Wunderbares Spektakel: „Napoleon en Kölle“ von Lajos Wenzel in der Oper Köln bejubelt

Napoleon en Kölle/Foto @ Martin Hämmerling

Es ist ein Muss für jeden kölschen Karnevalisten: das traditionelle „Divertissementchen“ in der Kölner Oper. Während der Rosenmontagszug und der Sitzungskarneval komplett abgesagt sind, gelang es der Spielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg auch diesmal, unter strengsten Hygienevorkehrungen ein zündendes Stück Musik- und Tanztheater auf die Bühne 1 im Staatenhaus am Rheinpark zu bringen. Die Pandemie zwingt die Sänger und Tänzer diesmal, Masken zu tragen. Und der Regisseur und Autor Lajos Wenzel selbst spielt den jungen französischen Offizier Matthieu, denn sowohl der reguläre Darsteller des jugendlichen Liebhabers als auch sein Ersatz sind ausgefallen. Trotzdem ist das Divertissementchen „Napoleon in Kölle“ wieder eine Mordsgaudi, die das Publikum in eine Bombenstimmung versetzt. (Gesehene Vorstellung: Presse-Preview am 28.1.2022)

 

Alle Mitwirkenden sind Mitglieder des traditionsreichen Kölner Männergesangsvereins, die ihren Spaß an Travestie, Tanz und Gesang unter der professionellen Regie des erfahrenen Bühnenprofis Lajos Wenzel (zukünftiger Intendant in Trier) ausleben. Alle Rollen werden von Männern gespielt, getanzt und gesungen, und man spricht Kölsch.

Musikalisch ist „Napoleon en Kölle“ eine wilde Mischung von Händel bis ABBA mit hohem Wiedererkennungswert, gespielt von den Bergischen Symphonikern und den Westwood Slickers unter der Leitung von Thomas Guthoff.

Inhaltlich ist es eine Hommage an Napoleon Bonaparte. Dazu muss man wissen, dass Köln seit dem Einmarsch französischer Revolutionstruppen unter General Jean-Etienne Championnet am 4.10.1794 – Bürgermeister Reiner Anton zu Klespé übergab kampflos die Stadtschlüssel und besiegelte damit das Ende der freien Reichstadt Köln – zum französischen Staatsgebiet gehörte. Zu den 40.000 Bürgern Kölns, die in damals 7.000 Häusern wohnten, kamen rund 12.000 französische Soldaten, die ebenfalls dort untergebracht werden mussten.

Napoleon selbst hat im Herbst 1804 zusammen mit seiner Frau Joséphine Köln besucht, und der Kölner Universalgelehrte Ferdinand Franz Wallraf hatte die Aufgabe, die Stadt mit Inschriften, die alle überliefert sind, zu versehen und das Kaiserpaar durch die Stadt zu führen. Erst die Besetzung Kölns durch französische Revolutionstruppen brachte dort die Abschaffung der Zünfte, die Trennung von Kirche und Staat, das metrische System und den Code Civil. Der fortschrittliche Ferdinand Franz Wallraf nutzte die Autorität Napoleons, um diese Segnungen des modernen Staatswesens in Köln einzuführen.

Napoleon en Kölle/Foto @ Martin Hämmerling

Der bevorstehende Besuch des Kaisers Napoleon im Herbst 1804 ist Hintergrund des Stücks, in das Spielleiter Jürgen Nimptsch in der Rolle des Ferdinand Franz Wallraf einführt. Garniert ist das Ganze mit der Liebesgeschichte von Niess und Matthieu, die am Happy End als erstes Paar ohne den Segen der Kirche standesamtlich heiraten dürfen. Niess´ Mutter Billa, die so etwas wie einen Salon führt und auf die Franzosen nicht gut zu sprechen ist, und ihre Busenfreundin Gerda kommentieren das Geschehen.

Die Kölner Stadtsoldaten agieren in echten Uniformen der heute noch aktiven „roten Funken“, die französischen Soldaten tragen französische Uniformen.

Das Ganze wird eingeleitet mit einem frischen Europa-Ballett mit Europa-Flaggen auf die Eurovisionsmusik, die Marseillaise und „Mer losse der Dom en Kölle“ von den Bläck Fööss, damit kein Zweifel daran besteht, dass es hier um die deutsch-französische Freundschaft geht. Napoleon fährt inkognito vor, beanstandet: „hier stinkt es“ und reist wieder ab. Aber mit Hilfe eines Napoleon-Darstellers aus den eigenen Reihen, der Phantasie-Französisch spricht, kann Wallraf seine politischen Neuerungen als kaiserlichen Willen verkaufen.

