1. Startseite
  2. Kultur

Katzengold: Katharina Thalbach und Christian Thielemann bringen an der Semperoper „Aida“ heraus

KommentareDrucken

Szene aus der Dresdner „Aida“.
Kurz vor der Mel-Brooks-Parodie ist die Inszenierung von Katharina Thalbach. © Ludwig Olah

Eigentlich wollte Katharina Thalbach nie wieder Oper inszenieren. Man hätte sie in der Dresdner „Aida“ gern und jede Sekunde an diesen Vorsatz erinnert. Dafür liefert Christian Thielemann einen Verdi aus der Sterneküche.

Der Mann ist gar nicht so schlagseitig, wie manche glauben. Wagner, Strauss, Bruckner, die ganze schwerlastige Deutschromantik, das bleibt schon der Hauptjob von Christian Thielemann. Doch während der Gesellenzeit im Land des Stiefels, später auch als Chefdirigent der Deutschen Oper Berlin lag viel Italienisches auf seinem Pult. „Aida“ allerdings, das ist für ihn tatsächlich das erste Mal. Mehrfach verschoben, ging diese nun endlich über die Bühne der Semperoper. Und zumindest vor der Pause schien’s, als ob der Noch-Chef der Staatskapelle Dresden im Falle von Verdis Pyramiden-Hit uns allen eine Nase dreht: Elefantös? Mit mir nicht.

Man höre nur die berüchtigten „Aida“-Trompeten im Triumphbild. Weich schmiegen die sich ins Orchester. Nix Schmettern, nix Krachen: Thielemanns Verdi ist nicht nur hier fein abgeschmeckt, ein Gruß aus der Sterneküche. Alles ist behutsam balanciert und liebevoll modelliert. Mit kleinen kulinarischen Verbremsungen, wenn’s wichtig wird, und ansonsten hohem Grundpuls. Dem Oratorischen, Statuarischen des Stücks setzt Thielemann mit der luxuriös musizierenden Staatskapelle viel dramatischen Zug entgegen.

Francesco Meli als derzeit bester Radames

Der eigentliche Thriller, wenn die äthiopische Königstochter ihren geliebten Radames (fast) verrät, ereignet sich nach der Pause, und das hört man auch in der Semperoper. Die größte Klangexpansion riskiert Thielemann beim wütenden Aida-Papa Amonasro, auch später wird deutlich, wie viel Brutalo-Potenzial in der Partitur steckt. Und gerade weil die Kapelle das so satt und süffig ausspielt, bleibt alles frei von Lärm und Imponiergehabe.

Dazu passt die Solistenriege. Durchwegs ausgewiesene Stilisten, jeder und jede auf seine und ihre Art. In den Gesang von Krassimira Stoyanova hat sich angesichts der Karrierelänge ein Flirren eingeschlichen. Doch wie sie sich die Aida zurechtlegt, wie sie nie Grenzen überschreitet, wie bewusst sie sich auch in Extremlagen bewegt, das alles ist aus dem Technik-Musterbuch.

Ähnliches bei Francesco Meli, nur ein, zwei Stufen lauter. Der Italiener ist der derzeit beste Radames, weil einfach alles seinem Tenor zur Verfügung steht. Nie muss man bangen, Meli kann tatsächlich klug und textbewusst gestalten und ist über reine Bewältigung weit hinaus. Oksana Volkova wirft als Amneris nicht die Mezzo-Orgel an, wird damit auch vokal ein echter Magnet für Radames. Mit Georg Zeppenfeld als schwarzer Rache-Engel Ramfis und Andreas Bauer Kanabas (König) bietet Dresden Bass-Gewalt und -Intelligenz auf.

Quinn Kelsey möchte man demnächst und dringend in einer Hauptrolle erleben. Sein ungewöhnlich schillernder Amonasro ist in dieser Premiere die einzige Figur, die übers Schablonen-Dasein hinauskommt. Schuld daran ist eine Frau, die schon ein paar Mal Oper inszeniert hat (unter anderem ein zauberhaftes „Schlaues Füchslein“ in ihrer Heimatstadt Berlin) und dann einen wunderbaren Entschluss gefasst hat: Musiktheater, damit sei jetzt Schluss. Für Dresden ließ sich Katharina Thalbach noch einmal überreden, an ihren Vorsatz hätte man sie gern in jeder Sekunde dieser „Aida“ erinnert.

Hymne der Ukraine vor Premierenbeginn

Eine Interpretation, so gab Thalbach im Vorfeld kund, sei von ihr nicht zu erwarten. Dabei kommt es nicht einmal zur Regie. Schon zum Zeitpunkt der Premiere ist die Produktion 70 Jahre alt. Ein Rücksturz in Posen- und Rampentheater, ein Arrangement zwischen Wüsten-Werbespot, leerem Ritual und Mel-Brooks-Parodie. Zugleich unendlich clean und damit das Stück verratend – als gehe es hier nicht um einen brutalen Krieg, der zwei Menschen zur ungelebten Liebe und in den Tod zwingt. Als bemüht kritische Garnierung gibt es aufgespießte Köpfe der Besiegten, als Augenfutter und zur Kurzzeit-Belebung ein Ballett ägyptischer Chippendales.

Ausstatter Ezio Toffolutti kann man dafür nicht haftbar machen. Sein hohes Goldzimmer, das sich an verschiedenen Stellen öffnen, erweitern kann, bietet gute Voraussetzungen für Verdis heiklen Kammerspiel-Spektakel-Hybrid. Jubel des reduzierten Publikums: Sachsen erlaubt eine Belegung von 60 Prozent ohne Maske. Der beklemmendste Moment des Abends hatte sich vor dem ersten Verdi-Ton ereignet – als Thielemann mit Chor und Staatskapelle die ukrainische Hymne erklingen ließ. Am Ende wurde die teilweise ausgebuhte Katharina Thalbach vom Dirigenten fast beängstigend geherzt. Auftrag ausgeführt: Diese Produktion kann an der Semperoper Jahrzehnte laufen. Wurscht, wer in die Kostüme schlüpft.

Aufzeichnung
auf Arte am 13. März, 16.25 Uhr, danach auf arte.tv online verfügbar.

Auch interessant

Kommentare