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Händel-Festspielchor, Statisterie des BADISCHEN STAATSTEHATERS. Foto: Falk von Traubenberg
Händel-Festspielchor, Statisterie des BADISCHEN STAATSTEHATERS. Foto: Falk von Traubenberg
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Die mit dem Feuer spielen – Georg Friedrich Händels „Hercules“ bei den Händelfestspielen in Karlsruhe

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Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft – das ist einer von den flotten Sprüchen, die trotzdem stimmen. Bei Georg Friedrich Händel geht es in seinem Oratorium „Hercules“ um einen exemplarischen Fall von Eifersucht.

Mit dem Wechsel von der Oper zum Oratorium hatte sich Händel als cleverer Unternehmer seiner selbst, vor allem aber einer veränderten Nachfrage angepasst und als Künstler den Markt gleichsam ausgetrickst. Als das Publikum seine italienische Oper nicht mehr wollte, dann bekam es eben englisches Oratorium. Damit blieb er bis zu seinem Lebensende erfolgreich und fuhr eigentlich doch nur fort, Oper mit anderen Mitteln zu machen.

In dem 1745 uraufgeführten Werk über den sagenhaften Hercules, deklinierte er die Risiken und Nebenwirkungen eines so elementaren Gefühls wie der Eifersucht eindrucksvoll durch. In dem von Thomas Broughton verfassten Libretto steht denn auch Hercules’ Frau Dejanira mit ihrer pathologischen Eifersucht im Zentrum des Geschehens.

Dass es für beide entgegen des musikalischen Finales letztlich in einer Katastrophe endet, macht die jüngste Inszenierung, die Regisseur Floris Visser und der dänische Barockspezialist Lars Ulrich Mortensen zu den im diesem Jahr wieder stattfindenden Händelfestspielen in Karlsruhe beisteuern, überdeutlich. Er verliert sein Leben und sie ihren Verstand.

Zu dem grausamen Ende des Helden führt jenes blutige Hemd (hier ist es ein entsprechend eingepuderter Uniformmantel), den ihm Dejanira – offiziell zur Versöhnung – überbringen lässt. So wie Visser die Szenen dieser Ehe im Umfeld einer „modernen“ Diktatur aufeinander folgen lässt, sind erhebliche Zweifel daran angebracht, dass sie (wie in der Vorlage) möglicherweise nichts davon wusste, dass es sich um eine mythische Chemiewaffe handelt, die Hercules bei lebendigem Leibe verbrennen würde.

Es ist eine aus der Vorgeschichte herrührende späte Rache. Der Zentauers Nessus hatte Dejanira einst bei einer Flucht vor einem Wutanfall des Hercules gerettet, wollte sie dann aber verführen. Er wurde von Hercules mit einem vergifteten Pfeil zur Strecke gebracht. Das Geschenk, das er Dejanira mit heimtückisch falscher Gebrauchsanweisung überließ, wird so zum späten Rächer…..

Visser erzählt freilich noch eine andere Geschichte, die auf eine Weise an Brisanz gewonnen hat, wie man es sich hierzulande bislang nicht vorstellen konnte oder wollte. Es geht um das Verhalten von Eroberern nach einem gewonnenen Krieg. Die Kostüme deuten auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Was am 18. Februar zur Premiere noch der Versuch einer Vergegenwärtigung der alten Geschichte vor dem Hintergrund ganz allgemeiner kriegerischer Verhaltensweisen war, hat am Tag der besuchten letzten Vorstellung der Serie, am 26. Februar, noch einen ganz anderen Assoziationshintergrund. Da hält man den Umgang der Gewinner des Krieges mit ihren unterlegenen Gegnern, deren öffentliche Erniedrigung und den demonstrierten Hass der Sieger auf einem Mal für eine reale Möglichkeit. Da ähnelt die Fahne mit dem Adler plötzlich der des russischen Zaren. Und da fragt man sich unwillkürlich, was eine möglicherweise obsiegende russische Armee mit der gewählten ukrainischen Staatsspitze wohl anstellen würde, sobald sie ihrer habhaft werden sollte. Das ist so ein Effekt von modernisierenden Inszenierungen, auf den man (auf der Seite der Wirklichkeit) gerne verzichten würde.