Kräftig durch den Kakao gezogen wird der Kardinal und überhaupt die Amtskirche, denn es erweist sich, dass Billas Tochter Niess ein illegitimer Spross des Kardinals aus einem Fisternöll (einer Liebschaft) mit Billa ist. Die besondere Fähigkeit der Amtskirche, Fehltritte dieser Art sehr diskret zu behandeln, wird gehörig aufs Korn genommen.

Napoleon en Kölle/Foto @ Martin Hämmerling

Unbestrittene Höhepunkte sind der Höllenchor mit rot gewandeten fliegenden Kardinälen auf „Patria Opressa“ aus Verdis Macbeth, die Coriolan-Ouvertüre von Beethoven und den Imperial March von John Williams sowie das Feuerwerks-Ballett auf „Light My Fire“ von den Doors, die Feuerwerksmusik von Händel, „Ein Schiff wird kommen“ von Lale Andersen und „Waterloo“ von ABBA, die Dirigent und Arrangeur Thomas Guthoff als muntere Collagen zusammengefügt hat.

Johannes Fromm und Martin Schreier haben die kölschen Liedtexte verfasst, die auch im Programmheft abgedruckt sind. Der Kölner Männergesangverein singt auf einem für einen Laienchor erstaunlich hohen Niveau, durchaus mit einem Opernchor vergleichbar. Das hängt damit zusammen, dass die Sänger hochmotiviert sind und vom Chorleiter professionell angeleitet werden. Mehr dazu: https://www.kmgv.de/singen-im-chor.html

Die mehr als 400 phantastischen Kostüme für acht Tänzer und an die 100 Sänger haben Judith Peter, Marette Oppenberg und Ute Hafke entworfen und angefertigt, und Johanna Nagel und Karin Mariaux waren für die Maske (reife Männer in tolle Frauen verwandeln!) und die tollen Perücken zuständig.

Die sehr breite Bühne des Staatenhauses wird voll ausgenutzt, und man erkennt im Bühnenbild von Tom Grasshof die Altstadt von Köln. Die faszinierende Lichttechnik von Andreas Grüter setzt mit tanzenden Punkten beim Schmetterlingsballett und einem großen Feuerwerk effektvolle Akzente.

Besonders hervorheben möchte ich das achtköpfige Ballett in der Choreographie von Jens Hermes Cédilleau und Katrin Bachmann, das sich als Europa-Ballett, Schmetterlings-Ballett, Seemanns-Ballett, Rattenballett (besonders witzig!) und Feuerwerks-Ballett perfekt koordiniert und phantastisch kostümiert und geschminkt präsentierte.

Aus der Menge der Darsteller ragte Baas (Spielleiter) Jürgen Nimptsch heraus, der die Rolle des Ferdinand Franz Wallraf in fernsehtauglichem Kölsch und im Gestus eines routinierten Vollblutpolitikers und perfekt vernetzten Kommunikators verkörperte.

Trotz Pandemie waren die mehr als 100 Mitwirkenden der Spielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg wild entschlossen, auch 2022 wieder ein Divertissementchen auf die Bühne zu bringen. Ab November 2021 mussten sie vor jeder Probe einen Antigen-Schnelltest beibringen und ihr ganzes Leben besonders darauf ausrichten, eine Ansteckung zu vermeiden. Jeder der Darsteller hat mindestens 500 Stunden seiner Freizeit für dieses Projekt des Kölner Männer-Gesangsvereins investiert, so dass hier das Ergebnis von mehr als 50.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit zu bewundern ist.

Das Divertissementchen ist seit fast 150 Jahren kölsches Brauchtum und wird traditionell im Opernhaus aufgeführt.  Nur 1917 bis 1919 und 1941 bis 1945 konnten kriegsbedingt keine Produktionen stattfinden. 2021 wurde „Corona Colonia“ gestreamt und erreichte so 200.000 Zuschauer*innen.

Hoffen wir, dass die weiteren 28 Vorstellungen auch noch stattfinden können!

Die Aufzeichnung von „Napoleon en Kölle“ wird am Karnevalssamstag, dem 26. Februar 2022 vom WDR-Fernsehen gesendet und ist ein Jahr lang in der Mediathek abrufbar. Aber Live ist durch nichts zu ersetzen!

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Napoleon en Kölle/Foto @ Martin Hämmerling

 

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