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Opern-Kritik: Gärtnerplatztheater – Hoffmanns Erzählungen

Traumbilder in Weiß

(München, 27.1.2022) Stefano Podas hoch ästhetischer Offenbach-Geniestreich muss nicht alles benennen und entscheiden, er kann seine Deutung in den mal milchig verschleierten, mal scharf ausgeleuchteten Valeurs des Weißen vielsagend in der Schwebe halten.

vonPeter Krause,

Weiß ist die Unschuld – symbolisch überhöht glänzt und gleißt es im Hochzeitskleid einer Braut. Doch wenn Wasser sich zu Eis verdichtet, kann die helle Farbe, die eigentlich keine Farbe ist, auch für verkrustete Gefühle stehen. Und wenn sich das strahlend Weiße auch nur ganz leicht gräulich einfärbt, wirkt es schnell schmutzig. Die Reinheit des unschuldig Weißen ist fragil. Keineswegs eindeutig in ihren Bedeutungen. Trefflich lassen sich auf eine weiße Wand eigene Gedankenbilder, Träume, ja Alpträume projizieren. Stefano Poda scheint ein Faible für die schillernde Dialektik des Weißen zu haben. Der Italiener ist ein Gesamtkunstwerker mit Feinsinn für visuelle Zwischentöne. Und da der Regisseur nicht nur seine Bühnenbilder selbst entwirft, sondern auch die Kostüme und das Licht ungemein passend hinzuerfindet, wirken seine Operninszenierungen stets wie aus einem Guss. So auch am Gärtnerplatztheater in München.

Wenn das Schöne und das Schmerzliche, das Harmonische und das Dissonante, das Himmlische und das Höllische spielerisch und magisch ineinander übergehen

Das vollkommen Ungewöhnliche daran: Poda verbindet eine unbestechliche künstlerisch-handwerkliche Präzision in allen Disziplinen, sogar die choreographische Gestaltung übernimmt er selbst. Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ gleichen da einer Steilvorlage, ist die fantastische Oper doch die Künstleroper schlechthin. Dichter, Maler und Komponist in einer Person ist dieser Verrückte, in Liebesdingen zudem ein überschäumend schwärmerischer Romantiker, der von Katastrophe zu Katastrophe stolpert, da er das und die Ideale seiner Kunstwelt auch im wahren Leben zu finden hofft, das aber nun mal den höchst irdischen, allzu menschlichen Regeln der Wirklichkeit gehorcht. Trotz seines immensen Alkoholgenusses im Kern ein „Guter“, somit eher ein Vertreter der weißen Magie der Kunst, gerät dieser Herr Hoffmann freilich alsbald in die Fänge seines Widersachers, des munter die Namen wechselnden diabolischen Lindorf, respektive Coppelius, Dr. Mirakel und Dapertutto – des Vertreters der schwarzen Magie.

Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“
Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“

Und da die nicht zuletzt dionysischen Abgründe seines romantischen Zeitalters Hoffmann immer wieder aus seinen Tagträumen hinabziehen, ist das mit der Trennung in Schwarz und Weiß eine höchst komplexe Sache. Also auch ein aufregendes Thema für einen Opernabend, in dem das Schöne und das Schmerzliche, das Harmonische und das Dissonante, das Himmlische und das Höllische, das tief empfundene und das kalkuliert eingesetzte Gefühl in Sekundenschnelle als wechselnde Aggregatzustände des menschlichen Wesens ineinander übergehen.

In diesem Kunst-Raum der Erinnerung erblicken wir die Hirngespinste Hoffmanns

Für seine Münchner Premiere hat Stefano Poda nun einen Kunst-Raum der Erinnerung geschaffen, der in seiner Mannigfaltigkeit den Hirngespinsten Hoffmanns gleicht. Der weißwandige Kubus ist mit Vitrinen gefüllt, in denen Kunstgegenstände, Märchenfiguren, nachgestellte Gestalten historischer Opernsängerinnen und die drei wichtigsten Frauen im Leben Hoffmanns ausgestellt sind. Die Beschriftung der Glaskästen ist fürs Publikum gut lesbar: Da stehen Werktitel berühmter Opern, so der „Don Juan“, den Offenbach als Verbeugung vor Mozarts „Oper aller Opern“ zitiert. Sopranlegenden wie Faustina Bordoni, Jenny Lind, Montserrat Caballé, Maria Callas oder Renata Tebaldi sind in diesem klingenden Museum zu bewundern – von Statistinnen gekonnt mit charakteristischen Gesten nachgestellt. Die allerhöchste Koloraturtöne spuckende Olympia (Ilia Staple intoniert blitzsauber, sicher und himmelhochjauchzend) erscheint sogar als multiple Figur in mehreren Vitrinen, da weiß Hoffmann gar nicht, wen er denn nun eigentlich anhimmeln soll, denn auch die Doubles bewegen zur französisch gesungenen Arie ihre Lippen.

Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“
Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“

Der Spitzentöne perfektionierende Automat steht – Offenbach wirkt seiner Zeit weit voraus – für die Warenbeziehung der Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Die Liebe, jedenfalls der Sexus, als käufliche Ware wird dann später in der Begegnung mit der venezianischen Kurtisane Giulietta (Camille Schnoor mit dramatisch erotischer Wucht) zugespitzt. Im Antonia-Akt thematisiert Poda zudem mit Sängerinnen-Doubles aller Altersklassen – sämtlich gewandet in schwarzen Glitzerroben – das Schicksal der Diva, die zugunsten ihres mit totaler Leidenschaft gelebten Bühnenberufs damit zu kämpfen hat, die Liebe im wahren Leben zu verwirklichen. Jennifer O’Loughlin stattet die Antonia mit üppig blühender Sopranlyrik aus.

Offenbach in neuer Hörperspektive – auf Deutsch

Magisch surreal variiert Poda seinen hoch ästhetischen Traumraum für Hoffmanns Flashback-Visionen von den Frauen seines Lebens. Stilisiert führt er den Chor. Doppelgänger des diabolischen, baritonalen Gegenspielers (Matthias Hausmann mit hell timbrierter, dynamisch differenzierter Stimme) umschleichen Hoffmann, den Lucian Krasznec als durchgeknallten Sympathieträger zeichnet, dessen toller Tenor zwischen anschmiegsamem Schmelz und ausrastender Attacke alle Zwischentöne kennt. Überhaupt ist das sängerische Niveau des Ensembles verblüffend. Und die musikalische Einstudierung exzellent. Auch die Wahl der Münchner Fassung, die der quellenkritischen Neuausgabe von Fritz Oeser, mit dem deutschen Text von Gerhard Schwalbe folgt, erweist sich als Glücksgriff. Das Textverständnis ist exzellent und rückt das Werk behutsam weg von der Hörperspektive der französischen Oper. Man denkt bei diesem Offenbach an die deutsche Spieloper, an „Der Freischütz“, gar an Richard Wagner. Chefdirigent Anthony Bramall macht die vielen Einflüsse hörbar – mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, das sich in glänzender Form präsentiert.

Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“
Szenenbild aus „Hoffmanns Erzählungen“

 Vom Geheimnis der Verwandlungen

Dennoch ist dies der Abend des Poeten Poda, der am Ende Hoffmanns Muse (Anna-Katharina Tonauer mit wasserklarem und dennoch warmem Mezzo) von einer männlichen in eine weibliche Figur wandelt, die ihrem bislang schwarz gewandeten Hoffmann einen weißen Mantel umlegt. Was diese Geste und diese Farbe nun bedeuten, bleibt dem Anteil nehmenden Publikum überlassen. Wäre die Musik und die sie personifizierende Muse womöglich Hoffmanns ideale Frau? Wird der romantische Künstler geläutert? Stefano Podas hoch ästhetischer Offenbach-Geniestreich muss nicht alles benennen und entscheiden, er kann seine Deutung in den mal milchig verschleierten, mal scharf ausgeleuchteten Valeurs des Weißen vielsagend in der Schwebe halten.

Gärtnerplatztheater München
Offenbach: Hoffmanns Erzählungen

Anthony Bramall (Leitung), Stefano Poda (Regie, choreographische Gestaltung, Bühne, Kostüme & Licht), Paolo Giani Cei (Mitarbeit Regie), Pietro Numico (Chor), Michael Alexander Rinz (Dramaturgie), Lucian Krasznec, Anna-Katharina Tonauer, Matthias Hausmann, Maximilian Mayer, Ilia Staple, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor, Anna Agathonos, Juan Carlos Falcón, Sava Cemić, Timos Sirlantzis, Caspar Krieger, Alexander Grassauer, Holger Ohlmann, Karin Kreitner, Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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