Ausstatter Gideon Davey hat einen moderat modernen Herrschaftssitz auf die Drehbühne gebaut. Mit einem offiziellen Salon samt antikem umlaufenden Relief und einem putinesken Riesentisch. Ein Raum, der auch immer wieder zum Saal für ein Geschworenengericht wird, in dem der Mord an Hercules verhandelt wird. Samt echten oder gespielten Ausbrüchen von Hass auf die angeklagte, in Zwangsjacke vorgeführte Dejanira. Auf der Rückseite befinden sich die Privaträume mit Fernsehecke und großer Treppe in den ersten Stock mit dem ehelichen Schlafzimmer, in dem auch das Objekt der Begierde von Vater Hercules und Sohn Hyllus, die besiegte Prinzessin Iole, untergebracht ist. An ihr entzündet sich immer wieder die Eifersucht von Dejanira.

Worauf das Ganze hinausläuft, sieht man schon zu Beginn. Da sucht eine Dejanira in Zwangsjacke in einem Zimmer, dessen Türen vernagelt sind, zwischen den Sternbildern an den Wänden ihren Gatten. Der erscheint (ihr) tatsächlich mit freier Brust und Adlerflügeln. Gemeinsam tauchen wir dann, wie in einem Film, in die Vorgeschichte ein. Mit Schnitten und wechselnden Perspektiven kommen wir immer wieder auf die Gerichtsverhandlung zurück, bei der Dejanira die Angeklagte ist. Diese Szenenwechsel werden komplettiert durch einen um die Szene laufenden Kreis, auf dem in Slowmotion oder als als Tableau Vivents diverse Kriegsszenen gleichsam eingeblendet werden. Von der Demütigung der Begleiterinnen der besiegten und „erbeuteten“ Prinzessin Iole bis zur spektakulären Vergiftung des Hercules. 

Diese Technik erlaubt es mühelos, das vorgesehene lieto fine in verschiedenen Varianten durchzuspielen. Einmal als völlig überzogene Wahn- und Wunschvorstellung Dejaniras. Hier ist sie mit dem mit Adlerflügeln zu den Göttern aufgestiegenen Hercules und ihr Sohn mit der Prinzessin Iole vereint. Dazu wird im Gerichtssaal plötzlich ausgelassen auf den Tischen getanzt. Schnell wird klar, dass das nur eine Wahnvorstellung ist. In der anderen Variante der Geschichte ist Hercules zwar tatsächlich ein beflügelter Halbgott, aber Dejanira wird wieder weggeschlossen. In ihr Schlafzimmer und in ihren Wahn.

Der renommierte dänische Barockspezialist Lars Ulrik Mortensen leitet die Deutschen Händel-Solisten, also das Karlsruher Festspielorchester, souverän und mit großer Umsicht durch alle Höhen und Tiefen dieser Achterbahn der Gefühle. Mit Ann Hallenberg hat er dabei eine Dejanira zur Verfügung, die darstellerisch und stimmlich das Abgleiten in den Wahnsinn überzeugend verkörpert. An ihrer Seite ist Bassbariton Brandon Cedel ein Hercules mit glaubwürdiger Heldenattitüde, den gleichwohl die türenknallenden Ausbrüche seiner Frau zu Schaffen machen. Lauren Lodge-Campbell ist eine so würdevoll besiegte Prinzessin Iole, wie auch verführerische junge Frau, bei der man gut nachvollziehen kann, dass Hyllus, Moritz Kallenberg, von Anfang an Sympathie für sie empfindet und spontan gegen ihre Demütigung eingreift. Als Diener Lichas ist Counter James Hall für das Hin und Her der Handlung unentbehrliche Ergänzung. Dem von Marius Zachmann einstudierten Händel-Festspielchor gelingt meistens auch dann sein Kommentieren und Eingreifen ins Geschehen, wenn er aufgeteilt, von den Seitenlogen aus, unsichtbar mit von der Partie ist. Auf der Bühne zum Beispiel bei den Szenen im Gerichtssaal überzeugt er auch darstellerisch. Grandios ist sein Einsatz als eine durchchoreographierte personifizierte Eifersucht kurz vor der Pause des zweigeteilten, fast vierstündigen Abends. Viel Beifall im ausverkauften Haus für eine packende Händel-Inszenierung!

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