einer Dauer-Düsternis

Was ist gut, was böse? Podas Inszenierung schiebt das Stück zusammen, kühlt es herunter auf eine Dauer-Düsternis. Das bedeutet Erkältungsgefahr beim Zuschauen und kaum Erkenntnisgewinn. Obgleich durchaus Blickfänge inklusive aufwendiger Kostüme offeriert werden, auch manche Hintergründigkeiten: Antonia, der das Singen den Tod bringen wird, ist umstellt von Schaukästen mit legendären Vorgängerinnen. Man liest Namen und Jahreszahlen von Maria Callas, Renata Tebaldi, Joan Sutherland und, mit kurzem Erschrecken, auch von Edita Gruberova.

Dass Offenbach nie fertig wurde mit dem wuchernden Opus und Forscher ständig vergessene Notenblätter entdecken, ist bekannt. Aber auch, dass es mittlerweile diskussionswürdige Fassungen gibt. Am Gärtnerplatz hört man einen überholten Promenadenmix, der auf Fritz Oesers Ausgabe von 1977 basiert. Der ist noch zusätzlich entstellt mit deutschem Holpertext („Didl-dum-tralei“) nebst gelegentlicher Hits im französischen Original und gestörter Architektur: Die auskomponierten Rezitative ziehen sich, gleichzeitig wurden Nummern gekürzt oder wie der geisterhafte „Glou, glou“-Chor gestrichen.

Letzteres kommt immerhin dem singenden Personal, vor allem dem stark geforderten Titelhelden-Sänger entgegen. Es gibt Strophenerlass und damit Stressbefreiung. Lucian Krasznec, sonst gern als Alles-muss-raus-Tenor unterwegs, hat sich den Hoffmann klug eingeteilt. Präsenz, Energie, Textbehandlung, all das nimmt für ihn ein. Krasznec weiß, wo er auspacken darf und wo nicht, kann dadurch seine Stimme auch sicher durch die Gefahrenzonen der Partie manövrieren.

Machtvolle Demonstration des Gärtnerplatz-Ensembles

Offenbachs vokale Eleganz, diese besondere, fein nuancierte, am Sprechgesang orientierte Biegsamkeit, treffen Mathias Hausmann als Bösewicht und Anna-Katharina Tonauer (Muse/Niklas) am besten. Umso betrüblicher, dass ihre Figuren nicht übers Flachrelief hinauskommen dürfen. Überhaupt ist der Abend machtvolle Demonstration eines funktionierenden Ensemblesystems. Alle Rollen sind mit Hausgewächsen besetzt, und dies durchwegs formatfüllend. Ilia Staple als kühle, ungewohnt dunkel timbrierte Olympia, Jennifer O’Loughlin als Antonia mit Herzwehtönen, Camille Schnoor als Giulietta-Diva mit fast selbstironischem Aplomb, auch Juan Carlos Falcón, der als Spalanzani das Tenor-Feinbesteck auspackt, oder Sava Vemić als fast überbesetzter Crespel – manchmal kann man sich in diesen drei Stunden kaum satthören.

Und auch wenn Chefdirigent Anthony Bramall ein paar Minuspunkte für die Fassung kassiert: Offenbachs Opus erklingt so, wie es sein soll – als Hybrid aus dreckigem kleinen Brettlstück, überdrehter Operette, satirischer Noblesse und großem Opern-Aufriss. Die reduzierte Besetzung verstärkt das teilweise sogar. Das Gärtnerplatz-Orchester spielt extrem geschlossen, reaktionsstark, auffallend präzise und mit schön eingepassten Soli. Stefano Poda mögen Offenbachs doppelte Böden und Hintergründigkeiten entgehen, doch wenigstens sind sie zu hören. Und das gleich mehrfach: Die B-Besetzung ist zumindest von der Papierform her ähnlich stark wie die der Premiere. Auch das muss ein anderes Haus dem Gärtnerplatztheater erst mal nachmachen.

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