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v.l.n.r. Theo Lebow (Contareno), Heather Phillips (Bianca), Božidar Smiljanić (Doge von Venedig) und Kihwan Sim (Capellio). Foto: Barbara Aumüller
v.l.n.r. Theo Lebow (Contareno), Heather Phillips (Bianca), Božidar Smiljanić (Doge von Venedig) und Kihwan Sim (Capellio). Foto: Barbara Aumüller
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Rossinis Belcanto-Juwel „Bianca e Falliero“ an der Oper Frankfurt

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Als Finale einer Rossini-Trilogie der Oper Frankfurt hätte „Bianca e Falliero“, folgend auf „La gazzetta“ und „Otello“, bereits 2020 herauskommen sollen. Wie damals ist eine Übernahme zu den ebenfalls vom Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe geleiteten Tiroler Festspielen Erl in Vorbereitung. Bisher gehört die 1819 an der Mailänder Scala uraufgeführte Opera seria nach dem Schauspiel „Blanche et Montcassin ou Les Vénitiens“ von Antoine-Vincent Arnault (1798) noch nicht zu den Hits der Rossini-Renaissance, woran sich wohl so schnell nichts ändern wird. Die Oper Frankfurt riss eine so gut wie makellose Premiere dieser hybriden Belcanto-Oper.

Die prominenteste ist Biancas „Teco io resto“ als Adaption von „Tanti affetti“ aus „La donna del lago“. Die Schwierigkeiten von „Bianca e Falliero“ liegen allerdings weniger an Gioachino Rossinis Mehrfachverwertungen und Selbstanleihen, sondern an der extrem komplizierten Partie der venezianischen Adeligen Bianca. Kaum eine Phrase vergeht in dieser ohne Verzierungen in allen Lagen. Es dürfte mit Ausnahme von Anna Erisso in „Maometto II“ von Rossini kaum eine weitere Frauenpartie mit vergleichbar intensiven Anforderungen geben. Insofern zeigte die Amerikanerin Heather Phillips bei ihrem Europadebüt starke Nerven und hohen Mut, obwohl in der Frankfurter Premiere allen vier Hauptpartien mehrere Cabaletten-Reprisen und die Figur der Costanza zur Gänze gestrichen wurden. 

Tilmann Köhler versetzte die Konflikte der Führungsspitzen im Libretto Felice Romanis aus dem Venedig des 17. Jahrhundert ins Heute. Erst schreitet der Chor in mittelgroßer Besetzung, mit Transparenten und mit guter Kenntnis des Belcanto-Idioms zur Demonstration (Chorleiter: Tilmann Michael). Später begleitet er in lebhafter Anteilnahme die Gerichtsverhandlung, nach der die Vermählung des Feldherrn Falliero mit Bianca endlich stattfinden könnte. Bei Köhler kommt es nicht dazu, weil Bianca längst von einer höheren Tochter zur gewaltbereiten Rebellin wird und den Vater Contareno mit dem (Ex-)Geliebten mittels Handschellen aneinander kettet. In den letzten Takten der Sinfonia kämpft sich Bianca für kurze Zeit aus den hölzernen Rundwänden, die Karoly Risz wie Gefängnismauern um die restriktiv gehaltene Bürgerschaft legt. Durch Susanne Uhls Kostüme könnte man denken, dass man sich dort auf einem erfolgreichen Weg zum ressourcenbewussten Umdenken befindet. Aber Bibi Abels Videozuspielungen und das toxische Verhalten Contarenos offenbaren ein beträchtliches Gewaltpotenzial. Tödlicher Ernst bricht sich manchmal auch in euphorisierten Tänzelschritten Bahn. Immerhin findet die Regie zu einem angemessenen Bewegungsspielraum neben einer massiven wie legeren Musiksprache, mit der Rossini in Mailand an den enormen Erfolg von „Die diebische Elster“ anzuknüpfen versuchte.

Die Oper Frankfurt kann – Respekt! - die beiden männlichen Hauptpartien aus dem eigenen Ensemble besetzen. Kihwan Sim hat als großzügig auf Bianca verzichtender Senator Capellio nicht nur den Sympathiebonus, sondern auch eine überaus noble Bassbariton-Aura. Eigentlich fällt das nicht schwer neben den an Schwierigkeiten fast der Primadonna ebenbürtigen Part des Contareno. Theo Lebow kommt kein bisschen in Atemnot in dessen furiosen Koloraturketten, während denen Contareno zu Bianca sogar handgreiflich wird. Dabei ist er nicht der einzige cholerische Koloratur-Tenor in Rossinis Schaffen, wohl aber einer von denen mit den längsten Gesangsphrasen. Lebow mischt Weichheit und Energie, gestaltet eigentlich nicht viril attackierend und überzeugt mit bemerkenswerter Kondition.

Applaus hagelte es für ihn und das ganze Ensemble aus dem im Schachbrettmuster besetzten Saal vor allem am Ende. Nach den meisten der nur 13 und damit entsprechend langen Musiknummern verharrte das Publikum unter dem Gewicht und der Massivität von Rossinis hier stark verdichtetem Einfallsreichtum in schier atemloser Schockstarre.

Eigentlich unbegründet. Giuliano Carella animierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu einem weich gerundeten und präzise inspirierten Klang. Sensibel vernehmbar waren die anschwellenden Paukenwirbel unter den Holzbläser-Parallelen der Ouvertüre. Später blieb auch in den aufregendsten Koloratursequenzen Raum für die feine Auffächerung von Balancen und Farben. Dank Carella konnten die Sänger die ihnen abverlangten Drahtseilakte sogar mit einer gewissen Lockerheit angehen. Insbesondere die im Timbre füllige und dabei nur selten zu Fortissimo-Attacken ausholende Mezzosopranistin Beth Taylor verlegte sich auf eine Gestaltungsform, die Rossinis großer Verehrer Stendhal eher „pastoral“ als „heroisch“ genannt hätte. Zusammen mit Heather Phillips gestaltet Beth Taylor ein Liebespaar, das sich bereits im ersten großen Duett ins irdische Nirwana singt und für das zweite deshalb kaum Steigerungspotenziale aufbietet. Phillips als Bianca leuchtet strahlend in ihren großen Arien am Anfang und Ende des Parts. Da triumphiert die Musik, obwohl Tilmann Köhlers Regie das Werk weitaus trüber enden lässt als es Rossinis musikalische Freudenfeier nahelegt. Bianca bleibt allein mit sich und ihrem in den Begegnungen mit dem Vater und Falliero angestauten Gewaltpotenzial. Nicht nur wegen des jubelnden Schlusses und einer von Rossinis bekanntesten Arien lohnt dieser fast alle Wünsche erfüllende Belcanto-Volltreffer. Mehr zu fordern wäre angesichts der exorbitanten Anforderungen der Partitur ein Frevel. Davon kann man sich auch in der schmalen und dafür fast durchweg erlesenen Diskographie dieser Oper überzeugen.

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