„Freischütz“ in Kassel :
Kettensägenmassaker in der Wolfsschlucht

Von Stephan Mösch
Lesezeit: 4 Min.
Solche Pilze! Max (Mirko Roschkowski, links) ist außer sich.
Ersan Mondtag inszeniert in Kassel Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ ideenreich zwischen Otto Dix und Rocky Horror Picture Show.

Den „Freischütz“ auf die Bühne zu bringen ist ein Himmelfahrtskommando – nicht nur weil der Teufel einen großen Auftritt hat. Kein Zufall, dass sich René Jacobs bei seiner zentralen Produktion zweihundert Jahre nach der Uraufführung für eine konzertante Version entschieden hat. Sie wurde 2021 wegen Corona gecancelt und soll nun mit einer Tournee im kommenden Mai nachgeholt werden. „In diesem Werk ist die Welt noch voller Rätsel“, meinte schon Wilhelm Furtwängler, als er das Stück 1954 in Salzburg dirigierte, „wir müssen vergessen, dass wir im Zeitalter der autoritären Weltpolitik, der weltumspannenden und kein Geheimnis mehr übrig lassenden Technik leben.“ Was müssen wir und was dürfen wir auf keinen Fall vergessen, um mit dem „Freischütz“ einigermaßen zurechtzukommen?

Ersan Mondtag und sein Team, in dem Till Briegleb als Dramaturg, Textbastler und Tiefenbohrer eine zentrale Rolle spielt, versuchen es in Kassel mit einem knallbunten, postmodernen Mix. Max ist ein traumatisierter Soldat, der nicht – wie es in der Sage heißt – im Irrenhaus endet, sondern von Anfang an durch Pfleger in Schach gehalten wird, die seine Opiumräusche protokollieren. Sein Aufbegehren gegen „finstre Mächte“, die ihn umgeben, bekommt einen neuen Sinn. Wahrheit und Wirklichkeit rücken drogengestützt zusammen. In Kassel läuft das auf eine Mischung aus Otto Dix und der Rocky Horror Picture Show hinaus. Teresa Verghos opulente Kostüme sind Variationen der Verfratzung. Eine Portion Fantasy spielt mit. Nina Pellers Drehbühne zeigt vorne eine Pinte mit der Aufschrift „The Outpost“, als sei die neueste Staffel der Serie auf Netflix gelandet. Auch da geht es bekanntlich um Söldner und übernatürliche Kräfte. Auf dem anderen Teil der Bühne schießen Pilze wie Halluzinationen in die Höhe.

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