1. Startseite
  2. Kultur

Angela Denoke inszeniert „Salome“ in Innsbruck: Endlich erwachsen

KommentareDrucken

Jacquelyn Wagner und Jochen Kupfer
Dicht dran am Happy End: Salome (Jacquelyn Wagner) und Jochanaan (Jochen Kupfer). © Birgit Gufler

Als Titelheldin im Strauss-Schocker „Salome“ hat sie selbst oft den Kopf des Jochanaan gefordert. Nun glückt Angela Denoke eine kluge, genau beobachtende Regie am Tiroler Landestheater.

Vielleicht hätte er sich einen Ruck geben müssen. Auf die Religion samt ihrer Dogmen pfeifen und sich mit dieser Frau davonmachen: So dicht dran an einem Happy End zwischen Salome und dem Propheten Jochanaan war man selten. Ein langer, begehrender Blick, Liebkosungen, Körperkontakt, ein Wälzen bis zum Fast-Vollzug. Und das ohne alle Regie-Peinlichkeiten, die sonst das Fallen des Vorhangs erflehen lassen.

Angela Denoke hat als Sängerin oft erlebt, wie der Titelfigur in „Salome“ von Richard Strauss mitgespielt wird. Etwa auch 2006 an der Bayerischen Staatsoper, damals in der anfechtbaren Regie von Hollywood-Mann William Friedkin („Der Exorzist“). Doch nun hat Denoke, die immer Gesamt- statt reines Vokalkunstwerk auf der Bühne war und ist, die Seiten gewechselt. Erstmals im vergangenen Herbst, als sie in Ulm Janáčeks „Katja Kabanova“ inszenierte, damals unter Pandemie-Bedingungen. Insofern ist ihre „Salome“ am Tiroler Landestheater die erste „richtige“ Regie.

Überhaupt ist sehr vieles richtig bis erstaunlich gut an diesem Innsbrucker Premierenabend. Denoke erzählt das Stück als Reifeprozess einer jungen Frau, die sich aus einer seltsamen Tingeltangel-Varieté-Welt befreit und dafür Jochanaan benutzt. Keine Psychostudie eines kranken Teenies ist das, sondern mit großer Empathie ohne Bizarrerie aufgerollt. Oft auch sehr detailliert und klug beobachtend, gipfelnd in den genau choreografierten Begegnungen von Salome und Jochanaan. Letzterer haust nicht stückgemäß in der Zisterne, sondern ist anfangs auf der Bühne: kein geheimnisvolles Bibelwesen also, sondern ein Mensch mit Hormonstau.

Angela Denoke als sehr ernst zu nehmende Regie-Handwerkerin

Angela Denoke hat nicht nur den Blick für solch intime Momente, sondern auch für die Bühnen-Balance, den großen, 100 Minuten umspannenden Bogen, für ständige neue Durch- und Einblicke dank einer sich oft bewegenden, riesigen Treppenschraube. Kurz: Diese Künstlerin hat sich nicht nur viel gedacht, sie ist auch eine sehr ernst zu nehmende Regie-Handwerkerin.

Man spürt, dass Denoke als Sängerin mit den Großen der Regie-Zunft sozialisiert wurde, mit Peter Konwitschny, Christoph Marthaler oder Nikolaus Lehnhoff. So klar und schlüssig wie vieles auf die Innsbrucker Bühne gebracht wird, so viel Unausgesprochenes, Mitgedachtes gibt es auch. Der Expressionismus der Entstehungszeit spiegelt sich wider im Bühnenbild, die schwüle Welt des Fin de Siècle in den Nebenfiguren (Ausstattung: Timo Dentler, Okarina Peter). Bergs „Lulu“, ebenfalls die Tragödie über eine Männer-Projektionsfläche, weht herein. Auch Beunruhigendes, wenn eine zweite, kleine, stumme Salome auftaucht, offenbar die Schwester. Die beobachtet die Ältere genau, wiegt sich beim Schleiertanz selbst im Takt, um von den geilen Kerlen prompt bedrängt zu werden. Wie sehr „Salome“ auch von Pädophilem erzählt, wird hier gezeigt, ohne dass es Denoke plakativ ausinszeniert.

Vorgänger-Inszenierung stammt von Brigitte Fassbaender

Ihre Salome-Sängerin ist ein Glücksgriff. Jacquelyn Wagners heller, eher leichter Sopran, die Kraft fürs dramatische Finale, die natürliche Schilderung einer Frau an der Schwelle zum selbstbestimmten Erwachsensein – viel kommt da zusammen. Jochen Kupfer (Jochanaan) gestaltet mit kraftvollem, nie pastosem Charakterbariton. Die Erotik, wie sie sich Angela Denoke wohl vorstellte, wird nicht ganz eingelöst. Dafür ist Florian Stern ein ungewohnt jugendlicher, attraktiver Herodes, der seine Stieftochter sexuell bedrängt. Ursula Hesse von den Steinen, eingesprungen als Herodias, zieht gekonnt ihre Denver-Biest-Nummer ab.

Lukas Beikircher am Pult dirigiert die Partitur nicht als Überwältigungsmusik. Vieles ist bedächtig, sorgsam entwickelt, manches auch nur verbucht. Das Tiroler Symphonieorchester spielt mit großer Vehemenz in den Streichern, Teile des Ensembles werden Corona-bedingt von draußen zugespielt. Besonders die Aufgipfelungen der letzten Minuten kommen da über den Klang-Kompromiss nicht hinaus. Was doppelt schade ist, weil diese Salome ihr Schicksal selbst wählt und mit geöffneten Pulsadern eine Art Liebestod stirbt.

Man erinnere sich: Die Innsbrucker Vorgänger-„Salome“ stammt von Sängerinnenlegende Brigitte Fassbaender, seinerzeit Intendantin des Tiroler Landestheaters. Eine Inszenierung, die Stück und Stückgeschichte überblendete und die Titelheldin mit Oscar Wilde, dem Schöpfer der Vorlagedichtung, tanzen ließ. Es ist bis dato die beste Regie der Fassbaender – und Angela Denokes tolle Tat nun eine mehr als würdige Nachfolge-Produktion.

Auch interessant

Kommentare